Warum Varoufakis so erbittert bekämpft wurde und warum er sich auf Tim Geithner berufen kann

Yanis Varoufakis wurde schnell zur unerwünschten Person auf dem diplomatischen Parkett Europas. An Lederjacke und offenem Hemd lag es nicht. Er brach Tabus und war nicht zu korrumpieren. Nun packt er aus, und wird in seiner Version sogar vom ehemaligen US-Finanzminister gestützt.

„Meine Bestimmung ist es, die Dinge beim Namen zu nennen“, brachte Yanis Varoufakis auf den Punkt, was ihn antreibt, schon bevor er Finanzminister wurde. Er tat das als Finanzminister Griechenlands nur ein wenig diplomatischer und jetzt so offen wie nie.

Als prägnanter und kundiger Analytiker und Kommentator der griechischen Krise hatte sich der Sohn eines marxistischen Chemieprofessors, der die marxistische Denkweise schon als Jugendlicher einübte, einen beträchtlichen Bekanntheitsgrad und einen großen Fanclub erworben, weit über akademische Zirkel und weit über Griechenland hinaus. Er hatte den sozialdemokratischen Oppositionschef Giorgos Papandreou beraten, zog sich dann aber 2006 wieder in die akademische Welt, an die Universität von Texas zurück und kritisierte Papandreous Krisenpolitik scharf. Alexis Tsipras lud ihn ein, für die linke Syriza-Partei zu kandidieren, was er äußerst erfolgreich tat, und machte ihn zum Finanzminister.

Varoufakis schien prädestiniert für den Job des Chefunterhändlers mit den Gläubigern. Immerhin war er Spezialist in Spieltheorie, bei der es darum geht, strategische Verhandlungssituationen zu analyisieren und optimale Strategien herauszufinden. Er hatte es in der akademischen Welt zu mittlerem Erfolg gebracht, weil er sich von Anfang an bewusst auf die mathematisch und anderweitig unpolitisch orientierten Felder der Ökonomie konzentriert hatte, in denen er nicht befürchten musste, wegen seiner marxistischen Überzeugungen ausgebremst zu werden.

Doch etwas zu früh hatte er im Zuge seiner Kommentierung der Griechenlandkrise den Schleier gelüftet, und sich so der Möglichkeit beraubt, in den Verhandlungen überzeugend den zahmen und konstruktiven, linksliberalen Ökonomen zu mimen. Man darf davon ausgehen, dass seine Verhandlungspartner Varoufakis „Bekenntnisse eines erratischen Marxisten“ gelesen haben, die er 2013 abgelegt hatte. So erfuhren „die europäischen Eliten, die sich entschieden haben, das schrumpfende Hab und Gut der Schwachen und Entrechteten zu plündern, um die schwarzen Löcher ihrer bankrotten Banker zu stopfen“, dass ihr Verhandlungspartner der Überzeugung war, „dass die höheren Mächte sich nie von Annahmen beeindrucken lassen, die nicht die eigenen sind, dass man den Mainstream nur erschüttern kann, indem man dessen Widersprüche von innen aufdeckt.“

Da half es auch nicht mehr, dass Varoufakis die Währungsunion und den Kapitalismus retten helfen wollte, obwohl er „diese EU“ für ein „fundamental undemokratisches, irrationales Kartell“ hält, das „Europa auf den Pfad der Menschenfeindlichkeit, des Konflikts und der Dauerrezession gebracht hat“. Das hatte er in seinen Bekenntnissen aus dem Jahr 2013 entschuldigend an die radikalen Linken unter seinen Fans gerichtet Damit erklärt, dass „diejenigen unter uns, die die Währungsunion verabscheuen, eine moralische Verpflichtung haben, sie zu retten.“ Denn ihr Auseinanderbrechen würde den europäischen Kapitalismus in eine schwere Krise stürzen, und davon würde nur die extreme Rechte profitieren, nicht die Linke, war er überzeugt.

