Die angebliche zweite Welle und die faulen Tricks der Faktenfinder (mit Erwiderung)

14. 09. 2020 | Die Anzahl der positiv auf Corona Getesteten ist in den letzten zwei Monaten kräftig gestiegen. Uns wird erzählt, das bedeute, dass das Virus sich wieder stärker verbreitet, weil wir nachlässig würden. Wer entgegenhält, die höheren Fallzahlen lägen an den stark ausgeweiteten Tests, wird von öffentlich-rechtlichen  Faktencheckern und Correctiv-Zensoren zum Verschwörungstheoretiker erklärt. Dabei arbeiten diese mit allen Tricks.

Auf hessenschau.de vom Hessischen Rundfunk begegnete ich unter der Überschrift „Welche Aussagekraft die Corona-Test-Zahlen haben“ einem seriös und gewissenhaft aussehenden Faktencheck, den ich daher begierig las. Er stellte sich aber nur als besonders trickreich heraus.
Hinweis (15. 09.): Der Autor des Beitrags des Hessischen Rundfunks legt Wert auf die Feststellung, dass er darin an keiner Stelle von einer „zweiten Welle“ schreibt. (Siehe Zuschrift unten.) Dasselbe gilt auch für die anderen kritisierten Beiträge zum Zusammenhang von Testausweitung und Zunahme der Fallzahlen. Die Formulierung von der „angeblichen zweiten Welle“ in der Überschrift könnte Anderes nahelegen. Das ist nicht beabsichtigt. Die Formulierung soll nur ausdrücken, dass diese Diskussion in Zusammenhang mit der verschiedentlich verbreiteten Furcht vor einer zweiten Welle gesehen werden sollte, die bereits eingesetzt habe.
Es fängt an mit der Feststellung

„Die Behauptung, der Anstieg der Corona-Zahlen gehe nur auf mehr Tests zurück, stimmt nicht.

Um das zu zeigen präsentieren die Autoren eine Grafik mit den Testzahlen, den positiv Getesteten und – als Clou – den positiv Getesteten unter Herausrechnung des Einflusses der vermehrten Tests – und zwar vom 12. Juli bis 6. September. Man sieht, dass auch die um die Testanzahl bereinigte Kurve der Positiven ansteigt. Folgerung: „Die Form der Kurve verändert sich nicht, der deutliche Anstieg der Infektionszahlen im August ist real.“ Dabei ist nur der Anstieg (scheinbar) real, „deutlich“ ist er nur noch bei großzügiger Auslegung.

Man hätte auch schreiben können. Statt eines Anstiegs auf das 3,1 fache gibt es nur einen moderaten Anstieg auf das 1,6-fache. Die Aussage, dass es mehr positiv Getestete gibt, weil mehr getestet wird, ist also nur halb richtig. Nur wenn man, wie das bei den tendenziösen Faktencheckern der Öffentlich-Rechtlichen leider üblich ist, die Aussage zuspitzt zu „ausschließlich wegen der Ausweitung der Tests“ kann man sie falsch nennen.

Man kann sie aber selbst dann nur durch Anwendung eines unlauteren Tricks falsch nennen, wie man an der letzten Grafik der hessenschau direkt ablesen kann. Dort haben die Autoren unvorsichtiger Weise die Anzahl der positiv Getesteten je 100 Tests für einen längeren Zeitraum ausgewiesen. Dort sieht man, dass am 12. Juli diese Positiv-Quote mit 0,6 ihren bisher niedrigsten Wert auswies. Diese Woche wählten die Manipulatoren als Ausgangspunkt ihrer ersten Grafik. Zum Endzeitpunkt, der Woche vom 6. September war die Positiv-Quote mit 0,7 etwas höher. Nur durch diese Wahl eines Startzeitpunkts mit einer besonders niedrigen Quote konnten sie behaupten, die Vermehrung der Positiv-Getesteten ginge nicht allein auf die Ausweitung der Tests zurück. Hätten sie stattdessen den Vergleich zwei Wochen früher begonnen, als die Positiv-Quote bei 1,4 lag, hätte es nicht geklappt mit dem „Nachweis“, dass die zu diskreditierende Behauptung falsch sei. Auch noch eine Woche früher, als die Positiv-Quote bei 0,9 lag, wäre es schiefgegangen.

