Eine kurze Offenlegung, auch wenn kein Interessenkonflikt besteht: Ich saß nach einer Vorführung des Films in Frankfurt mit Samirah Kenawi und anderen auf dem Podium, um mit dem Publikum über den Film zu diskutieren. Daher kenne ich den Film und Kenawi.
Der Kern des Films besteht darin, dass die Autorin Finanzexperten von der Europäischen Zentralbank bis zu BMW dazu befragt, wie das Geld in Umlauf kommt und wofür.
Nikolaus Piper veröffentlichte daraufhin eine vernichtende Kritik unter dem unwahrscheinlichen Titel „Verschwörung“. Ein Auszug:
„Gute Verschwörungserzählungen zeichnen sich dadurch aus, dass sie immun sind gegen Fakten. Corona ist eine Erfindung böswilliger Mächte, der Klimawandel ebenso, und der Terrorangriff vom 11. September 2001 war ein inside Job. Gegen solche Theorien hat die Realität keine Chance, jedenfalls bei denen, die daran glauben und sie im Internet verbreiten. Und dann gibt es Verschwörungserzählungen, die von unbestrittenen Fakten ausgehen, gleichzeitig aber behaupten, diese seien bisher geheim gewesen und würden nun enthüllt. Die Rede ist von „Oeconomia“, dem neuen Dokumentarfilm der Regisseurin Carmen Losmann. „Oeconomia“ hatte auf der Berlinale Premiere und wird seither von der Filmkritik gefeiert. Das Geheimnis, das Losmann zu enthüllen verspricht, sind die „Spielregeln des Kapitalismus“ und besonders die, nach der private Banken Geld schaffen können.
Besonders fuchst Piper, dass eine Protagonistin „sogar behauptet“ man lerne an den Unis gar nicht, wie das Geldsystem funktioniert. Das sei Unsinn behauptet Piper. Alle angehenden Volkswirte lernten, das die Banken Geld schaffen, indem sie Kredit vergeben.
Das ist eine Falschbehauptung. Erst seit etwa sechs Jahren sagen die Zentralbanken, dass es keine Verschwörungstheorie ist, dass private Banken Geld aus dem Nichts schaffen. Bis dahin waren sie zufrieden damit, dass die Lehrbücher es so darstellten, als entstünde das Bankengeld auf irgendwelchen komplizierten Wegen, indem Bargeld das eingezahlt wird, über einen vielstufigen Kreditmultiplikator vermehrt wird.
Die Bundesbank versucht über Geldschöpfung aus dem Nichts aufzuklären – vergeblich
Noch 2017 äußerte sich Pipers Kollege Holger Zschäpitz, Senior Finance Editor der Welt und Autor des Bestsellers Schulden ohne Sühne? unter der Überschrift „Warum die Bundesbank jetzt an unserem Geldsystem rüttelt“ empört darüber, dass sich die Bundesbank mit dem Reden von Geldschöpfung aus dem Nichts auf eine Stufe mit “Verschwörungstheoretikern” begebe, in deren Hand dieses Thema bisher fest gewesen sei. Man sieht, die Verschwörungskeule ist sehr vielseitig einsetzbar.
Piper selbst war auch 2018 noch hinreichend verwirrt von der in der Tat verwirrenden und falschen Multiplikatorerzählung der Lehrbücher, um die Geldschöpfung so zu erklären:
„Bankengeld entsteht so: Frau Meier spart 1000 Franken und zahlt die Summe auf ein Konto bei der Credit Suisse ein. Die Bank verleiht davon 900 Franken an Herrn Müller, 100 Franken bleiben als staatlich vorgeschriebene Mindestreserve in der Bankbilanz. Wobei das Geld von Frau Meiers Konto nicht verschwindet. Die 900 Franken sind Geld, das vorher nicht da war, sogenanntes Giralgeld. Das lernt zwar jeder VWL-Student in der ersten Vorlesung über Geldtheorie, in der Wahrnehmung einiger Vollgeld-Anhänger sind dies jedoch „Tatsachen, die uns verschwiegen wurden“ (so ein Tweet). Eine Verschwörung also.
Irgendwie verworren und verwirrend. Die Bank verleiht zwar das Geld der Frau Meier weiter, aber es bleibt auch auf deren Konto. Wie geht das? Auflösung: Der Kredit an Herrn Müller hat nichts mit der Einlage von Frau Meier zu tun, so wie Piper es heute korrekt erklärt. Aber irgendwas ist faul, wenn angeblich jede VWL-Studentin laut Piper (2018) das Falsche, aber laut Piper (2020) auch das Richtige lernt und jede, die etwas anderes behauptet, eine Verschwörungstheoretikerin ist.
Der Prozess der Korrektur der Lehrbücher hat erst angefangen. Die meisten verschleiern die Geldschöpfung noch immer. Wissenschaftlich aufgearbeitet nachzulesen ist das in „Makroökonomische Lehrbücher: Wissenschaft oder Ideologie?“ von Helge Peukert aus dem Jahr 2018..