Doch so wie Varoufakis und die griechische Regierung die „Hilfs“- und „Rettungs“-Programme der Gläubiger weder als Hilfe, noch als Rettung, sondern als Konkursverschleppung zugunsten der privaten Banken ansahen, sahen die Gläubiger Varoufakis moderate Vorschläge als trojanisches Pferd, als seinen Versuch, der Bevölkerung in anderen Krisenländern zu zeigen, dass es gute Alternativen zum Sparen und unpopulären Reformen gab – und so die Phalanx der er sich Griechenland gegenübersah zu spalten.

Während man Alexis Tsipras den Verzicht auf eine Krawatte zu seinem feinem Zwirn mit einem milden Lächeln verzieh, riefen Varoufakis Lederjacken und seine leger heraushängenden Hemden offene Feindseligkeit hervor. Dass er seine dadurch im direkten Vergleich etwas spießig aussehenden Kollegen mit seinem Sex-Appeal neidisch machte, dürfte nicht der Grund gewesen sein. Mit gutem Aussehen kann auch der jugendliche Regierungschef Tsipras punkten. Nein, der Grund war, das Varoufakis damit die Abgrenzung und Ablehnung ausdrückte, die er empfand, als er 2013 anfing berühmt zu werden und schrieb: „Das Gefühl der Selbstzufriedenheit daraus, von den Hohen und Mächtigen hofiert zu werden, begann gelegentlich in mir hochzusteigen. Was für ein anti-radikales, hässliches, korrumpierendes und zerstörerisches Gefühl das war.“ Er wollte sich mit seiner Rebellenkleidung gegen „das warme Glühen der Aufnahme in die Korridore der Macht“ absichern.“ Nicht nur das warme Glühen blieb aus, schon die Aufnahme in diese Korridore der Macht blieb ihm verwehrt.

Varoufakis Kollege von der Universität Texas, sein Freund und Berater, der US-Ökonom James Galbraith, Sohn des berühmten linken Ökonomen John K. Galbraith, lässt keinen Zweifel daran, dass die persönlichen Vorwürfe gegen Varoufakis wegen dessen angeblicher Arroganz, Selbstverliebheit und Kompromisslosigkeit für Vorwände hält:

Das sind amüsante Vorwürfe für mich, weil die gleichen oft gegen meinen Vater vorgebracht wurden, weil er die Verwegenheit besaß, an der Weisheit des Vietnam-Krieges zu zweifeln“ erwidert er. „Die Geschichte hat ihre eigene Art, derartige Fehleinschätzungen zu korrigieren.“

Galbraith berichtet von Varoufakis Treffen mit Schäuble am 8. Juni, bei dem er dabei war: „ich kann berichten, dass das Treffen, das eineinhalb Stunden dauerte, extrem freundlich war und man sich gegenseitig respektvoll begegnete“ und folgert: „Ich habe keinen Grund anzunehmen, dass Yanis sich in anderen Sitzungen arrogant verhielt und es gibt auch keine Belege für eine solche Behauptung.

Keinen Widerspruch äußert Galbraith bezüglich eines anderen häufig gehörten Vorwurfs: Varoufakis habe doziert und dabei die eigene Analyse als einzig wahre dargestellt.

Die griechische Position in den Verhandlungen basierte auf den materiellen Fakten des griechischen Lebens: die Maßnahmen von fünf Jahren Krisenpolitik waren gescheitert und mussten geändert werden. Die Gegenposition basierte auf der engstirnigen Verteidigung früher abgeschlossener ‚Vereinbarungen‘ und der Weigerung derer, die diese Maßnahmen durchgesetzt hatten, zuzugeben, dass sie nicht funktionierten“,

beschreibt er die Konfrontation zwischen Varoufakis und den übrigen Finanzministern des Euroraums und folgert:.

