Die EZB wechselt ins Lager der Bargeldfreunde

19. 02. 2020 Jahrelang hat die Europäische Zentralbank (EZB) Bargeldobergrenzen zugestimmt oder einfach ignoriert, dass sie nicht um ihre Meinung gefragt wurde. Das hat sich radikal geändert. Für mein Verfahren beim Europäischen Gerichtshof könnte das positiv sein. …

Für Europäer die dem Wahlspruch „Nur Bares ist Wahres“ folgen, wird es immer schwieriger und teuer, ihre Vorliebe auszuleben. Viele Länder haben Obergrenzen für Barzahlungen eingeführt, die im Lauf der Zeit immer weiter gesenkt werden. Am niedrigsten ist die griechische, wo man nicht mehr als 500 Euro bar zahlen oder kassieren darf, in Frankreich sind es 1000 Euro. Händlern in Europa wurde verboten, Kosten von Kartenzahlungen an Kartennutzer weiterzugeben. In Griechenland müssen Haushalte eine Steuerstrafe zahlen, wenn sie zu viel von ihrem Einkommen für Barkäufe verwenden. Manche Geschäfte und viele Behörden nehmen kein Bargeld mehr an.

Lange hat die Hüterin des Euro, die Europäische Zentralbank (EZB), dieser Entwicklung zugesehen, oder sie sogar noch gefördert. Doch damit ist nun offenbar Schluss. In einem recht geharnischten Brief vom 16. Dezember beschwerte sich das zuständige EZB-Direktoriumsmitglied, Yves Mersch, bei Parlament und Finanzminister Italiens darüber, dass die EZB noch nicht wie vorgeschrieben zu Gesetzesplänen gehört wurde, die Obergrenze für Barzahlungen zu senken. Diese soll zunächst von 3000 Euro auf 2000 Euro und dann weiter auf 1000 Euro gesenkt werden. Mersch lässt in dem Brief wenig Zweifel daran, dass die Stellungnahme der Notenbank ziemlich kritisch ausfallen würde.

Er führt sechs Gründe auf, warum die geplanten Beschränkungen und Strafen unverhältnismäßig sein könnten und damit dem Status des Euro-Bargelds als gesetzliches Zahlungsmittel der Währungsunion widersprechen würden. Dazu zählt er Vorteile des Bargelds gegenüber digitalen Bezahlverfahren für die Bürger und die Finanzstabilität. Auch gebe es keinen Nachweis der Effektivität von Bargeldbeschränkungen für die Bekämpfung der Steuerhinterziehung. Ausnahmen für Menschen und Regionen ohne guten Zugang zu gleich günstigen digitalen Bezahlverfahren seien generell nötig.

Wie die EZB früher agierte

Diese harte Linie steht in Kontrast dazu, wie die EZB früher mit solchen Vorhaben umging. Frühere Stellungsnahmen dazu waren meist kurz und neutral bis positiv. Zum Teil war die EZB sogar indirekt an der Einführung solcher Bargeldbeschränkungen beteiligt.

Als der frühere EZB-Kommissar Mario Monti als Chef einer technokratischen Übergangsregierung in Italien 2011 eine Barzahlungsobergrenze von 1000 Euro eingeführt hatte, nahm die EZB dazu nicht Stellung. Die jetzt von Rom geplante Maßnahme soll diesen Zustand wiederherstellen, nachdem die Regierung Renzi die Obergrenze 2016 auf 3000 Euro angehoben hatte.

Als 2016 aus den USA eine Diskussion befeuert wurde, ob der 500-Euro-Schein nicht abgeschafft werden sollte, um Schattenwirtschaft und Terrorfinanzierung zu erschweren (und die Stellung des Dollars auf diesen Märkten zu festigen), beschloss der EZB-Rat sehr schnell, keine weiteren dieser Scheine zu drucken.

Als Griechenland 2016 eine Obergrenze von nur 500 Euro und weitere drastische Maßnahmen gegen die Bargeldnutzung einführte, äußerte sich die EZB nicht, obwohl ihr die Maßnahmen kaum entgangen sein dürften. Die von Finanzhilfen abhängige griechische Regierung musste damals alle finanzrelevanten Vorhaben von einer Troika aus EZB, EU-Kommission und Internationalem Währungsfonds genehmigen lassen.

Als Litauen 2014 eine Obergrenze von umgerechnet etwa 2900 Euro einführte, deutete die EZB in ihrer Stellungnahme sogar an, dass ihr die Ausnahmen von dieser Beschränkung zu umfangreich waren. Mit einer Begrenzung in Rumänien auf etwa 1000 Euro im gleichen Jahr hatte sie kein Problem, ebenso wenig mit Obergrenzen von 5000 Euro und von 2500 Euro, die 2012 in der Slowakei und Spanien eingeführt wurden. Die in den Medien breit berichtete Senkung der Bargeldobergrenze in Frankreich im Jahr 2015 auf 1000 Euro ließ die EZB-unkommentiert.

