Um die IHR-Reform auf der Weltgesundheitsversammlung Ende Mai verabschieden zu können, hätte laut Artikel 52 IHR spätestens Ende Januar ein abstimmungsfähiger Text vorliegen und verteilt werden müssen. Diese Regelung soll es Regierungen, Parlamentariern und Bürgern der Unterzeichnerstaaten ermöglichen, Inhalt und Reichweite der beabsichtigten Reform zu prüfen und zu diskutieren. Stattdessen liegt selbst jetzt, wenige Wochen vor der geplanten Abstimmung, immer noch kein ausverhandelter Textentwurf vor.
Die Anhörung ging zwar sachwidrigerweise nur um den Pandemievertrag. Mit der wichtigeren IHR-Reform hat der Bundestag sich noch gar nicht beschäftigt. Diese ist aber eng mit dem Pandemievertrag verzahnt. Die beiden Regelwerke verweisen aufeinander und sollen jeweils so ausgelegt werden, dass sie das jeweils andere bestätigen und verstärken. Deshalb wäre es durchaus sehr wichtig, vor einer Entscheidung über den Pandemievertrag zu wissen und verstanden zu haben, was sich durch die IHR-Reform ändern würde.
Darauf wies bei der Expertenanhörung im Unterausschuss Globale Gesundheit der Schweizer Rechtsanwalt Philipp Kruse hin. Er war auf Vorschlag der AfD als Sachverständiger geladen. Da BSW nur Gruppenstatus hat und nicht im Ausschuss vertreten ist, war die AfD die einzige kritische Fraktion.
Keinen der Ausschussmitglieder der Ampel interessierte der mögliche Rechtsbruch und die Tatsache, dass auch sie noch nicht wussten, wie die IHR-Reform aussehen soll. Weder fragten sie bei Kruse nach, noch fragten sie die anderen Experten, etwa den von der SPD vorgeschlagenen Rechtswissenschaftler Pedro Villarreal von der Stiftung Wissenschaft und Politik oder die von der Union vorgeschlagene Expertin Anja Maria Rittner von der Konrad-Adenauer-Stiftung.
Die Medien sekundieren
Der Spiegel und die Nachrichtenagentur dpa demonstrierten gemeinsam ihre unbedingte Regierungs- und Geldgebertreue. Eine Geldgeberin der dpa ist die Regierung, eine großzügige Geldgeberin des Spiegel ist die Bill and Melinda Gates Foundation. Unter dem fast schon absurd schönfärberischen Titel „194 WHO-Mitglieder wollen internationales Pandemieabkommen retten“, veröffentlichte der Spiegel einen bearbeiteten dpa-Bericht, der alle Argumente für das Abkommen auflistet und wenige Gegenargumente nur in Form ihrer Verneinung erwähnt. Die Ärztezeitung brachte einen Bericht mit genau der gleichen Überschrift, mutmaßlich ebenfalls von dpa, was ich aber wegen Bezahlschranke nicht nachprüfen konnte.
ARD-Faktenerfinder Pascal Siggelkow hetzte unter dem Titel „WHO-Pandemievertrag: Das neue Feindbild der Verschwörungsszene“ in gewohnt dummdreister Manier gegen Kritiker des Vertragswerks. Er bot Villarreal und nur einen weiteren bekannten Befürworter des Pandemievertrags auf, um summarisch festzustellen, dass Experten zufolge an der Kritik „überhaupt nichts dran“ sei.
Denn die Empfehlungen der WHO seien nicht bindend. Was davon umgesetzt werde, entschieden die Staaten selbst. Wie das dazu passt, dass sein Experte dann darauf hinweist, dass Pandemievertrag und IHR es möglich machen, dass ein Staat bei der Nichteinhaltung seiner Verpflichtungen von anderen Staaten auf Einhaltung verklagt wird, bleibt Siggelkows Geheimnis. „Überhaupt nichts dran“ ist etwas anderes für mich, ganz abgesehen davon, dass es noch ganz andere Daumenschrauben als eine Klage gegen Länder gibt, die ihre Verpflichtungen nicht einhalten.
Indirekt stellt das auch Villarreal fest, wenn er sagt, sobald die WHO eine Notlage ausrufe, habe das Konsequenzen für den betroffenen Staat. Denn andere Länder könnten beispielsweise als Vorsichtsmaßnahme den Handel mit dem betroffenen Land einstellen. Dass es der Generaldirektor der WHO allein, in nicht kontrollierter Machtvollkommenheit ist, der entscheiden darf, ob eine Pandemie ausgerufen wird, verschweigt Siggelkow wohlweislich.
Fazit
Obwohl Politik und Medien den Pandemievertrag und die IHR-Reform so gut es ging totschwiegen, haben die alternativen Medien dafür gesorgt, dass die Öffentlichkeit sehr skeptisch ist, ob es eine gute Idee wäre, die von der Pharmabranche abhängige WHO, die in der Corona-Pandemie auf vielfältige Weise eklatant versagt hat, mit einem beträchtlichen Machtzuwachs zu bedenken. Den etablierten Medien werden ihre Fehlleistungen bei diesem Thema einen weiteren Vertrauensverlust bescheren. Wie die etablierten Parteien das Volk von neuen Pandemie-Regelwerken überzeugen wollen, wenn diese gleich mit einem eklatanten Verstoß gegen die WHO-Verfahrensregeln starten, ist unerfindlich.
Nachtrag (4.5.): Offener Brief an Tedros
Auf der (informativen) Website von Global Health Responsibility Agency hat die Juristin und ehemalige WHO-Beraterin Silvia Behrendt in einem offenen Brief an den WHO-Generaldirektor vom 1. Mai die Ausflüchte der WHO zur Missachtung der Frist für die Vorlage eines endgültigen Textentwurfs der geplanten IHR-Änderungen zerpflückt und auf eine weitere bereits verstrichene Frist der Verfahrensordnung der Weltgesundheitsversammlung hingewiesen. Dummerweise ist der WHO-Generaldirektor, der den geplanten Rechtsbruch zu verantworten hat, immun gegen Strafverfolgung.