Es gab also tatsächlich einen materiellen Unterschied zwischen ‚Wahrheit‘ und ‚Irrtum‘, mit wichtigen Konsequenzen für die Legitimität der jeweiligen Positionen.“

Natürlich seien die versammelten Finanzminister nicht daran gewöhnt, dass ihre Positionen in Zweifel gezogen wurden, „aber das stellt nur ihnen selbst ein schlechtes Zeugnis aus“, weist Galbraith den Vorwurf zurück, Varoufakis habe durch undiplomatisches Verhalten unnötig Porzellan zerschlagen.

Varoufakis beharrte in den Verhandlungen darauf, dass Griechenland schon lange hoffnungslos überschuldet sei, und wollte auf dieser Basis verhandeln. Damit unterschied sich seine Verhandlungsführung elementar von der anderer Krisenregierungen, wie der irischen oder spanischen, die die Grundidee der angebotsorientierten Reform- und Sparprogramme anerkannten und dafür mit beträchtlichen Zugeständnissen belohnt wurden. Irland durfte die Sanierung seiner Banken mit einem Kredit von der irischen Zentralbank bezahlen, der – wenn überhaupt – erst in einer Generation zurückgezahlt werden muss. Bedenken gegen diese monetäre Staatsfinanzierung, die gegenüber Griechenland schon schlagend werden, wenn Geschäftsbanken Staatschuldtitel kaufen wollen, wurden selbst von Falken wie dem Bundebankpräsidenten nur sehr leise geäußert. Für die kooperative spanische Regierung wurden 2013 die Sparvorgaben gelockert und deren spätere Nichteinhaltung mit maßvoller Kritik bei gleichzeitiger Belobigung der gemachten Anstrengungen, toleriert.

Für Varoufakis ist derart zweierlei Maß ein Beweis dafür, dass es seinen Verhandlungsgegnern nicht um die Sache geht, sondern darum einer linken Regierung, die die Politik der übrigen Regierungen in Europa in Frage stellt, keinen Erfolg zu gönnen, damit nicht auch in anderen Ländern Zweifel an der Notwendigkeit harten Sparens und angebotsorientierter Reformen an Boden gewinnt. Für die Gegenseite ist es die unvermeidliche Konsequenz eine Fundamentalopposition von Syriza und Varoufakis in den Verhandlungen, die den Gegenübern böse Absichten unterstellte und ihre Argumente nicht gelten lies. Das war es wohl, was der Slovakische Finanzminister Peter Kazimir ausdrücken wollte, als er am 13. Juli nachdem Tsipras nach 17-sütndigen Verhandlungen am Morgen die Vereinbarung mit dem EU-Gipfel unterzeichnet hatte, twittert:

Die Vereinbarung mit Griechenland ist hart, weil sie das Ergebnis von deren griechischem Frühling ist.

Viele verstanden den Tweet jedoch als Eingeständnis, dass es um die Bestrafung der Griechen für einen Aufstand gegen Despotie gegangen sei. Kazimir löschte den Tweet und ersetzte in einer neuen Version „griechischen Frühling“ durch „Syriza-Frühling.“ Besser wird es dadurch eigentlich nicht.

Varoufakis trat er am 6. Juli zurück, obwohl das griechische Volk am Vortrag mit großer Mehrheit in einem Referendum das Spar- und Reformpaket der Geldgeber abgelehnt hatten, sie wie Varoufakis und Tsipras das wollten. Er sei nicht gut gelitten gewesen, bei seinen Kollegen, und wollte durch seinen Rücktritt Tsipras Chancen verbessern, mit dem Referendum im Rücken ein günstige Vereinbarung herauszuholen, erklärte er damals den überraschenden Schritt.

Seit Tsipras einer Vereinbarung zugestimmt hat, die in vielem noch deutlich schlechter ist, als das was Tsipras und Varoufakis den Griechen vorher empfohlen hatten, abzulehnen, hat sich die Erklärung geändert. Tsipras sei nicht bereit gewesen, die Konsequenz aus der Ablehnung des Pakets zu ziehen und zu zeigen, dass Athen bereit wäre, Griechenland aus der Währungsunion zu führen, wenn nötig. Varoufakis wollte Schuldscheine ausgeben, um den Geldmangel zu beheben und die Bank von Griechenland unter staatliche Kontrolle bringen. Er setzte sich nicht durch und trat deshalb zurück, lautet nun seine Erklärung.

