Welt ohne Bargeld im Bundestag

9. 06. 2020 | Am 18. Juni will der Bundestagsausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung die Parlamentarier und die Öffentlichkeit mit einer als „Öffentliches Fachgespräch“ getarnten Lobbyveranstaltung zum Thema „Welt ohne Bargeld“ zum Narren halten.

Auf der Website des Bundestags kann man die Show von 15 bis 17 Uhr im Livestream verfolgen. In der Ankündigung heißt es:

„Die VDI/VDE-IT als Konsortialpartner des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) führt zurzeit eine Kurzstudie zu den aktuellen Trends und Entwicklungen im Ökosystem des Zahlungsverkehrs durch. Im öffentlichen Fachgespräch sollen die  Zwischenergebnisse der Kurzstudie in Form eines Thesenpapiers vorgetragen und mit Sachverständigen diskutiert werden.

Wenn man einmal freundlich darüber hinwegschaut, dass die IT-Lobby VDE für den Bundestag nicht nur eine Studie erstellt, sondern ein ganzes Untersuchungsprogramm zum Thema Bargeldbeseitigung konzipieren und umsetzen darf, dann klingt die Ankündigung recht seriös, so als würden die Thesen der IT-Lobby von allen Seiten fachkundig auf den Prüfstand gestellt.

Ganz so seriös ist es allerdings nicht, stellt man fest, wenn man sich die Mühe macht, in das Thesenpapier der Lobbyisten zu schauen. Dort findet man den Hinweis, dass man die Thesen im Gespräch mit neun Experten aus den acht Bereichen Fintech, Handel, Informationswirtschaft, Kreditwirtschaft, Notenbanken, Sicherheit, Verbraucherschutz und Wissenschaft erarbeitet hat.

Wer diese neun Experten waren, erfährt man ungewöhnlicherweise nicht. Aber man ahnt es, wenn man in der Ankündigung der Diskussion mit den Sachverständigen im Parlament liest, wer dort die diskutierenden Sachverständigen sein werden. Die zufällig neun Namen, die dort aufgeführt sind, teilen sich nämlich zufällig auch auf die genannten acht Bereiche auf. Mit anderen Worten: Ohne dass es uns und den Abgeordneten gesagt wird, werden die Thesen des Papiers der IT-Lobbyvereinigung offenbar von den von dieser Lobby ausgesuchten Experten diskutiert, mit denen man sie vorher entwickelt hat.

Dabei hat man bei VDI/VDE-IT zwischenzeitlich gelernt, seine wahre Stoßrichtung zu verbergen. Als ich im Mai 2019 das letzte Mal über das Projekt schrieb, durfte ich noch kritisieren, dass man die Vorteile des Bargelds für die Bürger nur ganz kurz erwähnte und dann gleich mit vielen Gegenargumenten konterkarierte.

Wie der Bundestag mit der IT-Lobby an der „Welt ohne Bargeld“ arbeitet

Daraus hat man gelernt und beschreibt die Gründe, warum die Bürger so hartnäckig am Bargeld festhalten, nun angemessen ausführlich. Auch die verfängliche Lobrede auf das Überwachungspotential für den Staat, das digitales Bezahlen bietet, hat man nun weggelassen. Und so verräterische Formulierungen, wie dass die Nutzerfreundlichkeit von Bargeld als Hürde für die Adaption innovativer Bezahlmethoden und für eine Verdrängung von Bargeld als Zahlungsmittel angesehen werden kann, sucht man im aktuellen Thesenpapier vergeblich.

Wenn man daraus aber schließen würde, dass die Böcke vielleicht doch zu gewissenhaften Gärtnern geworden sind, wäre man wohl recht naiv. Sie haben gelernt sich besser zu verkleiden.

Auch bei den zu interviewenden Akteursgruppen hat man sich gegenüber dem Vorschlag aus dem vorbereitenden „Themenkurzprofil – Welt ohne Bargeld“ des Büros für Technikfolgenabschätzung des Bundestags (das von Mitarbeitern des zum VDI/VDE-IT gehörenden Instituts IIT erstellt worden war) weniger angreifbar gemacht. Dort war nur von „Interviews mit Experten der IT-Branche sowie mit Vertretern aus den Bereichen des Banken- und Versicherungswesens und der Rechtswissenschaften zu den möglichen Entwicklungspfaden technischer Innovationen, den Herausforderungen einer weiterhin hohen Bargeldnutzung und möglichen offenen Regulierungsfragen“ die Rede gewesen.

