Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm macht den Macchiavelli für das Scholz-Regime

12. 12. 2021 | Die meisten Mitglieder des Sachverständigenrats für gesamtwirtschaftliche Entwicklung aus der Skandalzeit der Wirtschaftsweisen sind ausgewechselt. Nun zeigt das Mitglied Veronika Grimm mit einem machiavellistischen Plädoyer für eine allgemeine Impfpflicht, dass das Problem tiefer geht als ein paar Personen. 

Zur Frühzeit dieses Blogs, ab 2014, hatte ich in einer vielteiligen Serie dargelegt „Wie die Wirtschaftsweisen tricksen und täuschen“ , indem sie Falsches ohne Beleg behaupten und in Fußnoten angebliche wissenschaftliche Belege für eigene Behauptungen aufführen, die das Behauptete gar nicht belegen oder sogar das Gegenteil belegen.

Ausgangspunkt war eine mehrjährige, Irreführungskampagne der „Sachverständigen“ gegen einen diskutierten Mindestlohn gewesen. Sie hatten behauptet, es sei wissenschaftlich erwiesen, dass ein allgemeiner Mindestlohn sehr viele Arbeitsplätze kosten würde. Dabei hatten sie unter anderem gegenteilige Forschungsergebnisse von David Card und anderen verschwiegen, Forschungsergebnisse, die in Fachkreisen sehr gut bekannt waren und für die Card in diesem Jahr den Wirtschaftsnobelpreis bekommen hat.

Zwei der Hauptakteure dieser wissenschaftlichen Betrügereien, Lars Feld und Christoph Schmidt, haben (dafür?) 2021 und 2016 den Gustav-Stolper-Preis des Vereins für Socialpolitik, der dominierenden Ökonomenvereingung des deutschsprachigen Raumes erhalten, letzterer ausdrücklich für „seinen Einsatz beim Sachverständigenrat“ (keine Satire), denn:

„Mit dem Gustav-Stolper-Preis prämiert der Verein für Socialpolitik jährlich hervorragende Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die mit Erkenntnissen wirtschaftswissenschaftlicher Forschung die öffentliche Diskussion über wirtschaftliche Zusammenhänge und Probleme beeinflussen (…).“

Weil außer Volker Wieland alle Weisen von damals das Gremium inzwischen verlassen haben, wollte ich eigentlich darauf verzichten, aus Anlass des Nobelpreises für David Card die Sache noch einmal aufzuwärmen. Doch nun kommt dieses Bewerbungsschreiben für den Stolper-Preis von Veronika Grimm, das man, bei aller eigentlich gebotenen Zurückhaltung, kaum umhin kann, hochgradig zynisch und totalitär zu nennen. Es zeigt, dass das Problem über einzelne Personen hinaus geht, dass es in der Ökonomenzunft begründet liegt, oder zumindest bei der Sorte Ökonominnen und Ökonomen, die in den Sachverständigenrat berufen werden.

„Eine Impfpflicht muss kommen“

Als Vertreter einer lediglich pseudowissenschaftlichen Disziplin sind Ökonominnen und Ökonomen gewöhnt, das Ergebnis ihrer Überlegungen aus nicht weiter hinterfragten Grundannahmen abzuleiten, ähnlich wie in der Theologie. Dabei spielt es für sie keine Rolle, ob diese Grundannahmen realistisch sind oder gar schon widerlegt wurden.

So steckt auch das Ergebnis von Grimms Analyse der Notwendigkeit einer allgemeinen Impfpflicht in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 12.12. in den Annahmen, die da wären:

  • Es gibt keine Alternative zu drastischen Freiheitseinschränkungen, solange es das Corona-Virus gibt und die Impfquote deutlich unter 100% liegt, aber
  • wenn die Impfquote einen nicht näher spezifizierten Wert nahe 100% erreicht, sind keine weiteren freiheitseinschränkenden Maßnahmen mehr nötig.
  • Es gibt keine (nennenswerten) tatsächlichen oder möglichen Impfschäden.
  • Weil es keine akzeptablen Argumente dagegen gibt, sich Impfen zu lassen, handeln alle, die für die Freiheit eintreten, sich nicht impfen zu lassen, aus verwerflichen Beweggründen und sind daher zu bekämpfende Feinde der Gesellschaft.

Grimm schreibt:

„Trotz einer Impfquote von mittlerweile über 68 Prozent rollt Corona über uns hinweg, Krankenhäuser sind überlastet, und täglich sterben Hunderte Menschen. In dieser Situation gibt es kurzfristig gar keine Alternative zu Einschränkungen des öffentlichen Lebens, die verhindern, dass die Situation außer Kontrolle gerät. Nicht nur die zu niedrige Impfquote macht uns zu schaffen. Es kommt vermehrt zu Impfdurchbrüchen. (…) Aus guten Gründen haben daher Politiker fast aller Parteien ihre Position zur Impfpflicht überdacht. Spätestens seit der vierten Welle ist vielen klar, was wissenschaftliche Studien schon länger belegen: Mit der derzeitigen Impfquote bekommen wir Corona ohne immer wiederkehrende drastische Grundrechtseinschränkungen nicht in den Griff.

