23. 02. 2016 | Christian Odendahl, Chefvolkswirt des „pro-europäischen“ Centre for European Reform in London hat einen Zeitungsartikel zum nicht-existenten Grundrecht auf Bargeld geschrieben. Ich erlaubte mir, auf Twitter eine kleine Offenlegung zu den Sponsoren des Instituts zu ergänzen. Das rief unerwartet heftige Reaktionen bei Herrn Odendahl und anderen hervor.
Odendahl postete auf Twitter: „Mein Beitrag für @zeitonline: Es gibt kein Grundrecht auf Bargeld.“
Ich ergänzte ebenfalls per Twitter: „Spender des Instituts: AIG-Barclays, Deutsche Bank, Fildelity, Goldman Sachs, HSBC, JP Morgan, Lloyds, Rothschild…“
Verschiedene Kommentatoren, darunter der Kreisvorsitzende der Jusos Freising, nannten das „Müll“ oder „voll daneben“, worauf Odendahl großmütig kundtat: „Ich amüsiere mich eher, da @norberthaering damit die verschwörungstheoretische Natur der Bargeldfans aufs Schönste bestätigt“, um dann aber schnell seinen Humor zu verlieren. Auf die Nachfrage eines Twitterers, ob denn alle interessengeleiteten Verbindungen gleich eine Verschwörung begründeten, antwortete er,. „Natürlich nicht, aber auf einen Artikel statt mit Argumenten mit einer Liste von Banken antworten?“ Mir gegenüber beklagte er sich, dass ich den Beitrag offenkundig nicht gelesen hätte (hatte ich), und dass ich ihn für „eine bezahlte Kolonne der Banken“ halte. Als ich, wie gefordert, inhaltlich auf Odendahls Beitrag einging, beklagte er sich über eine verpasste Chance zur Entschuldigung.
Weil die Keule der Verschwörungstheorie so gern geschwungen wird und meist sehr wirksam ihr zerstörerisches Werk tut, lohnt es sich, diesen Disput etwas zu sezieren.
Zunächst einmal: um auf Sponsoren des Arbeitgebers des Schreibers eines derartigen Artikels hinzuweisen, braucht es kein inhaltlichen Eingehen auf die vorgebrachten Argumente. Bei einigermaßen strenger Auslegung der Ethikregeln professioneller Ökonomenvereinigungen, wie des Vereins für Socialpolitik, hätte Herr Odendahl in seinem Artikel selbst auf die finanzielle Verbindung zu einer Branche hinweisen sollen, die ein erkennbares Interesse an der schon im Titel deutlich aufscheinenden These des Beitrags hat. Das gilt selbstverständlich auch unter der Annahme, dass der Autor sich in seinen Thesen und Argumenten nicht vom Interesse der Geldgeber hat leiten lassen.
Ich mache Odendahl keinen Vorwurf, dass er das nicht getan hat. Leider sind solche Offenlegungen unter deutschen Ökonomen sehr unüblich, trotz der Ethikregeln. Das ich die Offenlegung für ihn ergänzt habe, ist umgekehrt aber auch nicht mit einer Verschwörungstheorie oder dem Vorwurf gleichzusetzen, er sei eine bezahlte Kolonne der Bankbranche. Hätte er diese Offenlegung selbst getätigt, wäre auch niemand auf die Idee gekommen, dass er damit eine Verschwörung mit eigener Beteiligung offenlegen will.
Das mögliche Interesse der Bankbranche an Bargeldbeschränkungen ist mindestens vierfach begründet:
1. Bargeld ist eine Konkurrenz zum Giralgeld, das die Banken selbst zum eigenen Profit schaffen können.
2. An Bargeldtransaktionen verdient die Finanzbranche nichts oder wenig, im Gegensatz zu unbaren Transaktionen.
3. Die Möglichkeit der Kunden, unbegrenzt Giroguthaben bar abzuheben, setzt die Banken einem Liquiditätsrisiko aus.
4. Die Möglichkeit der Kunden, Bargeld abzuheben erschwert es, negative Einlagenzinsen der Zentralbank an die Kunden weiterzugeben und die üblichen Margen zu erzielen.
Wenn Banken zu den Hauptsponsoren eines Instituts gehören, dessen Chefvolkswirt in einem Medienbeitrag eine zu diesem Interesse passende Thesen vertritt, dann ist eine Offenlegung sehr angemessen, damit die Leser die Chance bekommen, kritisch in diese Richtung nachzudenken.