Dass die Positivquote weiterhin nur einen Tick oberhalb ihres bisherigen Tiefstwertes liegt, wischt der Hessische Rundfunk mit Daten-Genauigkeitsargumenten der Güteklasse C beiseite, die ich ihnen hier erspare.

Kein Wort der Erklärung finden sie dagegen zu dem sonderbaren Umstand, dass trotz einer Verdreifachung der positiv Getesteten die Anzahl der an oder mit Covid-19 Gestorbenen nicht nennenswert zunimmt und auch die Intensivbetten weiterhin sehr schwach belegt sind. Das ist auch sehr, sehr schwer wegzuerklären. Es ist eine Frage der Logik: Wenn das Infektionsgeschehen wirklich wie behauptet stark zugenommen hätte, müssten entweder die schweren Fälle auch mehr werden, oder das Virus wäre gleichzeitig deutlich weniger gefährlich geworden.

Zum Problem der falsch positiven Testergebnisse weiß der Hessische Rundfunk:

„Die Behauptung die Testergebnisse seien wertlos, wegen zahlreicher Fehlalarme, stimmt nicht.

Es wird eingeräumt, dass, wenn z.B. einer von 100 in der Bevölkerung tatsächlich positiv ist und die Tests in einem von 100 Fällen falsch anschlagen, jeder zweite positiv Getestete ein falsch Positiver wäre.
Aber, die Tests seien inzwischen viel genauer: „Ein großes Labor gibt die Spezifität der Tests mit 99,99 Prozent an.“ Die Rate der falsch Positiven wäre dann nur 0,01 pro Hundert.

Ein sonderbarer Faktencheck der sich auf nicht nachprüfbare und nicht einmal verlinkte Aussagen eines ungenannten Labors berufen muss, das noch dazu ein offenkundiges Geschäftsinteresse hat, die Zuverlässigkeit der Tests in günstigem Licht darzustellen.

Man hätte schon gern offizielle, oder mindestens neutrale Erkenntnisse. Aber die gibt es nicht, weil, laut einem Bericht, der sich auf Aussagen des Paul Ehrlich-Insituts stützt, „die Hersteller Covid-19-Tests noch bis Mai 2022 selbst zertifizieren können. Über die Zuverlässigkeit von Schnelltests könne die Behörde daher keine Aussage treffen, da entsprechende Untersuchungen noch nicht durchgeführt wurden. Bei den Covid-19-Antikörpertests müsse zudem eine mögliche Kreuzreaktion mit Antikörpern ausgeschlossen werden, die gegen andere Coronaviren gebildet wurden.“

Man weiß also nicht wirklich, wie viele falsch Positive unter den im Zuge der starken Testausweitung „entdeckten“ Covid-Fällen sind.

Das Argument, dass die Zunahme der positiv Getesteten an der Zunahme der Tests liegt, und nicht an einer zweiten Corona-Welle aufgrund unseres Fehlverhaltens, hängt übrigens nicht an falsch positiven Testergebnissen. Auch wenn alle richtig sind, und stabil ein Prozent der Bevölkerung infiziert ist, wird bei einer Ausweitung der Tests die Anzahl der erkannten Infektionen im gleichen Verhältnis nach oben gehen, wie die Tests ausgeweitet werden. Das signalisiert dann aber nur eine Welle von Tests, keine Welle von Infektionen.

Der Bayerische Rundfunk geht in die Vollen

Während der Hessische Rundfunk immerhin in seinen Formulierungen Seriosität und Zurückhaltung zeigt, ist das beim Bayerischen Rundfunk ganz anders.

Dessen „#Faktenfuchs“ macht gleich zu Anfang klar, dass es für ihn beim Zusammenhang von Testanzahl und Anzahl positiv Getesteten nicht um eine Sachfrage geht, sondern um eine Frage von Gut und Böse:

„Corona-Relativierer wittern einen Zusammenhang, eine Verschwörung.