Trotz hoher Impfquote haben wir die vierte Welle, unter anderem, weil es immer mehr Impfdurchbrüche gibt, wie Grimm selbst schreibt. Hier wird aus der Tatsache, dass die Impfung nicht gut wirkt, ein Argument für eine allgemeine Impfpflicht. Verstehen mag das, wer will.

Es gebe keine Alternativen zu Einschränkungen der Freiheitsrechte, schreibt sie ohne Begründung, obwohl es eine ganze Reihe von Ländern gibt, die keine oder viel weniger Einschränkungen haben als wir.

Dann behauptet sie, die Wissenschaft habe etwas belegt, was letztlich eine komplexe Kombination aus ausdrücklichen und impliziten Behauptungen ihrerseits ist, nämlich dass wir Corona mit der gegenwärtigen Impfquote nicht ohne wiederkehrende drastische Grundrechtseinschränkungen in den Griff bekommen können.

Diese Nachweise möchte ich sehen! Was heißt in den Griff bekommen? Ausrotten? Etwas anderes? Wir sollen denken, dass wir Corona mit einer höheren Impfquote „in den Griff bekommen“, was immer das heißt, auch ohne Freiheitseinschränkungen. Wer das wohl bewiesen hat? Verschiedene ländervergleichende Studien zeigen ganz im Gegenteil, dass eine höhere Impfquote im Durchschnitt nicht zu einem schwächeren Infektionsgeschehen führt.

Momentan steigt beispielsweise die Inzidenz in Portugal stark, wo fast alle Erwachsenen geimpft sind, und nähert sich der deutschen an, die seit fast zwei Wochen am Fallen ist.

Aus ihren Glaubenssätzen leitet Grimm ab:

„Es geht also um eine Abwägung zwischen verschiedenen Freiheitsrechten: Eine Impfpflicht schränkt zwar das Recht auf körperliche Unversehrtheit ein, dürfte aber die einzig wirksame Maßnahme sein, um wiederholte Einschränkungen von Freiheitsrechten in der Zukunft abzuwenden – etwa der Bewegungsfreiheit, der freien Berufsausübung oder des jüngst vom Bundesverfassungsgericht begründeten Rechts auf Bildung.“

Im Neusprech-Wörterbuch aus 1984 heißt dieses Argument kurz: Freiheit ist Sklaverei. Corona-Neusprech funktioniert ganz ähnlich.

Wenn also die Freiheitseinschränkungen alternativlos wären (was sie offenkundig nicht sind), und wenn eine etwas höhere Impfquote das Infektionsgeschehen massiv dämpfen würde (wofür es keine Anhaltspunkte gibt), dann würde der Entzug der Freiheit sich nicht impfen zu lassen für eine Minderheit, direkt der Bewahrung wichtiger Freiheitsrechte für die Mehrheit dienen. Und nur dann.

Eine Macchiavelli für das Scholz-Regime

Grimm stellt fest:

„Nicht-Impfwillige haben oft ein Störgefühl und berufen sich – formal korrekt – auf ihre Entscheidungsfreiheit. Beide Gruppen fühlen sich im Recht. Polarisierung ist die Folge.“

„Formal korrekt“ berufen sich die Impfunwilligen auf ihre Entscheidungsfreiheit. Entscheidungsfreiheit als reine Formalie, auf die man sich tunlichst nicht berufen sollte. Und wenn doch Leute darauf beharren, obwohl sie nicht sollen, nimmt man das Recht weg. Dann gibt es keinen Streit mehr. Befriedung nannten auch schon die alten Römer das, mit einem zweischneidigen Begriff, der meist militärische Unterwerfung meinte.

Dann wird es vollends machiavellistisch. Laut Macchiavelli muss der Herrscher die traditionelle Moral vorgeblich wahren können, aber er darf auch – im Interesse der Staatsräson – vor Gewalt und Terror nicht zurückschrecken. Macchiavelli empfahl dem neu an die Macht gekommenen Fürsten alle Grausamkeiten gegen mögliche Gegenspieler gleich zu Beginn und durchgreifend zu begehen. Grimm empfiehlt dem Scholz-Regime:

„Entscheidungsträger (…) werden zur Zielscheibe für Protagonisten, die diese Situation ausnutzen, um Unfrieden zu stiften.(…) Es ist zu erwarten, dass jeder mögliche Anlass genutzt wird, um weiter zu polarisieren. Dem spielt die Politik in die Hände, wenn sie länger wartet und auf moralischen und indirekten Druck setzt“

Sogenannte Impfgegner sind keine Menschen mit Rechten, sondern Gegenspieler der Regierung, die dieser aus niederen Beweggründen Ärger machen. Sie sind also zu bekämpfen und zu unterwerfen, möglichst schnell und möglichst durchgreifend.