Link zu den Stellungnahmen der EZB

Und wie sie heute agiert

Ganz anders jedoch als die Regierung in Griechenland  2019 einige dieser Anti-Bargeld-Maßnahmen verschärfen wollte. Dafür fing sie sich eine scharfe Rüge von der EZB ein. Die schon geltende Bargeldobergrenze von 500 Euro sei deutlich zu niedrig und die geplanten verschärften Steuerstrafen für zu häufige Bargeldnutzung widersprächen dem Status des Bargelds als gesetzliches Zahlungsmittel, schrieb die EZB in ihrer Stellungnahme. Ebenfalls im letzten Jahr äußerte sich die EZB sehr kritisch zu Plänen der Regierungsparteien in Spanien, die Barzahlungsobergrenze auf 1000 Euro zu senken.

Die Wende in der Haltung der EZB lässt sich auf das Jahr 2017 datieren. Bis dahin winkte sie alles durch, oder sie ignorierte einfach, dass sie gar nicht erst gefragt wurde. Nicht nur in Bezug auf Griechenland werden heute Maßnahmen kritisiert, die früher gutgeheißen oder ignoriert wurden.

Als der ehemalige EZB-Forschungsdirektor Vitor Gaspar 2012 als Finanzminister Portugals eine Bargeldobergrenze von 1000 Euro ins Steuerrecht eingefügt hatte ohne die EZB zu konsultierten, ließ die Notenbank das unkommentiert durchgehen. Als aber 2017 die portugiesische Regierung Strafen für hohe Barzahlungen einführen wollte, sparte die EZB nicht mit kritischen Worten.

Die 2010 in Bulgarien eingeführte Obergrenze von 2500 Euro hatte die EZB damals sogar sehr freundlich kommentiert. Als aber 2017 die die Obergrenze auf 500 Euro sinken sollte, wählte die Notenbank in ihrer Stellungnahme harte Worte. Zu niedrig und nicht gerechtfertigt für Zahlungen zwischen Privatpersonen kritisierte sie. Auch seien Ausnahmen von der Regel dringend nötig.

Was passiert, wenn die EZB nicht einverstanden ist

Die EZB muss nur um eine Stellungnahme gebeten werden. Diese ist zunächst einmal unverbindlich, es sei denn, die EU-Kommission als Hüterin der Verträge, macht sich die Sicht der Notenbank zu eigen. Die EU-Kommission scheint allerdings weiterhin den Anti-Bargeld-Einflüsterern aus den USA sehr intensiv zu lauschen und zu folgen. Trotzdem haben einige der kritisierten Länder bei der Umsetzung ihrer Anti-Bargeld-Pläne gewisse Zugeständnisse an die Forderungen der EZB gemacht.

Die neue Haltung der EZB ist noch aus einem anderen Grund wichtig. In meinem Verfahren um das Recht auf Barzahlung des Rundfunkbeitrags, das beim Europäischen Gerichtshof anhängig ist, ist die EZB ebenso wie EU-Kommission, Bundesregierung und andere EU-Regierungen eingeladen und berechtigt, Stellungnahmen abzugeben. In Luxemburg dürfte die Meinung der EZB dazu, was gesetzliches Zahlungsmittel bedeutet, besonderes Gewicht haben. Yves Mersch, der den Brief nach Italien geschrieben hat, ist für den juristischen Dienst der EZB zuständig.

Weil die Stellungnahmen vertraulich sind, darf ich nicht berichten, wer sich alles geäußert hat und wie.

Warum die EZB ihre Haltung geändert hat

Über den Grund des Sinneswandels in Frankfurt kann man nur spekulieren. Es könnte damit zu tun haben, dass die bargeldfreundliche Fraktion um Mersch und Bundesbankpräsident Weidmann mehr Oberwasser bekommen hat.

Eventuell hat auch die Diskussion in Italien um die Einführung einer Parallelwährung zum Euro die Hüter desselben zu der Erkenntnis gebracht, dass es vielleicht keine gute Idee ist, die Eigenschaft des Euro als einziges gesetzliches Zahlungsmittel im Euroraum allzu locker zu interpretieren. m Wahlkampf 2017 in Italien hatten sich drei große Parteien für die Einführung einer solchen Parallelwährung zum Euro ausgesprochen. Wäre die Koalition von Fünf Sternen und Lega nicht vorher zerbrochen, wäre sie wohl gekommen.

Wenn man Regierungen im Euroraum erlaubt, zum Beispiel Steuerzahlungen mit dem gesetzlichen Zahlungsmittel zu verbieten, und damit die Bürger zu zwingen, mit etwas zu bezahlen, was kein gesetzliches Zahlungsmittel ist, z.B. mit Bankguthaben, dann wird es schwer zu argumentieren, dass es den Regierungen verboten wäre, Steuerzahlung mit Minibonds zu erlauben, also mit klein gestückelten Staatsanleihen, die als Geld umlaufen können. Entweder die Festlegung des Euro als gesetzliches Zahlungsmittel verbietet beides oder keines von beiden. Möglicherweise ist diese Einsicht 2017 in den Reihen der EZB gereift.

English version

[19.2.2020]

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