Bilder von überfüllten norditalienischen Krankenhäusern verstärkten die Panik. Die Bundeskanzlerin und die Länder-Ministerpräsidenten wollten für Deutschland diese Bilder vermeiden und folgten ohne eigene Sachkenntnis dem Ratschlag des Robert-Koch-Instituts (RKI) für eine drastische Kontaktreduzierung, wodurch im Effekt die deutsche Volkswirtschaft großenteils stillgelegt wurde. Damit waren diese Politiker auf der sicheren Seite: Sollte es zu keinen nennenswerten Problemen im Krankenhausbereich kommen, konnte man dies auf die getroffenen drastischen Maßnahmen zurückführen. Sollte es hingegen es zu nennenswerten Überfüllungen deutscher Intensivstationen kommen, hatte man das Menschenmögliche getan.
Hingegen gibt es in der Bevölkerung viele Verlierer. Gerade die wirtschaftlich Schwächeren sind besonders durch die undifferenzierten und weit überschießenden Maßnahmen betroffen. Kaufhof/Karstadt wurden in die Pleite und Verkäuferinnen mit kleinem Lohn in die Arbeitslosigkeit getrieben. Rund die Hälfte der Kinder meiner Freunde wurde dadurch arbeitslos oder wurde zu Kurzarbeit gezwungen.
Für einen Corona-Exit sind keine bundesweiten Vorgaben erforderlich, sondern sogar schädlich, weil alle Maßnahmen auf die örtlichen Gegebenheiten abgestimmt werden müssen (so auch die aktuellen Exit-Vorschläge des IFO-Instituts, die pro Monat mit Shutdown-Kosten von 150-260 Mrd. Euro rechnen und bundesweite Corona Task Forces primär für Empfehlungen und Koordinierung vorsieht). Jedes Bundesland und jede Kommune sollte die Möglichkeit haben, mit den jeweils vor Ort angemessenen Maßnahmen zu beginnen. Einige Vorschläge für einen raschen Corona-Exit, der gleichzeitig die besonders gefährdeten Älteren viel effizienter schützt.
1. Begründete Verdachtsfälle ohne Tests unter Quarantäne
Tests werden derzeit bei begründetem Verdacht einer Corona-Infektion durchgeführt (entsprechend den Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts). Bei der leider mittlerweile großen Zahl an Infizierten ist dieses Testsystem nicht mehr angemessen. Positiv getestete Personen werden unter häuslichen Quarantäne gestellt, soweit sie nicht schwer erkrankt sind. Viel sinnvoller wäre es, begründete Verdachtsfälle ohne Test unter Quarantäne zu stellen. Dadurch wird zwar ein Teil dieser Personen unnötig unter Quarantäne gestellt, wenn sie doch nicht infiziert sind. Aber es werden so Testkapazitäten gewonnen.
2. Multiplikatoren testen
Die so frei werdenden Testkapazitäten könnten für potenzielle Virusmultiplikatoren in wichtigen Bereichen, z.B. von Pflegeheimpersonal zum Schutz der besonders gefährdeten älteren Bevölkerung und von Krankenhauspersonal durchgeführt werden, und zwar (im Gegensatz zum derzeitigen vom RKI empfohlenen Vorgehen) unabhängig von Symptomen, da viele Infizierte keine oder nur geringe Symptome zeigen, aber trotzdem andere infizieren können. Das aktuelle Beispiel des Altersheims in Würzburg, wo über ein Dutzend Ältere infiziert wurden und gestorben sind, zeigt die Dringlichkeit von derartigen Tests.
3. Bundesweite flächendeckende Tests als Ziel
– Mittelfristiges Ziel muss es sein, letztlich bundesweit flächendeckende Tests unabhängig von Symptomen durchzuführen, ganz ähnlich wie sie nach dem Krieg für Tuberkulose durchgeführt worden sind. Corona-Tests sollten außerdem – wie das bereits in einigen Landkreisen (oder auch in Südkorea) praktiziert wird – möglichst in Drive-Through-Schaltern durchgeführt werden. Dadurch ist ein für alle Beteiligten risikominimiertes Testverfahren sichergestellt.
4. Mundschutzpflicht
– Einführung einer allgemeinen Mundschutzpflicht, so wie es mit Erfolg schon in vielen asiatischen Ländern seit Monaten umgesetzt ist. Wenn das Corona-Virus wesentlich durch Tröpfcheninfektion weitergegeben wird, wie vom RKI erläutert, wird durch einen Mundschutz die Wahrscheinlichkeit einer Infektion deutlich verringert. Das RKI hat durch seine Zweifel an der Sinnhaftigkeit eines Mundschutzes zu einer unnötigen Verbreitung des Corona-Virus beigetragen und diese Zweifel erst am 02. April 2020 wesentlich reduziert.
5. Läden sicherheitsorientiert wieder öffnen
Schrittweise Öffnung aller Läden, soweit dort ein Mindestabstand von 1,5 m gewährleistet werden kann. Warum sind z.B. in Wiesbaden alle Autohäuser und kleinen Geschäfte geschlossen, obwohl dort im Regelfall der Mindestabstand gewährleistet und durch eine allgemeine Mundschutzpflicht eine Ansteckung so gut wie verhindert werden kann? Je früher die Läden wieder öffnen, desto früher können Gewerbe und Industrie ihre Produkte wieder verkaufen.
6. Kitas und Schulen wieder öffnen
Schrittweise Wiedereröffnung der Kitas und Schulen, soweit Lehrpersonal und Kinder vorher negativ auf Corona-Virus getestet wurden. Dann könnten die Eltern – auch im Homeoffice – wieder produktiv arbeiten.
*Lorenz Jarass ist emeritierter Professor an der Hochschule Rhein-Main in Wiesbaden. Er hat an der Stanford University Systemanalyse studiert. Nach längerer Tätigkeit als Geschäftsführer einer von ihm mitgegründeten Forschungsgesellschaft arbeitete er als Professor im Bereich der Systemoptimierung und der Wirtschaftsstatistik.
Änderungshinweis (5. 04): Die erste Zwischenüberschrift wurde wegen eines sinnentstellenden Redigierfehlers geändert , der Text darunter ebenfalls um das Gemeinte klarer zu machen.