Eine parlamentarische Untersuchungskommission in Irland hat in einem langen Report nachgezeichnet, mit welch undemokratischen und perfiden Mitteln die Europäische Zentralbank (EZB) zwei irische Regierungen gezwungen hat, zugunsten deutscher und französischer Banken die privaten Schulden der irischen Banken den Bürgern Irlands gegen deren Willen aufzuladen. Es ist ein Lehrstück.
Ende Januar hat die Untersuchungskommission des irischen Parlaments ihren zweibändigen Bericht vorgelegt. Darin bezichtigt sie indirekt zwei EZB-Präsidenten, Jean-Claude Trichet und Mario Draghi der Lüge, denn diese hatten jeweils gesagt, die irische Regierung habe allein entschieden und zu verantworten, dass die Steuerzahler die privaten Schulden irischer Banken übernehmen mussten. Die EZB habe sie nicht gezwungen. Das war gelogen, es sei denn, man akzeptiert auch die Erklärung eines Geiselnehmers, er habe niemand gezwungen, Lösegeld zu zahlen, das sei ganz allein dessen Entscheidung gewesen.
Zu Beginn betont der Bericht des Untersuchungsausschusses, dass die EZB sich einer Zusammenarbeit verweigerte. Sie fühlt sich den Volksvertretern einer Nation gegenüber nicht verantwortlich, obwohl etwa der Vizediektor der Europaabteilung des Internationalen Währungsfonds (IWF), Ajai Chopra, der beim IWF die Konzeption und Überwachung des irischen Torika-Programms für Irland verantwortete, vor dem Ausschuss aussagte (alle Zitate meine Übersetzung):
„Die EU und die EZB stellen oft, europaweite Belange über das, was aus Sicht des einzelnen Landes angemessen ist. Das offensichtliche Beispiel ist die Lastenteilung mit vorrangigen, nicht-besicherten Anleihegläubigern (Irlands), bei der die europäischen Institutionen sich auf europäische Belange konzentrierten, selbst wenn das eine höhere Belastung für irische Steuerzahler und eine höhere irische Staatsschuld bedeutete…und … es ist verständlich, dass es in Irland eine starke Meinung gibt, dass die Lastenteilung zwischen den irischen Steuerzahlern und den Bankengläubigern unfair war.“
Der IWF-Mann stellte auch fest, dass die EZB die Ansteckungsgefahr aus Sicht des IWF stark übertrieben habe.
Die irische Seite schätzt, dass man den Anleihegläubigern legaler- und praktikablerweise Verluste von knapp 10 Mrd. Euro hätte zumuten können. Entsprechend niedriger wären die Schulden ausgefallen, die der Staat für die Bankenrettung hätte aufnehmen müssen. Es sind Kosten von etwa 1500 Euro pro Einwohner, die die EZB den Iren aufzwang, um die Gläubiger der irischen Banken, vor allem deutsche und französische Finanzinstitute vor Verlusten zu bewahren.
Wie die EZB das tat ist äußerst bemerkenswert. Es zeigt, dass eine Regierung, die die Kontrolle über das nationale Finanzsystem an die EZB abgegeben hat, dieser auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist.
Es fing an im Oktober 2010. Die EZB schrieb der irischen Regierung einen Brief, in dem sie eine Fortsetzung der Gewährung von Notliquidität an die irischen Banken unter anderem von einem wirtschaftspolitischen Anpassungsprogramm abhängig machte. Ende des Monats reiste Finanzminister Lenihan mit einigen Beamten nach Brüssel um mit der EU-Kommission und der EZB zu reden. Finanzstaatssekretär Kevin Cardiff beschrieb das so: „Den ersten Teil des Treffens bestritt die EU-Kommission allein, um die Fiktion aufrecht zu erhalten, dass die EZB nur dabei sei, um über Bankangelegenheiten zu reden.“
Dann seinen Jügen Stark und Klaus Masuch dazugekommen. Sie hätten einen Restrukturierungsplan für den Bankensektor gefordert, der von Haushaltskürzungen („Anpassungen“ im EZB-Neusprech) begleitet werden müsse.
Der damalige Ministerpräsident Brian Cowen berichtet, der EZB-Rat habe am 2. November 2010 entschieden, er könne die hohen Kredite an die irischen Banken nicht mehr aufrechterhalten. Am selben Tag hätten Quellen aus der EZB und der EU in Hintergrundgesprächen mit Medienvertretern Berichte in die Welt gesetzt, wonach Irland ein Rettungsprogramm brauchen werde, und dass die Gespräche darüber bereits liefen. Die irische Seite sei alles andere als erfreut gewesen, derart unter Druck gesetzt zu werden, indem die Medien genutzt wurden, ihre Position zu unterminieren. „Demokratische Systeme sollten nicht darauf zurückgreifen, Reputationen zu zerstören und in anonymen Briefings Falschinformationen zu verbreiten“, sagte Cowen dem Ausschuss.
