Für eine erfrischend digitalisierungskritische Folge der Büchersendung „Gutenbergs Welt“ des WDR durfte ich einen Beitrag zum Buch von Klaus Schwab und der Digitalisierungsagenda der Konzerne beisteuern, ab Minute 42:15 (von professionellen Sprechern vertont).
Vorher gibt es noch Beiträge zu Marieluise Wolfs Buch „Die Anbetung. Über eine Superideologie namens Digitalisierung“, IlijaTrojanows dokumentarischen Trump-Roman „Doppelte Spur“, eine kurze Lesung aus Anna Wieners „Code kaputt. Macht und Dekadenz im Silicon Valley“ und ein Kritikerinnengespräch mit Nika Bertram über den Report von Daniel Mützel und Theresa Locker „Darknet“.
Hier der (ganze) Text meines in der (nicht mehr verfügbaren) Vertonung leicht gekürzten Beitrags.
Die digitale Agenda des Klaus Schwab: Eine Rezension von „Covid-19: The Great Reset“
Klaus Schwab hat mit Thierry Malleret ein bedeutungsschweres Buch geschrieben: „Covid-19: Der große Neustart“ heißt der Titel ins Deutsche übersetzt. Bedeutsam ist es nicht, weil es viele neue Erkenntnisse enthalten würde. Fast alles darin haben fast alle schon gelesen und gehört — wenn es auch in diesem Buch mit besonders viel Pathos vorgetragen wird.
„Viele von uns fragen sich, wann wird alles wieder normal. Die harte Antwort ist: nie. Nichts wird je wieder zu dem kaputten Gefühl von Normalität zurückkehren, das wir vor der Krise hatten, denn die Coronavirus-Pandemie markiert einen grundlegenden Wendepunkt im Lauf der Welt. (…) Die Welt, wie wir sie noch in den ersten Monaten von 2020 kannten, gibt es nicht mehr, sie hat sich aufgelöst.”
Was wie eine Katastrophenmeldung klingt, ist für Schwab Verheißung. Denn er hat eine Agenda die voraussetzt, dass möglichst viele unserer analogen Gewohnheiten und Strukturen zerstört und durch digitale ersetzt werden. Das reicht vom Einzelhandel, der sich vom Ladengeschäft zu Amazon verlagert, über den Ersatz von Zug und Flugzeug durch Zoom-Meetings, bis zum Umzug von Lehre und Behandlung aus Klassenzimmern, Hörsälen und Praxen auf die Internetplattformen. Wir werden uns bald daran gewöhnt haben, prognostiziert Schwab.
Ganz begeistert ist er darüber, wie die Pandemie die Durchsetzbarkeit von Datenschutz, Konsumentenschutz und anderen Gestrigkeiten durch Regulierer ausgehebelt hat:
„Während der Lockdowns kam es plötzlich zu einer quasi weltweiten Lockerung von Vorschriften, die zuvor den Fortschritt behindert hatten. Was bis vor kurzem undenkbar war, wurde plötzlich möglich, und wir können sicher sein, dass weder die Patienten, die erfahren haben, wie einfach und bequem die Telemedizin war, noch die Regulierungsbehörden, die sie möglich gemacht haben, den Rückwärtsgang einlegen wollen. Der gegenwärtige Imperativ, die „kontaktlose Wirtschaft“ auf jeden Fall voranzutreiben, bedeutet, dass es keine Tabus gibt.
Warum freut das Schwab so? Schwab hat vor knapp 50 Jahren das Weltwirtschaftsforum gegründet, den mächtigen Club der großen multinationalen Konzerne, und leitet ihn seither. Die Mitglieder des Clubs wurden immer reicher und das Forum immer mächtiger. Seit einigen Jahren ist es normal, dass fast alle wichtigen Staatschefs der Welt zum Jahrestreffen des Forums nach Davos pilgern um den Milliardären ihre Aufwartung zu machen.
Viele der finanziell ausgehungerten UN-Organisationen sind heute abhängig vom Geld der Multis und ihrer Stiftungen. Das Weltwirtschaftsforum als deren Sprachrohr wurde sogar als Internationale Organisation anerkannt und darf ganz offiziell in der UN mitreden.
Das gilt schon als so normal, dass es kaum Aufsehen erregte, als Schwab im Sommer, parallel zur Veröffentlichung seines Buches, für das Wirtschaftsforum mit großer Fanfare das Jahr des „Großen Neustarts“ verkündete und ihm dabei nicht nur vom britischen Thronfolger, sondern auch von der Chefin des Internationalen Währungsfonds und sogar vom UN-Generalsekretär assistiert wurde.
