Schnauze, Alexa! Ich kaufe nicht bei Amazon – Eine Lesprobe

Bald ist wieder Weihnachten und millionenfach werden Geschenke „im Internet“ bestellt. Das wird immer mehr zum Synonym für „bei Amazon“ bestellt. Mit seiner Streitschrift „Schnauze, Alexa! Ich kaufe nicht bei Amazon“, die vor kurzem beim Westend-Verlag erschienen ist, macht Johannes Bröckers uns ein schlechtes Gewissen, wenn wir diesen bequemen Weg gehen. Denn Amazon macht seine Gewinne auf dem Rücken der Arbeitnehmer, der Umwelt, der Steuerzahler und von Deutschlands mittelständischer Wirtschaft. Hier eine Leseprobe, in der Johannes Bröckers beschreibt, wie Amazon seine Marktmacht ausspielt.  

Der kleine Einzelverkäufer drückt pro verkauftem Artikel eine Umsatzbeteiligung und eine Grundgebühr an Amazon ab. Vielverkäufer oder Power-Händler schalten für ihren Marktplatz ein Abo für derzeit 39 Euro im Monat und können auf Wunsch auch noch die Lager- und Logistikservices dazu buchen, wenn sie für die Lieferung an ihre Kunden eines der Amazon Fulfillment Center nutzen wollen. Den Zahlungsverkehr wickelt Amazon ab, und die erzielten Erlöse werden abzüglich Gebühren und Verkaufsprovision dem Verkäufer gutgeschrieben. Das klingt doch erst mal prima: für den Kunden, dem dieser Marktplatz eine riesige Auswahl von Produkten offeriert, und für die Händler und Verkäufer, denen sich die Chance eröffnet, in vielen Ländern dieser Welt über 300 Millionen Amazon-Kunden zu erreichen. Vielfalt, Wettbewerb und Konkurrenz, die das Geschäft belebt – da scheint doch im besten kapitalistischen Sinne alles in Ordnung zu sein, wenn Jeff Bezos davon schwärmt, dass auf seinem Marktplatz für jeden Unternehmer (Umsatz-)Träume wahr werden.

Traumhaft sind auf jeden Fall die Renditen, die Amazon auf seinem Marktplatz erwirtschaftet. Für die Lieferanten, die Amazon direkt beliefern, oder die kleinen und größeren Marktplatzhändler, die ihr Glück auf dieser E-Commerce-Plattform suchen, gibt es da schon deutlich weniger Anlässe für Träumereien. Die Lieferanten, die Ähnliches wahrscheinlich auch schon von ihren Geschäftsverbindungen zu den großen Warenhäusern in der analogen Welt kennen, werden natürlich mit harten Lieferverträgen und Handelskonditionen geknebelt und maximal geschröpft. Kundenorientierung zum immer günstigsten Preis geht bei Amazon selbstverständlich nie auf Kosten der eigenen Handelsspanne, sondern zu Lasten der Lieferanten, die gefälligst auch noch ihre Preise drücken sollen. Davon weiß jeder Lieferant ein Lied zu singen. Neben den Produkten selbst müssen alle erdenklichen Produktdaten geliefert werden, Garantien bezüglich Lieferbarkeit und zur eingeforderten Schnelligkeit der Lieferungen, Bedingungen zur Rücknahme aller Kundenretouren mit voller Gutschrift plus den entstehenden Frachtkosten, Marketingzuschüsse, härteste Anlieferungsbedingungen und vieles mehr. Aber auch die »freien« Händler auf diesem Marktplatz haben nicht unbedingt viel zu lachen. Händlern im Billigbereich, die hier ihre Ein-Euro-Artikel verticken, kann es passieren, dass sie abzüglich Mindestverkaufsgebühr, Handels­provision und Steuern schnell mal ein Minusgeschäft machen. Dumm gelaufen.

Und weil der listige Jeff nicht nur seine Kunden immer differenzierter durchleuchtet, sondern auch die Händler auf seinem Marktplatz genau im Blick hat, nutzt er den Amazon Marketplace im Grunde wie ein Forschungs-, Trend- oder Entwicklungslabor, für das er keinen Cent bezahlen muss, weil das ja seine Händler für ihn erledigen. Entpuppt sich beispielsweise das Produkt eines Marketplace-Händlers als rentabler Verkaufshit, beginnt Amazon damit, dieses Produkt in Eigenregie zu produzieren, kickt den Bestseller des kleinen Konkurrenten aus dem Markt oder kauft gleich den ganzen Laden auf und verleibt ihn seinem Imperium ein.