Er arbeitet mit der in immer neuen Variationen vorgetragenen Behauptung, einen Zusammenhang zwischen Infektionsgeschehen und Testzahlen gebe es nicht. Natürlich: das Infektionsgeschehen ist unabhängig von den Tests. Und es sieht so aus, als hätten die Gesundheitspolitiker sich bei der Entscheidung, die Tests stark auszuweiten, nicht nach einer Einschätzung des Infektionsgeschehens gerichtet. Aber um diese Art von Unabhängigkeit geht es nicht, sondern um die Frage, ob man aus der Anzahl der positiv Getesteten bei gleichzeitiger Ausweitung der Tests direkt auf das Infektionsgeschehen schließen kann.

Es muss sogar noch das unterirdische Argument des RKI herhalten, die Anzahl der Tests und die Anzahl der positiv Getesteten würden auf unterschiedliche Weise erfasst und dürften daher nicht in Beziehung gesetzt werden. Wenn das so wäre, dann dürfte man auch nicht mit dem Bruttoinlandsprodukt pro Kopf der Bevölkerungen und mit einigen Hundert anderen gebräuchlichen Kennzahlen argumentieren. Außerdem steigen die Infektionszahlen wegen zunehmenden Infektionsgeschehens, behaupten die BR-Datenjournalisten, einfach so. Es sind „Verschwörungsideologen“ oder „Personen aus dem verschwörungsideologischen Umfeld“, die anderes behaupten. Basta.

Correctiv bringt immerhin Informationen

Auch die Zensoren von Correctiv, die sich von Facebook dafür bezahlen lassen, Beiträge zum Löschen vorzuschlagen oder nach staatstragender Pseudo-Recherche mit einem „Falsch“-Stempel zu versehen, haben kürzlich ebenfalls zu dem Problem geschrieben.

Hier lernt man immerhin, dass ein Ringtest von Laboren mit bekanntermaßen covid-negativen Proben ergeben hat, dass die teilnehmenden Labore bei rund zwei Prozent fälschlicherweise eine Infektion zu erkennen meinten. So viel zu der Spezifität von 99,99 Prozent, die die Faktenchecker des Hessischen Rundfunk uns glauben machen wollen.

Allerdings hat Correctiv durch Anrufe bei Laboren herausgefunden, dass „viele“ von diesen bei positiven Ergebnissen ein zweites Mal testeten. Das ist immerhin eine Info, wenn auch keine sehr genaue – anders als die Unsinns-Aussage des Chefvirologen Drosten, die außerdem referiert wird. Danach werde durch Zusatztests die Zahl der falsch-positiven Tests „praktisch unter Null gesenkt“.

Ich wage zu zweifeln, dass unter dem enormen Zeitdruck während der steilen Ausweitung der Testanzahl und dem politischen Stress, den es um verzögerte Information der Getesteten gab, tatsächlich standardmäßig positive Testergebnisse durch einen neuerlichen Test validiert wurden. Aber das ist eine reine Plausibilitätsüberlegung, kein Rechercheergebnis.

ZDF bestätigt, dass man wenig weiß

Bei ZDF.de wird Gott und die Welt zitiert mit vagen Aussagen, dass die Test sehr zuverlässig seien. Dann kommt das RKI mit der Aussage tatsächlich sei jedoch die wirkliche Anzahl der falsch-positiven Tests kaum abzuschätzen.

„Kaum abzuschätzen“ verträgt sich nicht mit der Behauptung von Zuverlässigkeitsgraden von über 99 Prozent.

Wie erwähnt, hat keiner der Faktenchecker sich in diesem Zusammenhang damit auseinandergesetzt, wie die angebliche starke Zunahme des Infektionsgeschehens dazu passt, dass weiterhin nur eine niedrige einstellige Zahl von Menschen an oder mit Covid sterben oder in Intensivbehandlung müssen (zuletzt waren es zwei bzw. drei) und sich derzeit insgesamt nur 236 Covid-Patienten in Intensivbehandlung befinden.