Dann setzte der irische Notenbankchef noch eins drauf. Am Wochenende des 13. und 14. November 2010 hatten zwei Minister öffentlich betont, dass die Regierung kein Rettungsprogramm bei der Troika beantragen wolle. Vier Tage später sagte Notenbankgouverneur Patrick Honohan in einem Telefoninterview von Frankfurt aus der irischen Öffentlichkeit, dass er erwarte, die Gespräche mit der Troika würden zu einem sehr substantiellen Rettungsprogramm führen. Honohan redete sich später damit heraus, er habe in Frankfurt nicht so recht mitbekommen, wie sich die Regierung öffentlich positioniert habe.
Minister Lenihan nahm es offenbar duldsam hin. „Der Gouverneur hat seine eigenen Zwänge. Er ist ein Mitglied der EZB. Er ist unabhängig“, soll er etwas später vor seiner Beraterin Cathy Herbert über die unerfreuliche Episode gesagt haben.
Am 20. November, nochmals zwei Tage später, bekam der Finanzminister einen Brief von EZB-Präsident Jean-Claude Trichet mit vier ultimativen Forderungen. Wenn diese nicht erfüllt würden, würden die ELA-Notkredite an die Banken gekappt, und diese damit effektiv geschlossen. Die Bedingungen reichten weit in die allgemeine Wirtschafts- und Sozialpolitik hinein. Er diktierte:
„1. Die irische Regierung wird einen Antrag auf Finanzhilfe an die Eurogruppe stellen.
2. Der Antrag wird eine Selbstverpflichtung zu entschiedenem Handeln enthalten, auf den Gebieten der fiskalischen Konsolidierung, struktureller Reform und Restrukturierung des Finanzsektors in Übereinstimmung mit der EU-Kommission, dem Internationalen Währungsfonds und der EZB.
3. Der Plan für die Restrukturierung des irischen Finanzsektors wird die Bereitstellung des nötigen Kapitals an die irischen Banken beinhalten, die dieses brauchen, und wird aus den finanziellen Mitteln bestritten, welche die irische Regierung von der europäischen und internationalen Ebene erhält, sowie aus den Mitteln die der irischen Regierung derzeit zur Verfügung stehen, einschließlich der Barreserven der irischen Regierung.
4. Für die Rückzahlung der Mittel, die in Form von ELA gewährt wurden, garantiert die irische Regierung in vollem Umfang, was die Bezahlung sofortiger Kompensation an die Zentralbank von Irland im Fall einer ausbleibende Zahlung von einer Empfängerbank sicherstellt.“
Über vier Jahr lang hielt die EZB den Brief geheim. Als sie ihn im November 2014 veröffentlichte, log Trichets Nachfolger Mario Draghi ganz ungeniert: „„Die Entscheidung, um ein Programm zu bitten, war die Entscheidung der Regierung. Die EZB hat die Regierung nicht gezwungen.“
Ganz so, als hätte die EZB nicht die Stimmung an den Märkten gegen Irland aufgeheizt, damit die Regierung nach diesem Ultimatum gar nicht anders konnte, als am Sonntagabend das Kabinett Trichets Forderungen absegnen zu lassen, damit die Banken am Montag noch öffnen konnten. Trichet redete sich vorher und nachher auf die gleiche verlogene Art heraus. Dabei hatte er in seinem Schreiben zur Sicherheit auch noch betont, dass der EZB-Rat auch die normale EZB-Finanzierung für irische Banken kritisch verfolge und auch diese jederzeit einschränken könne. Das diente wohl dazu, Lenihan klar zu machen, dass es sich nicht lohnte, überhaupt darüber nachzudenken, ob man vielleicht auch ohne die ELA-Notfallkredite zurecht kommen könnte, weil die EZB auch die gesamte Refinanzierung kappen könnte.
Minister Lenihan schrieb noch am Sonntagabend an Trichet:
„In Bezug auf die Punkte (1) bis (4) Ihres Briefes möchte ich Sie informieren, dass die Regierung heute beschlossen hat, um Zugang zu den europäischen und internationalen Unterstützungsmechanismen nachzusuchen. Diese gravierende und schwerwiegende Entscheidung wurde getroffen im Lichte der Entwicklungen, die ich oben beschrieben habe, und geleitet (informed) durch Ihre jüngsten Mitteilungen und den Rat, den Sie mir in den letzten Tagen persönlich und in höflicher Weise zukommen ließen.“
Fortsetzung folgt: Dabei wird es vor allem um die Alternative gehen, die die EZB mit allen Mitteln verhinderte, dass man nämlich die Bankengläubiger statt der irischen Bevölkerung hätte bluten lassen.