Der Rest der Händler darf weiter Wettbewerb spielen und dafür neuerdings auch noch die Amazon Marketing Services nutzen, mit denen sich Amazon im Schweinsgalopp Anteile am großen Online-Werbekuchen sichert. Damit kann man beispielsweise als Kaffeelieferant eine Werbung kaufen, die das eigene Produkt unter dem Kaufbutton eines Mitbewerbers platziert, um den eigenen Kaffee nun preiswerter, aromatischer oder bekömmlicher zu präsentieren. Der Mitbewerber kann und soll nun ebenfalls auf diesen Werbeplatz bieten, um den lästigen Konkurrenten wieder zu verdrängen, und wenn er mehr zahlt – Google lässt grüßen – holt er sich die Werbefläche wieder zurück. Ein mörderisches Spiel, bei dem es am Ende wieder drei zu null für Jeff Bezos steht, denn Amazon verdient an der Marktplatzgebühr, der Verkaufsprovision und am Wettbewerb um die besten Werbe- und Verkaufsplätze. Amazon ist nicht nur der größte Händler dieses Marktplatzes, sondern sein Besitzer – und der bestimmt nun mal die Spielregeln. Amazon entscheidet, wer auf diesem Marktplatz in der 1a-Lage verkaufen darf und wer sich weiter hinten einzureihen hat oder gleich ganz vom Handel ausgeschlossen wird. Fairer Wettbewerb sieht anders aus, denn eigentlich ist dieser Marktplatz eine gigantische Monopoly-Maschine, die einzig den Platzhirsch immer mächtiger und fetter macht.

Als Inspiration für die Namensgebung seines Unternehmens diente Jeff Bezos der Amazonas, der mächtigste und wasserreichste Fluss der Welt. Dem Amazonas gleich hat mittlerweile Jeff Bezos den mächtigsten Warenfluss der Welt in Gang gesetzt, der inzwischen auch ein gigantischer Geldstrom ist, der immer nur in eine Richtung fließt. Trotzdem ist für Jeff Bezos noch immer jeder neue Tag »day one«. Der erste Tag. Das kann man aus seinem Mund getrost als ernst zu nehmende Drohung verstehen, denn er meint damit: Wir stehen gerade erst am Anfang. Bevor Jeff Bezos Amazon startete, war er schon als erfolgreicher Hedgefonds-Manager in New York unterwegs, das heißt, er wusste, wie das Börsenbusiness funktioniert. Über viele Jahre reinvestierte der Amazon-Chef jeden Dollar, den er verdient hat, in die Weiterentwicklung seines Unternehmens. Gleichzeitig gelang es ihm als guter Geschichtenerzähler – trotz hoher Verluste, Dotcom-Blase und kleineren Rückschlägen –, immer wieder das Vertrauen der Börse zu gewinnen und damit frisches Kapital zu akquirieren. Mit dem doppelten Effekt, sein Unternehmen in rasantem Tempo ständig weiter auszubauen und wegen der hohen Verluste, die seine Bilanz auswies, niemals Steuern und auch keine Rendite an die Aktionäre zu bezahlen. Igitt.

Schon seinen Stammsitz Seattle wählte er damals wegen der günstigen Unternehmenssteuersätze aus. Inzwischen hat Seattle ein ähnliches Problem wie San Francisco, wo Google, Apple und Co. zu Hause sind. Die großen Konzerne bringen zwar auch Wohlstand in die Stadt, aber die ärmeren Menschen bleiben auf der Strecke und landen auf der Straße, weil sie die rasant steigenden Mieten nicht mehr bezahlen können. Um dieses Problem zu bekämpfen und den sozialen Wohnungsbau zu fördern, beschloss der Stadtrat von Seattle kürzlich, eine Head-Tax einzuführen. Große Unternehmen wie Starbucks oder Amazon sollten pro Mitarbeiter und Arbeitsstunde eine lokale Steuer von 26 Cent bezahlen. Für Amazon, das wertvollste Unternehmen der Welt, hätte dies eine zusätzliche Steuerlast von lächerlichen 20 bis 30 Millionen Dollar im Jahr bedeutet. Undenkbar. Amazon drohte mit dem Stopp von Bauprojekten und übte so lange Druck aus, bis der Stadtrat die Steuer wieder fallen ließ. Das Beispiel zeigt, wes Geistes Kind der superreiche Jeff ist. Echt arm.

Johannes Bröckers: Schnauze, Alexa! – Ich kaufe nicht bei Amazon, Vorsicht! Dieses Buch liefert überzeugende Argumente. Westend, 7,50 Euro

P.S. Lesereinnenhinweis: Da ich alt genug bin, mich daran zu erinnern, dass es vor Amazon durchaus auch schon Internetversandhandel gegeben hat, fiel mir schließlich die Lösung ein: Ich besuche die Internetseite idealo.de,die als Metacrawler sämtliche Seiten, die den von mir gewünschten Artikel anbieten, auflistet. Amazon und Ebay lasse ich dann weg, und aus dem Rest wähle ich das mir zusagende Angebot, welches mir dann ebenfalls zugeschickt wird. Dann muss man nur noch aufpassen, dass man bei den angebotenen Zahlungsmethoden nicht gerade „Bezahlen Sie mit Ihrem Amazonkonto“ wählt und auch Paypal sollte man tunlichst vermeiden. Aber es gibt sehr häufig noch viele andere Optionen, wie Kaif auf Rechnung, Vorkasse, Nachnahme usw. Dieser Weg scheint mir das kleinere Übel zu sein, obwohl ich ansonsten vollständig einig mit Ihnen bin, dass Bargeld die beste Option ist. Vielleicht macht es Sinn, Bröckers Leser auf diese Idee zu bringen, auf die vielleicht nicht jeder von alleine kommt? Kirsten Grote

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