Piper bemängelt außerdem:
„Kreditgeld ist auch nicht konstituierend für den Kapitalismus. Vor dem Ersten Weltkrieg war Geld gleichbedeutend mit Gold, ohne dass die Wirtschaft dadurch weniger kapitalistisch gewesen wäre.
Hier verwechselt Piper etwas. Gold ist nicht das Pendant zum heutigen Bankengeld. Die Golddeckung bezog sich direkt auf die von der Zentralbank herausgegebenen Banknoten, indirekt auch auf das Bankengeld. Auch zu Zeiten des Goldstandards gab es natürlich Banken-Giralgeld, jede Menge davon. So richtig erfolgreich scheint die Lehre in Sachen Geldsystem nicht gewesen zu sein, die der Volkswirt Piper genossen hat, und auf die er nichts kommen lässt.
Samirah Kenawi antwortet auf die Rezension Pipers
Samirah Kenawi. In der Süddeutschen Zeitung erschien unter dem Titel „Verschwörung“ eine Kritik des Dokumentarfilms „Oeconomia”. Der Autor findet den Film von Carmen Losmann, an dem ich mitgearbeitet habe, zu Unrecht hoch gelobt. Für Nikolaus Piper gibt es keine Verschwörung, die es notwendig macht, Finanzakteuren die „Geheimnisse des Kapitalismus“ in Interviews mühsam abzuringen. Verschwörungen können sich leicht im Denken der Menschen verfestigen. Deshalb will ich wie Piper genauer hinsehen.
Im Film geht es unter anderem um die Giralgeldschöpfung der Geschäftsbanken. Nach Piper ist diese kein Geheimnis. Aber macht es nicht nachdenklich, wenn Thomas Mayer, einst Chefvolkswirt der Deutschen Bank, im Film sagt, man habe sich, was während der Finanzkrise geschah, nicht erklären können? Tatsächlich wurde das Kreditgeldsystem in Deutschland 1870 eingeführt. Doch erst fast 1 1/2 Jahrhunderte später – nach der Finanzkrise 2007/08 – wurde offen darüber geredet.
Was in Lehrbüchern über multiple Geldschöpfung zu finden war, war so verklausuliert, dass manche Bankangestellte noch heute nicht glauben, dass Banken Geld schöpfen; von Laien, für die der Dokumentarfilm gemacht ist, gar nicht zu reden.
Wenn Piper dann nach der Zwischenüberschrift „Geld erzeugt keinen Wachstumszwang, sondern passt sich idealerweise an die Realwirtschaft an“ schreibt: „Das ist, mit Verlaub, hanebüchener Unsinn.“ bezieht er sich nicht auf seine Zwischenüberschrift, sondern auf die gegenteilige Aussage des Films.
Der Film zeigt, in wieweit der Wachstumszwang der das Ökosystem bedroht, aus dem Geldsystem entspringt. Unternehmen wollen, wie im Film an BMW gezeigt wird, Profit machen. Konkret heißt das: Sie wollen mehr einnehmen, als sie für ihre Produktion ausgeben. Die Frage, wie das möglich ist, hat Ökonomen kaum beschäftigt.
Immerhin fragt Marx im Kapital, Band 2, Kapitel 17: „Wie kann nun die ganze Kapitalistenklasse beständig 600 Pfd. St. aus der Zirkulation herausziehen, wenn sie beständig nur 500 Pfd. St. hineinwirft?“ Bisher scheint nur Rosa Luxemburg aufgefallen, dass Marx die Frage nicht beantwortet.
Markus Vogtmann wirft das Problem 2000 erneut auf. Er schreibt: “In einer Modellwirtschaft ohne Staat und Ausland kann der Unternehmenssektor insgesamt nicht mehr einnehmen als er zuvor ausgegeben hat. (…) Monetäre Gewinne können nicht dadurch entstehen, daß der Unternehmenssektor eine Kreditmenge aufnimmt, die bereits die Gewinne des Sektors enthält.“ Doch auch er bleibt eine Antwort schuldig. Diese Fehlstelle offenbart der Film.
Dabei gibt der BMW-Manager eine Antwort. Er erklärt, dass BMW einen Teil seiner Autos per Konsumentenkredit verkauft. BMW schöpft durch diese Kreditvergaben Geld. Diese Geldschöpfung ermöglicht BMW Profit. Hat BMW durch diese Kreditvergabe die Geldmenge der Realwirtschaft angepasst, wie Piper postuliert? Oder ist Geldmengenwachstum notwendige Voraussetzung für private Kreditaufnahme, weil nur stetes Geldmengenwachstum Profite ermöglicht, wie der Film postuliert?
Änderungshinweis: Die Hinweise auf Zschäpitz 2017 und Piper 2018 habe ich drei Stunden nach Erstveröffentlichung des Beitrags eingefügt.