Schäuble wirft er vor, nie an einem echten Kompromiss interessiert gewesen zu sein. Die Finanzminister, die nach Schäubles Pfeife tanzten, hätten Varoufakis konstruktive Vorschläge zwar angehört, seien aber nie darauf eingegangen und hätten danach den Medien gesteckt, die Griechen hätten keine sinnvollen eigenen Vorschläge. Tatsächlich hätte Schäuble die ganze Zeit den Plan verfolgt Griechenland aus dem Euro zu drängen, und verfolge ihn wohl immer noch. Ein Grexit hätte den Startschuss für die Neugestaltung Europas geben sollen, schreibt Varoufakis. Griechenland sollte aus der Euro-Zone gedrängt werden. Es handle sich um eine „rituelle Aufopferung eines Mitgliedstaats“. „Eine kontrollierte Eskalation der jahrelangen griechischen Leiden, die durch geschlossene Banken verschärft“ würde. Der von Schäuble geplante Umbau, so Varoufakis, ziele unter anderem darauf, einen „Haushalts-Oberaufseher“ für die Euro-Staaten zu bestimmen, der über ein Vetorecht gegen nationale Haushalte verfügt. Statt der von den Franzosen gewollte Fiskalunion mit Betonung des Finanzausgleichs wolle Schäuble eine Union der Haushaltsregeln und Reformvorgaben durchsetzen, mit ein bisschen Transfers. Ein gewisses Maß an Nervosität der Finanzmärkte aufgrund eines Grexit würde entscheidend dazu beitragen, die anderen Finanzminister gefügig zu machen. Im O-Ton: „Auf der Grundlage monatelanger Verhandlungen bin ich davon überzeugt, dass der deutsche Finanzminister will, dass Griechenland aus der Währungsunion herausgedrängt wird, um den Franzosen das Fürchten zu lehren und sie zu zwingen, sich seinem Modell einer Euro-Zone zu unterwerfen, in der strenge Disziplin herrscht.“

Schon ganz zu Anfang der Verhandlungen habe Schäuble ihn gefragt, wie viel Geld Athen als Gegenleistung für einen Austritt aus der Währungsunion haben wolle, schreibt Varoufakis.

Es gibt eine hochkarätigen Kronzeugen für Varoufakis These von Schäubles langjährigem Grexit-Plan, den früheren US-Finanzminister Tim Geithener. In seinem 2014 erschienenen Buch „Stress Test“ schreibt Geithner über seinen Besuch bei Schäuble auf Sylt im Sommer 2012:

Er sagte mir, es gäbe immer noch viele in Europa, die dachten, die Griechen aus der Währungsunion zu werfen, sei eine plausible – ja sogar wünschenswerte – Strategie. Die Idee, war, dass, wenn Griechenland draußen wäre, die Deutschland eher bereit wäre, die finanzielle Unterstützung zu leisten, die der Euroraum brauchte, weil die Deutschen dann nicht länger Hilfen für Europa als Herauspauken der Griechen interpretieren würden. Gleichzeitig wäre ein Grexit traumatisch genug, um dem Rest Europas die nötige Furcht einzuflößen, damit es mehr Souveränität für eine stärkere Bankenunion und Fiskalunion aufgibt. Griechenland brennen zu lassen, so das Argument, würde es leichter machen, ein stärkeres Europa mit glaubwürdigeren Brandschutzmauern zu errichten. Ich war schockiert von dieser Argumentation.“

Wie gesagt, das war 2012, vor drei Jahren.

Links zu Varoufakis jüngsten Interviews und Gastbeiträgen:

Dr. Schäubles Plan für Europa

Interview im New Statesman – deutsch

Why I voted no

Europe’s vindictive privatization for Greece

Griechenlands Ex-Finanzminister Varoufakis: „Wir haben Fehler gemacht“

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