Nachdem mindestens auf diesem Blog darauf hingewiesen worden war, dass man diese Expertenauswahl bei böswilliger Betrachtung als etwas einseitig kritisieren könnte, hat man es doch für opportun gehalten, auch noch eine Verbraucherschützerin und einen bargeldfreundlichen Wissenschaftler hinzuziehen. Bis zum Extrem, einen Datenschützer zu beteiligen, wollte man dann aber doch nicht gehen.

Der dumme und falsche erste Absatz ist allerdings auch im aktuellen Bericht, der nun diskutiert werden soll, dringeblieben.

„Kaum ein Land hält der Zahlung mit Bargeld so die Treue wie Deutschland. Gut zwei Drittel aller Zahlungen erfolgen noch immer mit Scheinen und Münzen, und in vielen Restaurants und Geschäften ist Girocardzahlung bis heute nicht möglich.

In den meisten Ländern der Welt wird mehr bar bezahlt als in Deutschland, würde ich mal behaupten.

Als Vorbild fungiert nicht nur wie üblich Schweden:

„In Schweden hingegen erfolgt der Umsatz im Einzelhandel bereits zu 95 Prozent bargeldlos, und häufig akzeptieren schwedische Geschäfte und Servicestellen kein Bargeld mehr.

Sondern unvorsichtigerweise auch das doch etwas zu sehr in den Ruf der Totalüberwachungsmanie geratene China:

„In China wurde selbst die Ära der Kartenzahlung gleichsam übersprungen: Mittels Smartphone und Plattformapplikationen wie „WeChatPay“ wird der Löwenanteil von Zahlungsvorgängen abgewickelt – auch von Kleinstbeträgen und an mobilen Ständen, Garküchen etc.

Aber weil die Diskutanten ja die sind, auf die der Bericht zurückgeht, wird das in der Diskussion wohl nicht allzu kritisch aufgespießt werden.

Ende Juli soll dann noch ein Gutachten zu Datenschutz und Sicherheit bargeldloser Zahlungsmittel zeigen, dass die Sorgen, die in dieser Hinsicht recht verbreitet sind, übertrieben sind. Jedenfalls hat die Lobby VDI/VDE-IT, die dem Büro für Technikfolgenabschätzung bei Ausschreibung und Expertenauswahl behilflich war, ihr Möglichstes getan, einen passenden Experten zu finden, wie ich im Februar berichtete.

Bundestag sucht Experten für Bargeldbeseitigung

Resümee

Zwar will keine der im Bundestag vertretenen Parteien dem Bargeld irgend etwas Böses, oder es gar abschaffen, wenn man sie fragt. Aber das heißt ja nicht, dass man zusammen mit der IT-Lobby trotzdem daran arbeiten könnte, die Bedingungen zu schaffen.

P.S. Hierzu …

1. eine Zuschrift, die mich heute erreichte: „bei mir als Zahnarzt fällt ab und an mehr Bargeld an, als ich brauchen kann. Mein gestriger Versuch, das Geld (2000 €) bei der Volksbank vor Ort zugunsten meines Kontos bei der Apobank einzuzahlen, schlug fehl. Wg. „Geldwäsche“ mache man das nicht mehr. Schön und gut, daß Bargeld gesetzliches Zahlungsmittel ist, aber wenn der Gesetzgeber oder die Banken seine Möglichkeiten derart einschränken, macht es keinen Spaß mehr.“

2. der Hinweis, dass die Stadt Dresden bekannt gegeben hat, in vielen ihrer Bürgerbüros kein Bargeld mehr zu akzeptieren und dies noch gedenkt auszuweiten, im ausdrücklichen Wissen, um die Entscheidung des Bundesverwaltungsgericht in meinem Verfahren gegen den Hessischen Rundfunk. Das Gericht hat nach meiner Lesart klar die Rechtsauffassung geäußert, dass es rechtswidrig ist, wenn öffentliche Stellen das Bezahlen von auferlegten Abgaben mit Bargeld nicht akzeptieren. Dazu demnächst mehr.

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