Eine ungemein hellsichtige Rede aus Anlass der Einführung des Euro 1998

In der Bundestagsdebatte zur Einführung des Euro 1998 sagte Gregor Gysi, damals PDS, aus genau den richtigen Gründen die zunehmende Spaltung Europas und den Aufstieg des fremdenfeindlichen, rechten Populismus voraus, als Folge einer Politik, die darauf setzte, mit dem Euro erst deutsche Exporterfolge zu ermöglichen und dann in den anderen Ländern eine Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit zu erzwingen.

Der Deutschlandfunk brachte die Rede in dem sehr interessanten Beitrag „Reden zu Europa: 1998 bis 2016 – Was ist mit Dir los humanistisches Europa…?“ Es treten daneben unter anderem auch Angela Merkel und Papst Franziskus auf.

Gysi beklagt zunächst das Demokratiedefizit des Euroraums und kommt dann zu seinem Kernpunkt.

Ob Frau Matthäus-Maier, ob die Sprecherin der Grünen, CDU und CSU oder FDP, alle würdigen am Euro, dass die Exportchancen Deutschlands sich erhöhen würden. Wenn das dann so wäre, wenn das dann so ist, dann müssen doch andere Produktionsunternehmen in anderen Ländern darunter leiden, anders ginge es doch gar nicht. D.h. wir wollen den Export Deutschlands erhöhen und damit die Industrie in Portugal und Spanien und anderen Ländern schwächen. Die werden verostdeutscht, weil sie diesem Export nicht standhalten können. (…) Wer europäische Integration will, der muss europäische Angleichungsprozesse einleiten. Dazu würde gehören, die Steuern zu harmonisieren, dazu würde gehören, die Löhne anzugleichen, die Preise anzugleichen, soziale, ökologische, auch juristische Standards anzugleichen. (…) Wenn Sie das alles nicht machen, wenn Sie das politisch nicht leisten und statt dessen sagen, wir führen eine Einheitswährung ein, um die Angleichungsprozesse zu erzwingen, dann sagen Sie doch nichts weiter, als dass Sie ganz bewusst Lohnwettbewerb, und das heißt in Wirklichkeit Lohndumping, Kostendumping, organisieren wollen.(..) Und wer so etwas organisiert, der – behaupte ich – organisiert nicht nur Sozial- und Lohnabbau, sondern er organisiert auch zunehmenden Rassismus. (…)

Ich selbst habe damals nichts von alldem geahnt. Ich war uneingeschränkt für den Euro und schäme mich heute ein bisschen für meine damalige Naivität.

[23.7.2017]

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