All das geschieht um „den Zustand der Welt zu verbessern“, so das Motto des Clubs. Dass die großen Konzerne und ihre Besitzer dabei immer höhere Gewinne machen und immer noch megareicher werden, während sich für die minderprivilegierte Mehrheit der Menschen immer größere Probleme auftun, ist ein Widerspruch, den Schwab nicht aufzulösen versucht. In den Monaten der für sehr viele so verheerenden Corona-Rezession haben die Megareichen, die ihren Reichtum aus digitalen Geschäftsfeldern beziehen, ihre Vermögen so stark gesteigert wie selten zuvor.
Womit wir bei Schwabs digitalen Agenda wären. Die meisten Menschen würden sie als dystopisch bezeichnen, als Horrorvisionen. Schwab kennt diese Sorgen und zitiert sie:
„Das Argument derer, die vor allem fürchten, dass die Technologie die Freiheit beschränkt, ist ganz einfach: Im Namen des Gesundheitsschutzes wird Privatsphäre teilweise aufgegeben, so wie die Terrorattacken des 11. September stärkere und dauerhafte Sicherheitsmaßnahmen im Namen der Sicherheit auslösten. Dann werden wir, ohne es zu merken, Opfer neuer Überwachungsmglichkeiten, die nie mehr weggehen und für dunkle Zwecke eingesetzt werden könnten. Einige Kommentatoren sind überzeugt, dass die Pandemie eine dunkle Zukunft techno-totalitärer staatlicher Überwachung einläutet.
Dass Schwab selbst damit kein Problem hat, ahnt man schon, wenn er die Gefahr der Totalüberwachung mit einer Platitüde beiseite räumt:
„Diejenigen, die regieren und jeder von uns persönlich müssen die Vorzüge der Technologie kontrollieren und ernten, ohne dafür unsere individuellen und kollektiven Werte und Freiheiten aufzugeben.
Wenn man sich bewusst macht, dass das Weltwirtschaftsforum und seine führenden Mitglieder treibende Kräfte hinter globalen Überwachungsinitiativen wie ID2020 und Known Traveller sind, leuchtet schnell ein, warum Schwab die Gefahr der Totalüberwachung trivialisiert. Diese Initiativen sind darauf ausgelegt, dass sich die Einzelnen der Überwachung gerade nicht entziehen können, ja sogar dabei mithelfen müssen.
Das Known Traveller-Projekt hat das Forum 2018 unter anderem zusammen mit der US-Homeland-Security ausgeheckt. Das Grundprinzip klingt datenschutzfreundlich, ist aber das Gegenteil. Um mit minimalem Zeitaufwand durch Kontrollen am Flughafen oder Bahnhof zu kommen, meldet man sich online an und übersendet seine biometrischen Daten, zum Beispiel ein Gesichtsfoto. Dann können einen die Kameras an Flughafen oder Bahnhof erkennen.
In einer fest mit diesen biometrischen Daten verknüpften Datenbank, über die man allein die Kontrolle hat, sammelt man Dokumente und Informationen, die belegen, wer man ist und was man so macht. Den Kontrolleuren gestattet man vorab Zugriff nur auf die von diesen verlangten Daten. Dann kann man einfach durch die Kontollen marschieren.
Am Anfang ist das vielleicht freiwillig. Aber das Machtgefälle zwischen denen die die Daten haben wollen, und denen, die angeblich frei entscheiden können, welche Daten sie wem preisgeben, ist mit Händen zu greifen. Irgendwann gilt: wer nicht alle Daten preisgibt, die die Kontrolleure haben wollen, darf sich frei entscheiden, zu Hause zu bleiben. Der Zugang zum Eurostar-Zug in London läuft bereits nach dem Known Traveller-Prinzip.
Auch die digitalen Impfausweise, die derzeit zur Organisation des Flugverkehrs in Pandemie-Zeiten konzipiert werden, gehen in die gleiche Richtung. Das Known Traveller-Prinzip soll ausdrücklich später auch auf alle möglichen anderen Lebensbereiche Anwendung finden.
Known Traveller fügt sich ein in den größeren Rahmen, den wichtige Mitglieder und Kooperationspartner des Forums wie Microsoft, Rockefeller Stiftung, Accenture und die Impfallianz Gavi 2017 aufgespannt haben – mit einer Initiative namens ID2020. Diese strebt an, jeden Erdenbürger biometrisch eindeutig mit einer digitalen Datenbank zu verknüpfen, die alle Daten über diese Person, die nach Ansicht der Digitalkonzerne und Sicherheitsbehörden relevant sind, leicht und verlässlich abrufbar und ntzbar macht.
Natürlich nur um allen Menschen bessere Dienste und Produkte bieten zu können und den Zustand der Welt zu verbessern, versteht sich.
Um mit Walter van Rossum, Moderator des WDR3 Literatumagazin Gutenbergs- Welt zu sprechen:
Bleiben Sie analog!
Rezension von „Covid-19: The Great Reset“ von Klaus Schwab und Thierry Malleret