Der neue Modebegriff in der Afrika-Hilfe heißt „Data 4 Development“ – eine große Datensammlung für bessere Hilfe. Doch die Ziele und Methoden sind fragwürdig. In Krisenregionen sollen anhand von Big-Data-Projekten Hilfsmaßnahmen besser koordiniert werden, Flüchtlingsströme besser überwacht und kanalisiert werden. Alles soll von überall zentral steuerbar sein, vom Silicon Valley, aus London, aus New York, nur nicht aus Afrika.
Beim Weltwirtschaftsforum ist man schon lange begeistert von den Möglichkeiten, die Big Data in der Entwicklungszusammenarbeit bietet. Die Vereinten Nationen (UN) und die EU-Kommission lassen sich nun anstecken. Schon 2012, als der Begriff erst wenigen bekannt war, stellte das Weltwirtschaftsforum Beispiele heraus, wie man durch Auswertung von Mobilfunkdaten die Ausbreitung einer Epidemie in Afrika prognostizieren oder Frühwarnsignale einer Hungersnot empfangen und entsprechend reagieren kann.
Heute ist diese Art des „Data Mining“ aus der Ferne dabei, zu einer wichtigen Säule der Entwicklungszusammenarbeit zu werden. „Die Kommission unterstützt entschieden die Entwicklung und Nutzung digitaler Technologien für die Entwicklungspolitik der EU“, heißt es in der Pressemitteilung, mit der die EU-Kommission im Mai 2017 ihre Strategie vorstellte, die Digitalisierung zu einem Kernthema ihrer Entwicklungspolitik zu machen.
Öffentlich-Private-Partnerschaft
Die Vereinten Nationen haben in einer öffentlich-privaten Partnerschaft die Initiative Global Pulse gegründet. Unterstützer sind unter anderem Microsoft und Amazon, sowie das Weltwirtschaftsforum, dem wiederum die größten Internet- und Telekom-Konzerne angehören, bei denen die interessantesten Daten anfallen. Global Pulse hat direkten Zugang zu Social-Media-Daten von Firmen wie Facebook und Twitter und nutzt diese, um in Indonesien Schwankungen von Nahrungsmittelpreisen besser zu verstehen, in Uganda Bevölkerungswanderungen zu verfolgen oder die öffentliche Meinung zu UN-Entwicklungszielen zu eruieren.
Teams an den Universitäten Harvard, Stanford und Leiden nutzen digitale Daten, um das Ausbrechen von Konflikten und die Umsetzung von Friedensvereinbarungen in Afrika zu analysieren. Ein Projekt der Universität Oxford nutzte Mobilfunkdaten, um die Verbreitung von Malaria in Kenia zu studieren, ein schwedisches Projekt erforschte so Cholera-Ausbrüche in Haiti.
Im jüngsten Projekt von UN Global Pulse, zu dem kürzlich ein „White Paper“ erschien, untersuchte das New Yorker Datenlabor zusammen mit dem Hochkommissariat für Flüchtlinge, wie man Twitter-Daten nutzen kann, um „Trends in der Europäischen Flüchtlingskrise“ besser und früher zu verstehen. Dabei wurden Interaktionen der Migranten untereinander und mit „Dienstleistern“ entlang der Route nach Europa analysiert. Aus dem Pilotprojekt soll ein Monitoring-System erwachsen, das die sozialen Medien in Echtzeit überwacht und auswertet.
Großzügiger Eigennutz
Die Grundlage für all diese Anwendungen ist das, was neudeutsch Datenphilanthropie heißt, also die Freigabe privater Daten für gemeinnützige Zwecke. Allerdings gehen die Datenströme vorallem auch auch in die andere Richtung. Regierungen werden aufgefordert, dafür zu sorgen, dass von ihren Bürgern möglichst viele Daten produziert werden und diese Unternehmen, Forschern und Hilfsorganisationen zur Verfügung zu stellen. So fordert das Weltwirtschaftsforum etwa, dass die Regierungen Regeln zur SIM-Kartenregistrierung erlassen, die sicherstellen, dass man Telefonnummern zuverlässig bestimmten Individuen zuordnen kann. Auch sollen die Regierungen und Behörden grundsätzlich Daten frei zugänglich machen. „Open data“ ist das Schlagwort dafür.
IBM hat 100 Millionen Dollar in ein Datenlabor namens Lucy in Nairobi investiert. Dort analysiert man mithilfe des Supercomputers Watson die von Regierungen, Unternehmen und Hilfsorganisationen bereitgestellten Datenmassen, um Entwicklungsprobleme im Bereich Gesundheit, Erziehung und Landwirtschaft zu lösen. Von einem allgemein zugänglichen Datenpool profitieren alle – private Unternehmen, Staat und Hilfsorganisationen, gibt sich das Weltwirtschaftsforum überzeugt. Gewinnträchtige Geschäftsmodelle rund um die digitale Entwicklung sind für die Organisation, in der Vertreter der größten und wichtigsten globalen Konzerne sich treffen, eine Grundvoraussetzung, um den Unternehmen die nötigen Anreize zu geben, ihre Daten zu teilen und zum Nutzen der Gesellschaft einzusetzen.
Diese Sichtweise hat sich durchgesetzt. Durchgängig werden heute von UN, Weltbank und anderen offiziellen Akteuren der Entwicklungshilfe öffentlich-private-Partnerschaften gefordert und gefördert. Ohne die Ressourcen und das Wissen des Privatsektors könne man die großen Entwicklungsziele nicht erreichen, heißt es.
Ganz ohne Kritiker bleibt diese Strategie bei aller Effizienz nicht. Datenrechtler wie Linnet Taylor von der Universität Tilburg kritisieren, dass es sehr oft selbst an rudimentären Schutzbestimmungen für die Privatsphäre fehle. Zweifel und Kritik würden unter Hinweis auf den guten Zweck schnell beiseitegewischt. In den in Afrika nicht selten vorzufindenden autoritären Regimen setzte es Oppositionelle, Flüchtlinge und andere Gruppen einem beträchtlichen Risiko aus, wenn derart freizügig mit ihren Daten umgegangen werde, kritisiert Laura Mann von der London School of Economics.
Verklausuliert räumt das auch das Weltwirtschaftsforum in Bezug auf mobile Bezahldienste ein: „Die Regierungen können als Katalysator fungieren, um Legitimität zu sichern, aber das verlangt nach offenen und transparenten Regeln, weil der Gedanke, dass die Regierung Zugang zu den Finanzinformationen eines Bürgers hat, diese von der Nutzung mobiler Finanzdienste abhalten könnte.“
Manns politökonomische Analyse der Big-Data-Revolution in der Entwicklungspolitik erscheint demnächst unter dem Titel „Left to Other People’s Devices?“ in der Zeitschrift Development and Change. Ihr Hauptkritikpunkt ist allerdings ein anderer. „Es gibt praktisch keine Diskussion über die Verteilung der Vorteile der Nutzung der von Afrika freigegebenen eigenen Daten“, moniert sie. Die großen internationalen Daten-Konzerne bekämen Zugang zu einem Datenschatz, mit dem sie ihr Geschäft ausweiten und sich zu unentbehrlichen Partnern machen könnten.
Anstatt dass die Regierungen in den Stand versetzt würden, sich selbst zu helfen, gerieten sie immer mehr in Abhängigkeit. „Das gegenwärtige Rahmenwerk stellt eine Art Industriepolitik dar, bei der afrikanische Regierungen und Hilfsorganisationen das Lernen und die Innovation von privaten Unternehmen in anderen Ländern befördern“, analysiert die Forscherin.
[11.3.2018}