Stattdessen sucht man sich die am stärksten zugespitzten Aussagen von Leuten aus, die man teilweise als Verschwörungsideologen abqualifiziert, und täuscht mit unlauteren Tricks oder einer Anhäufung von Argumenten der Güteklassen B und C vor, man habe derartige Argumente generell widerlegt. So brütet man Misstrauen und Staatsverdrossenheit.

Warum das Ganze?

Ich weiß nicht, warum das geschieht. Die vermeintlich harmloseste Variante ist, dass man meint jede Gelegenheit und jedes falsche Argument nutzen zu dürfen, um den Leuten Angst zu machen, damit sie sich an für nötig befundene Vorsichtsmaßnahmen zur Infektionsvermeidung halten, und alle, die das kritisieren, ins Lager der Bösen verbannen zu dürfen. Das würde allerdings von einem beträchtlichen Ausmaß an Inkompetenz und Arroganz der dafür Verantwortlichen zeugen.

Daneben gibt es einen Strauß „Verschwörungstheorien“, die davon ausgehen, dass mit dieser Angstmacherei die Einschränkung von Bürgerrechten und autoritäreres Regieren möglich gemacht werden sollen.

Derartige Thesen befeuert gerade die britische Regierung mit einer Verordnung („The Coronavirus (Retention of Fingerprints and DNA Profiles in the Interests of National Security) (No. 2) Regulations 2020„). Unter Nutzung ihrer mit der Corona-Pandemie begründeten Sonderbefugnisse verfügt die Regierung darin, dass genetische Daten und Fingerabdrücke von Bürgern, die mit der Begründung der Terrorabwehr erfasst und gespeichert wurden, und die normalerweise demnächst gelöscht werden müssten, bis 24. März 2021 oder länger gespeichert bleiben dürfen.

 

Erwiderung vom Autor des hessenschau-Beitrags

Sehr geehrter Herr Haering,

vielen Dank für Ihre kritische Befassung mit meinem Artikel – letzten Endes zählen die Argumente, und ich danke Ihnen, dass Sie sich weitgehend um eine sachliche Befassung bemüht haben. Auch wenn Sie meiner Meinung nach am Argument der verzerrten Stichprobe vorbei argumentieren – vermutlich ist mein Artikel in diesem Punkt nicht klar genug.

Die von Ihnen angemahnte Quelle ist das Großlabor Bioscientia – https://www.bioscientia.de/home/aktuelles/2020/08/wie-zuverlaessig-ist-der-pcr-nachweis – ich habe die Verlinkung entsprechend ergänzt und danke für den Verbesserungsvorschlag.

Worum ich Sie aber nachdrücklich bitten muss, ist eine Korrektur der Überschrift. Sie erwecken den Eindruck, ich hätte von einer „zweiten Welle“ gesprochen. Das habe ich bewusst nie getan; das ergibt sich schon daraus, dass die Zahl der Neufälle und die Positivquote in den Wochen nach dem Peak in K34 wieder zurückgegangen sind. Unterstellen Sie mir bitte keine Aussagen, die ich nicht getätigt habe. Auch bei den Kolleg*innen vom BR werden Sie kein Wort über eine angebliche zweite Welle finden.

Eine persönliche Anmerkung zum Schluss: Wie Sie habe ich kein Interesse am Dramatisieren. Das ist nicht mein Job. Ich bin aber auch der Meinung, dass man Zahlen nicht einfach wegdiskutieren darf. Bei allen Schwächen, die die verfügbaren Indikatoren haben: man muss sie ernst nehmen. So gut wir im Augenblick dastehen: Sie müssen nur über die Grenzen Richtung Frankreich, Israel und Florida sehen, um zu wissen, dass sich das in vergleichsweise kurzer Zeit ändern kann.

Mit freundlichen Grüßen,

Jan Eggers
Redakteur hr-Multimedia
Manager hr-Datenteam

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