Die Bundeswehr und ihre kämpfenden Mensch-Maschinen

21. 06. 2021 | Hören | Als gemeinsames Projekt mit der britischen Armee hat die Bundeswehr die Möglichkeiten der transhumanistischen Optimierung von Soldaten untersucht. Unabhängig von ethischen Bedenken soll das offenbar vorangetrieben werden. Das größte ethische Problem: Hier wird an Mensch-Maschinen gearbeitet, die gegen Bevölkerungen kämpfen sollen, nicht gegen Armeen.

Das Development, Concepts and Doctrine Centre (DCDC) der britischen Armee hat in Zusammenarbeit mit dem Amt für Wehrplanung der Bundeswehr die zukünftigen Auswirkungen der Human Augmentation (HA) untersucht, um eine Grundlage für detailliertere Forschung und Entwicklung auf diesem Gebiet zu schaffen.

Es geht dabei um alles, was Menschen künstlich leistungsfähiger machen kann, von Augmented-Reality-Brillen über Gentechnik und genetischer Auswahl bis zu Gehirn-Maschinen-Schnittstellen und Drogen. Das DCDC hat die Ergebnisse des gemeinsamen Nachdenkens und Forschens in einer Studie mit dem Titel „Human Augmentation – The Dawn of a New Paradigm“ veröffentlicht (Menschliche Optimierung – Beginn eines neuen Paradigmas). Das Vorwort hat der Direktor Generalmajor Wolfgang Gaebelein, Direktor des Amtes für Wehrplanung zusammen mit seinem britischen Pendant geschrieben.

Auf der Webseite der britischen Regierung und derjenigen der Bundeswehr wird in Mitteilungen auf die Veröffentlichung der Studie hingewiesen. Die deutsche Variante ist sehr zurückhaltend formuliert, die britische spricht Klartext :

„Das Projekt umfasst Forschungsarbeiten deutscher, schwedischer, finnischer und britischer Verteidigungsexperten, um zu verstehen, wie sich neu entstehende Technologien wie Gentechnik, Bioinformatik und die Möglichkeit von Gehirn-Computer-Schnittstellen auf die Zukunft von Gesellschaft, Sicherheit und Verteidigung auswirken könnten. Die ethischen, moralischen und rechtlichen Herausforderungen sind komplex und müssen gründlich bedacht werden, aber menschliche Optimierung könnte den Beginn einer neuen Ära strategischer Vorteile mit möglichen Auswirkungen auf das gesamte Spektrum der Streitkräfteentwicklung signalisieren.“

„Die ethischen, moralischen und rechtlichen Herausforderungen müssen gründlich bedacht werden“, heißt es treuherzig. Doch das „aber“ dahinter deutet schon an, dass dies so ernst nicht gemeint ist, und in der Studie selbst liest man, dass es auf das Ethik-Klimbim letztlich nicht ankommen wird, denn:

„Der Imperativ, menschliche Optimierung zu nutzen, könnte letztendlich nicht durch ein explizites ethisches Argument diktiert werden, sondern durch das nationale Interesse. Länder müssen möglicherweise technische Optimierungen des Menschen entwickeln, oder sie riskieren, Einfluss, Wohlstand und Sicherheit an diejenigen abzugeben, die dies tun. (…)  Die öffentliche Meinung, vor allem in Demokratien, wird einen großen Einfluss auf die Bereitschaft eines Landes haben, die menschliche Optimierung zu akzeptieren, aber weder die öffentliche Meinung noch Ethiker werden über die Zukunft der menschlichen Optimierung entscheiden. Stattdessen werden es wahrscheinlich die Regierungen entscheiden, basierend auf dem nationalen Interesse an Wohlstand, Sicherheit und Schutz.“

Das nationale Interesse an Wohlstand steht zuvorderst, das wirtschaftliche Interesse also. Das erinnert nicht zufällig an den Ausspruch vom deutschen Wohlstand, der am Hindukusch verteidigt wird. Technisch optimierte Soldaten sind nämlich nicht in erster Linie nützlich, um gegen ähnlich ausgerüstete feindliche Armeen zu kämpfen. Dafür hat man Panzer, Drohnen, Kampfflugzeuge, Raketen und Bomben. Solche Soldaten sind vor allem nützlich, wenn eine technisch überlegene Armee gegen eine Bevölkerung und deren Partisanen kämpft, sei es in Afghanistan, Mali oder dem eigenen Land. Das sind in erster Linie Technologien für Bürgerkriege und Besatzungsarmeen.

Die Technologien lassen wir wieder die britische Regierung beschreiben:

„Technologien der menschlichen Optimierung bieten ein breites Spektrum an Möglichkeiten für heute und für die Zukunft. Es gibt ausgereifte Technologien, die heute mit überschaubaren politischen Erwägungen integriert werden könnten, wie z. B. personalisierte Ernährung, Wearables und Exoskelette. Es gibt andere Technologien in der Zukunft, die ein größeres Potenzial versprechen, wie Gentechnik und Gehirn-Computer-Schnittstellen. Menschliche Optimierung wird in Zukunft immer relevanter werden, weil sie das Bindemittel zwischen den einzigartigen Fähigkeiten von Menschen und Maschinen ist. Die Gewinner zukünftiger Kriege werden nicht diejenigen sein, die über die fortschrittlichste Technologie verfügen, sondern diejenigen, die die einzigartigen Fähigkeiten von Mensch und Maschine am effektivsten integrieren können.“

Welche Fähigkeiten vor allem gesucht sind, wird durch Zitieren eines Instituts der US-Armee verdeutlicht:

„Wenn die aktuellen Vorhersagen korrekt sind, hat die genetische Modifikation bei weitem das größte Potenzial für die Verbesserung des Menschen. Laut der United States Defense Advanced Research Projects Agency (DARPA), könnte die genetische Modifikation genutzt werden, um Supersoldaten zu schaffen, die „ohne Gnade töten, nicht müde werden, keine Angst zeigen und sich eher wie eine Maschine als ein Mensch verhalten“.“

Schon bemerkenswert, dass man als Regierung so etwas im heutigen Europa veröffentlichen kann, ohne einen Skandal zu provozieren.

Änderungshinweis (23.55 Uhr): Der Beitrag wurde um einen Verweis auf die Mitteilung der Bundeswehr zu der Studie ergänzt.

Mehr

Biodigitale Konvergenz: Wie das Weltwirtschaftsforum die kanadische Regierung für seine Cyborg-Pläne einspannt

Ich danke Jan-Peter Brodersen, der die Studie gefunden und mich darauf hingewiesen hat und Sebastian Friebel, der mich zur Mitteilung der Bundeswehr zum Thema geführt hat.

Print Friendly, PDF & Email