In den Berichten über die Beendigung aller Grundrechtseinschränkungen in Dänemark wird geflissentlich vergessen zu erwähnen, dass die Regierung damit ein Versprechen einlöst, das sie vor einem halben Jahr gegeben hat:
Aus einem Zeitungsbericht vom 23. März 2021:
„Während Deutschland den Lockdown verlängert, hat Dänemark sich auf einen langfristigen Plan zur Abkehr von den geltenden Corona-Maßnahmen verständigt. Die Vereinbarung zwischen der sozialdemokratischen Regierung und fast allen weiteren dänischen Parlamentsparteien sieht das Ziel vor, dass die Beschränkungen des öffentlichen Lebens mit wenigen Ausnahmen komplett aufgehoben werden, sobald alle Risikogruppen und alle Menschen über 50, die dies wünschen, ihre erste Impfung gegen Covid-19 erhalten haben.“
So ein Versprechen hatte im März für die Bundesregierung auch Kanzleramtsminister Helge Braun abgegeben:
„Wenn wir jedem in Deutschland ein Impfangebot gemacht haben, dann können wir zur Normalität in allen Bereichen zurückkehren.“
Das werde im Sommer so weit sein:
„Dann kehren wir in vollem Umfang zur Normalität zurück. Und alle Einschränkungen fallen.“
Merkel hatte das Ende des Sommers auf den 22. September terminiert.
Geimpfte wie Nichtgeimpfte sollten dann ihre entzogenen Freiheitsrechte zurückbekommen, letztere, weil sie selbstbestimmt die Entscheidung getroffen hätten, das Erkrankungsrisiko zu akzeptieren. Von der Akzeptanz durch die Regierung dieses Rechts der Bürger, ein Risiko selbstbestimmt in Kauf zu nehmen, ist nichts übrig geblieben. Eines von vielen gebrochenen Versprechen der Corona-Politiker.
Braun machte zwar den Vorbehalt, dass das Versprechen nicht gelte, wenn eine neue Mutante den Impferfolg zunichte mache. Dass das passiert wäre, hat man aber noch nicht gehört. Vielmehr wird uns gesagt, die Impfungen hülfen auch zuverlässig gegen Delta. Nur eine Auffrischungsimpfung sei eventuell nach einer Weile nötig.
Wenn jetzt so getan wird, als habe es allein die hohe Impfquote der dänischen Regierung ermöglicht, die Beschränkungen aufzuheben, so ist das mindestens irreführend und lenkt davon ab, dass die dänische Regierung ein Versprechen einhält, das die deutsche auch gegeben hat, aber nicht daran denkt, es einzuhalten.
Störfall Schweden
Ein Störfall in diesem Narrativ ist wieder einmal Schweden. Denn die schwedische Impfquote ist deutlich niedriger als die dänische und etwa so hoch wie die deutsche. Und trotzdem hat die Regierung dort angekündigt, Ende September alle Corona-Maßnahmen aufzuheben. Eine Analyse des Nachrichtenportal ntv bemüht sich deutlich zu machen, dass der schwedische Fall trotz ähnlicher Impfquote ganz anders gelagert ist als in Deutschland, sodass, was in Schweden richtig ist, in Deutschland nicht möglich ist.
Die dafür nötigen Verrenkungen sind lesenswert. Letztlich machen kleine Unterschiede der Impfquoten bei Teilgruppen der Bevölkerung und eine etwas höhere Quote der Erstimpfungen den ganzen Unterschied aus, zwischen Aufhebung-der-Maßnahmen-ist-richtig und Aufhebung-der-Maßnahmen-ist-unmöglich.
Ein Appetithappen:
„Auf die Gesamtbevölkerung bezogen sieht es für Schweden nicht so toll aus. Laut ECDC sind dort aktuell nur 58,8 Prozent vollständig geschützt, 67,6 Prozent haben wenigstens eine Dosis erhalten. In Deutschland trifft dies auf 61,3 und 65,8 Prozent zu. (…) Wenn man aber die Werte für die erwachsene Bevölkerung betrachtet, sieht die Sache schon etwas anders aus. Denn während in Schweden 74,1 Prozent der über 18-Jährigen vollständig und 83,1 Prozent mindestens einmal geimpft sind, sind es in Deutschland nur 73,4 beziehungsweise 78,8 Prozent. Beachtlich ist hier vor allem der große Unterschied bei den Erstimpfungen.“
Resümee: Ob die Maßnahmen aufgehoben werden, ob eine Regierung sich an ihre Versprechungen gebunden fühlt, ist eine politische Entscheidung, keine, die an irgendwelchen Impfquoten hängt. In Deutschland scheint das verabsolutierte Ziel der Maximierung der Impfquote der Einhaltung von gegebenen Versprechen (Ende der Maßnahmen; keine Impfpflicht) besonders wirksam im Weg zu stehen.
Nachtrag (14:15 Uhr): In einem Interview mit der Sendung „Frühstart“ (ntv) stimmt Helge Braun heute die Bevölkerung als Ersatz für die versprochene Aufhebung der Grundrechtseinschränkungen auf eine neue „Eskalationsstufe“ ein, wenn das Stillhalten bis zur Wahl vorüber ist. Mit seinem Versprechen vom Frühjahr wurde er nicht konfrontiert. Abhängig von der Krankenhausbelegung und dem Infektionsgeschehen in Schulen könne man „die Eskalationsstufe 2G grundsätzlich nicht ausschließen“.“Dreist“ wäre ein ziemlich freundlicher Ausdruck dafür, einen Wortbruch mit einer solchen Rohrstock-Wortwahl zu verbinden, als wäre die Regierung ein Schulmeister, der einen Haufen aufsässiger Pennäler zur Raison bringen muss. „Unverschämt“ trifft es glaube ich besser.
Nachtrag von Leserin Ingrid Knorr (16.9.):
ntv schreibt:
„ntv. „Beachtlich ist hier vor allem der große Unterschied bei den Erstimpfungen.“
Die Pressestelle des RKI schreibt zur Statistik der Erstimpfungen in Deutschland:
„„…Wichtig ist, dass die Untererfassung im Digitalen Impfquoten-Monitoring (DIM) für die Erstimpfungen angenommen wird, nicht (!) für die vollständigen Impfungen, deren Quote für die Bewertung der Situation entscheidend ist“
Anmerkung der Leserin: Das betrifft alle Johnson&Johnson Impfungen, die alle nur als Zweitimpfung gemeldet werden – dadurch der große Unterschied der Erstimpfungen.
ntv schreibt außerdem:
„“Noch deutlicher wird dies, wenn man sich die Impfquoten nach Altersgruppen ansieht. 91,3 Prozent der über 80-jährigen Schweden sind komplett geimpft, 94,9 Prozent werden es bald sein. Noch besser sieht es bei den 70- bis 79-Jährigen mit 93,8 und 96,2 Prozent aus. Hohe Quoten weist auch die Bevölkerung zwischen 60 und 69 Jahren mit 88,6 und 91,3 Prozent auf, richtig gut sieht es auch bei den 50- bis 59-Jährigen mit 84,5 und 88,6 Prozent aus…“
In Deutschland wird die Impfquote aber nur grob in Altersgruppen eingeteilt / 12-17 Jahre/ 18-59 Jahre und Ü 60 Jahtre, es gibt überhaupt keine Zahlen zur Impfquote Ü80 , dazu das RKI:
“ „Dem RKI werden die Daten nur so übermittelt, wie sie veröffentlicht werden. Die Kassenärzte müssen es nicht genauer differenzieren.“
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