Ich vermute, dass Herr Odendahl ehrlich von seinen Argumenten überzeugt ist. Das tut jedoch nichts zur Sache. Auch dann ist die Offenlegung essentiell. Nehmen wir einmal an, statt Herrn Odendahl wäre ein Ökonom gleicher Güte Chefvolkswirt des Instituts, der aber zu verschiedenen Themen Thesen vertritt, die den Interessen der Bankbranche diametral entgegenlaufen. Das könnte bedeuten, dass die Sponsoren aus der Bankbranche ausbleiben oder sich knausrig zeigen. Das wiederum würde bedeuten, dass der Chefvolkswirt seinen Job verliert oder erst gar nicht bekommt, oder dass das Institut weniger finanzkräftig und damit renommiert ist. Selbst wenn Herr Odendahl ausschließlich aus innerer Überzeugung die Thesen vertritt, die er vertritt, muss man also davon ausgehen, dass er das nur als Chefvolkswirt eines renommierten und finanzkräftigen Instituts tun kann, weil seine Thesen oder Ansichten mit den Interessen der Finanzbranche harmonieren. Das sollten die Leser seiner Thesen wissen. Daran ist gar nichts Ehrenrühriges.
Kommen wir zum Kampfbegriff Verschwörungstheorie.
Eine Verschwörung ist eine Verabredung von Menschen mit einer relevanten Gestaltungsmacht, über die sie Stillschweigen bewahren.
In diesem Sinne ist Verschwörung normales politisches Geschäft. Nur die allernaivsten Naturen gehen davon aus, dass es nicht typischerweise Verabredungen zwischen Politikern untereinander, Wirtschaftsakteuren untereinander und von Politkern mit Wirtschaftsakteuren gibt, von denen uns nichts mitgeteilt wird. Das muss und sollte man nicht gleich Verschwörung nennen, weil der Begriff stark negativ besetzt und mit einer Wuchtigkeit aufgeladen ist, die den Verabredungen meist nicht zukommt. Deshalb spreche ich auch nur in seltenen Fällen von Verschwörungen, wenn ich über solche vermuteten Verabredungen schreibe.
Aus dem gleichen Grund ist es unangemessen und dient nur der Diskreditierung, wenn man entsprechende Vermutungen routinemäßig mit dem Totschlagargument „Verschwörungstheorie“ belegt und meint, damit hätte sich alles Argumentieren erübrigt.
Es ist natürlich völlig legitim, Vermutungen über Absprachen für unplausibel zu halten und das kundzutun. Aber derartige Spekulationen und ihre Autoren mit einem Kampfbegriff zu diskreditieren anstatt ihnen mit Argumenten zu begegnen (oder sie zu ignorieren) ist nicht zielführend. Vermutlich ist eine von drei derartigen Thesen, die ich äußere tatsächlich völlig daneben und eine zweite in Teilen daneben. Na und? Nur wenn verschiedene Leute die Plausibilität dessen hinterfragen, was wir glauben sollen, und mit der Plausibilität von alternativen Interpretationen kontrastieren, hat die Öffentlichkeit – haben wir – eine Chance, uns eine realistisches Bild dessen zu machen, was um uns herum vorgeht. Ich jedenfalls bin dankbar für jeden, der sich vom zerstörerischen Wüten derer, die die Verschwörungstheorie-Keule schwingen, nicht abhalten lässt, entsprechende Hypothesen aufzustellen und zu begründen. Diejenigen, die den Begriff Verschwörungstheorie aus Bequemlichkeit benutzen, als Kurzfassung der Aussage, dass sie eine bestimmte These zu vermuteten Absprachen nicht plausibel finden, sollten sich etwas genauer überlegen, was sie da tun. Es ist ein qualitativer Unterschied zwischen dem Ablehnen einer bestimmten These und dem Diskreditieren des Äußerns einer solchen These. Ersteres dient der Meinungsbildung. Letzteres dient der Abschottung der Mächtigen gegen das Hinterfragen und Kritisieren ihrer Absichten.
Manchmal spreche ich allerdings tatsächlich explizit von „Verschwörung“. Die Anti-Bargeld-Verschwörung gehört dazu. Warum, das habe ich in diesem Blog verschiedentlich begründet und werde es in Buchform noch ausführlicher tun. Es ist eben kein Zufall, dass die weltweite Kampagne gegen das Bargeld mit der Finanzkrise zusammenfällt. Es ist kein Zufall, dass die treibenden Kräfte nicht in den Reihen der Kriminalisten, sondern in der Finanzbranche zu finden sind, und dass die wichtigsten Handelnden ein eng geknüpftes Netzwerk bilden, das sich en Detail darlegen lässt. Als Steuerungszentrale dieser weltweiten Kampagne schält sich dabei ziemlich deutlich die Group of Thirty in Washington heraus, in der führende Vertreter der großen internationalen Finanzhäuser sich regelmäßig hinter geschlossenen Türen mit den wichtigsten Zentralbankern der Welt abstimmen.
Das ist natürlich nur Spaß. So eine wilde Verschwörungstheorie würde ich nie ernsthaft äußern.
„Die Abschaffung des Bargelds und die Folgen: Der Weg in die totale Kontrolle“ ist ab 11. März im Buchhandel und ist eine einzige, ausführlich begründete „Verschwörungstheorie“.