„Es gilt daher, den Referenzpunkt für rechtskonformes Verhalten zeitnah zu verschieben und so dem harten Kern der Impfgegner zumindest in den Augen von Menschen, die sich an unserer Rechtsordnung orientieren, die Legitimation zu entziehen. Es gibt gute Gründe, nicht schrittweise vorzugehen, sondern gleich eine allgemeine Impfpflicht für alle umzusetzen.“

Berufsgruppenbezogene Impflichten reichten nach den Erfahrungen anderer Länder nicht aus, um weitere Infektionswellen zu verhindern, schreibt sie. Hier wäre es für eine Wissenschaftlerin angezeigt, die Unterstellung irgendwie zu belegen, dass eine fast vollständige Impfung aller Erwachsenen Infektionswellen verhindern würde.

Dabei hat der Chef von Biontec gerade für eine Drittimpfung schon drei Monate nach der Grundimpfung plädiert und gleichzeitig angekündigt, dass im März eine Viertimpfung speziell gegen Omikron verfügbar sein werde. Das ist nicht gerade ein Beleg dafür, dass Durchimpfung der Bevölkerung den Durchbruch bringt. Wie viele Impfungen die Impflicht umfassen soll, die Grimm fordert, bzw. in welchem Intervall diese stattfinden sollen, dass schreibt die Wirtschaftsweise wohlweislich nicht.

Danach kommt etwas, was schon hart an die Grenze zu einem Plädoyer für Zwangsarbeit geht:

„Ein zweistufiges Vorgehen mit einer Impfpflicht zunächst in Einrichtungen würde zudem bedeuten, dass sich Mitarbeiter durch Kündigung der Impfpflicht entziehen könnten. Die damit einhergehenden Verwerfungen könnten mit einer ohnehin unumgänglichen allgemeinen Impfpflicht vermieden werden.“

So etwas kann wirklich nur schreiben, wer Menschen, die sich nicht impfen lassen wollen, für Feinde hält, die zu unterwerfen sind, nicht für Menschen mit Grundrechten.

Grimm geht zwar mit keinem Wort darauf ein, dass die Inzidenzen in Deutschland seit knapp zwei Wochen sinken. Aber indirekt macht sie aus dem Brechen der vierten Welle sogar noch ein Argument für den schnellen Beschluss einer allgemeinen Impfpflicht:

„Außerdem ist bei schrittweisem Vorgehen zu befürchten, dass bei niedrigen Inzidenzen nach der vierten Welle eine allgemeine Impfpflicht zunächst politisch nicht durchsetzbar wäre.“

„Horrorszenarien den Stecker ziehen“

Dann wendet sich Grimm den Umsetzungsoptionen einer allgemeinen Impfpflicht zu und lässt dabei alle Hemmungen fallen:

„Horrorszenarien wie den Erzählungen vom Impfzwang oder von Beugehaft muss der Stecker gezogen werden. Eine ausgewogene Umsetzung ist möglich, und gute Vorschläge liegen auf dem Tisch.“

Es braucht schon mehr als Chuzpe, den Gegnern einer Impfpflicht das Malen von „Horrorszenarien“ zu unterstellen, nachdem zwei Jahre lang von fast allen maßgeblichen Entscheidungsträgern hoch und heilig versichert worden ist, eine Impfpflicht werde es nicht geben, das sei ein Horrorszenario von Verschwörungstheoretikern, die spalten wollen – so lange, bis sie dann mal schnell beschlossen wurde.

Was sie dann vorschlägt, als „ausgewogene Umsetzung“ , ist in seiner Ausgewogenheit fragwürdig und in seiner Beständigkeit wenig glaubwürdig. Ihr schweben Bußgelder vor, die wiederholt anfallen, wie in Österreich, solange keine Impfung nachgewiesen wird.

Korrekturhinweis: Der voranggegangene und die folgenden Absätze wurden am 15.12. korrigiert. Mehr dazu siehe unten. 

In Osterreich sollen, einem Bericht über den jüngst veröffentlichten Gesetzentwurf zufolge. Leute, die sich nicht impfen und boostern lassen, pro Vierteljahr 600 Euro Strafe zahlen, maximal 3600 Euro. Sehr viele Menschen haben keine 3600 Euro. Ob ihnen ersatzweise Haft droht, geht aus dem Bericht nicht hervor.

Wer angesichts der rapiden Eskalation des Drucks auf nicht Geimpfte darauf vertraut, dass nach eineinhalb Jahren die Bußgelder tatsächlich aufhören, hat ein sehr optimistisches Gemüt.

Das  ist die „ausgewogene Umsetzung“ der Impfpflicht, die es allen Versicherungen zufolge nie geben sollte, mit der Veronika Grimm den Horrorszenarien von der Beugehaft den Stecker ziehen will.

 

Mehr

Dossier zum Sachverständigenrat

Über Ausgrenzung, Angsterzeugung und mögliche Folgen

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