Update zum Poker Athen vs. Brüssel/Frankfurt/Berlin: Die Fronten verhärten sich wieder

Mittwochabend und Donnerstag waren ereignisreich. Ich habe die Artikelfolge in „Poker“ umgetauft, weil die Verhandlungssituation inzwischen zu komplex wird, um sie weiterhin in allen wichtigen Aspekten unter das Game of Chicken zu fassen. Noch am Abend nach dem Besuch von Finanzminister Varoufakis bei EZB-Chef Draghi hat die EZB beschlossen, griechische Staatsanleihen nicht mehr als Sicherheit

zu akzeptieren und schreibt damit ein großes weithin leuchtendes  Fragezeichen hinter die weitere Versorgung der griechischen Banken mit Euro, und damit den Verbleib Griechenland in der Währungsunion.

 Der Syriza-Wirtschaftsstratege Jannis Milliós hat mir in einem Interview gesagt, dass er das für einen Bluff hält, weil die EZB die eigene Existenz gefährden würde, wenn sie Griechenland aus der Währungsunion würfe.

Finanzminister Varoufakis war bei seinem Kollegen Schäuble, offenbar ohne dass es eine größere Annäherung der Positionen gab.

Putin hat Tsipras nach Moskau eingeladen.

Bleiben wir solange es geht, noch im Modus des  Game of Chicken. Wir stellen uns vor, die Gegenspieler stehen noch rum bei ihren nebeneinander geparkten Autos und versuchen sich gegenseitig Angst zu machen und die eigene Angstfreiheit darzustellen. Die Einladung nach Moskau lässt sich als Gegendrohung zur Drohung der EZB deuten, den griechischen Banken die Euros abzudrehen. „Ihr könnt uns aus der Währungsunion treiben, aber dann wenden wir uns in unserer Not an Russland.“ Varoufakis hatte zwar gerade erst am Tag vorher gesagt, Griechenland werde nie Russland um Hilfe bitten, aber Putin hat ja Tsipras von sich aus eigeladen und erweckt damit den Eindruck, diesem die Hilfe aufdrängen zu wollen.

Miliós hat mir gegenüber recht überzeugend begründet, warum er die Drohung der EZB nicht allzu ernst nimmt. Wenn ein Land aus der Währungsunion fliegt, kann die EZB zwar versuchen, mit ihren Programmen zum Kauf von Staatsanleihen Turbulenzen an den Anleihemärkten anderer Krisenländer  zu verhindern. Aber, so Miliós, die Märkte würden Instrumente finden, um auf den Austritt des nächsten Landes zu spekulieren und ihn zum eigenen Vorteil auch zu erzwingen. Und es gäbe noch ein Riesenproblem für die EZB: Wenn Griechenland ausgetreten wäre, könnte sie keiner unbotmäßigen Regierung mehr mit Rauswurf drohen. Denn sie kann den Märkten unmöglich erzählen: Okay, das zweite Land fliegt jetzt auch noch raus, aber dann sicher keines mehr. Deshalb ist die Rauswurfdrohung nicht glaubwürdig.

Jetzt aber müssen wir den Analyserahmen des Game of Chicken langsam  verlassen, das die Situation zu komplex ist. Es gibt nicht nur die drei Möglichkeiten Crash oder A weicht zuerst aus oder B weicht zuerst aus. Es gibt auch vieles dazwischen. Man kann sich dem im Game of Chicken noch so annähern, dass vielleicht A ein bisschen von der Mittellinie abweicht und schaut, ob B das erwidert. Wenn er es tut, wicht A noch ein bisschen weiter ab und B auch, bis sie im Idealfall aneinander vorbeifahren, ohne dass zu sehen gewesen wäre, wer „zuerst“ ausgewichen ist.

Das hat in dem letzten Tagen schon stattgefunden, unter anderem mit einem Tsipras und einem Varoufakis, die Kreide gefressen haben und dafür von Juncker ein Eingehen auf ihre Forderung nach Abschaffung der Troika bekamen. Das Problem ist nur: wer mehr als nur ein kleines bisschen ausweicht, vermittelt der Gegenseite vielleicht den Eindruck der Schwäche und verleitet diese dazu, erst recht unbeirrt in der Mitte draufzuhalten. Das scheint passiert zu sein, denn im Moment geht es eher rückwärts bei der Konsensfindung. Darauf deutet auch hin, dass Schäuble schon am Vortag seines Treffens mit Varoufakis am Donnerstag eine Liste mit recht unverschämten Forderungen an Athen in Umlauf brachte.

Es gibt aber in der Realität mehr Dimensionen, als nur das Ausweichen in eine Richtung. In der Realität kann man der Gegenseite in den Verhandlungen auch die ganz großen Waffen zeigen und die kleinen schon Mal spüren lassen. Das macht die EZB. Sie hat die griechischen Banken von der normalen Euro-Geldversorgung abgeschnitten und sie auf die Notkredite von der griechischen Zentralbank verwiesen, die weniger strengen Regeln folgen. Aber diese hat sie Insiderberichten zufolge est einmal  bei 60 Mrd. Euro gedeckelt. Aus der Ja-Nein-Entscheidung hat sie damit eine graduelle Willkürentscheidung gemacht. Sie kann entscheiden, wenn den griechischen Banken wegen Kapitalflucht das Geld knapp wird, ob und um wie viel sie die Grenze anheben will.

Aber wenn Athen nicht klein bei gibt, dann wird die EZB doch nicht um die ja-nein-Entscheidung herumkommen. Denn dann wird wegen der großen Unsicherheit so viel Geld von den griechischen Banken abgezogen, dass die EZB sich entscheiden muss: Gibt sie den griechischen Banken so viel Geld wie diese brauchen um Auszahlungsbegehren erfüllen zu können, oder nimmt sie in Kauf, dass die Banken schließen müssen und Griechenland eine neue Währung braucht.

Diese Aktion ist Teil eines vieldimensionalen Spiels mit gegenseitigen Zugeständnissen und Drohungen, um herauszufinden, wie stark und wie kompromissfähig der Gegner insgesamt ist.

Wohin soll das führen? Das Ziel muss es sein, ein Paket aus ganz vielen Elementen zu schnüren, bei dem beide Seiten etwas bekommen und das es beiden Seiten ermöglicht, ihr Gesicht zu wahren: Syriza gegenüber seinen Wählern, Brüssel und Frankfurt gegenüber anderen Krisenländern, Schäuble, Merkel und Gabriel gegenüber den euroskeptischen (potentiellen) Anhängern von AfD und Pegida. Je komplexer das Paket und je mehr Raum es bietet, dass die einen es so, die anderen es so interpretieren, desto leichter fällt das. Aber weil beide Seiten erst während der Verhandlungen lernen, wie stark und wie einig die Gegenseite ist und jede Seite nur kleine Zugeständnisse machen und nur taktische Waffen einsetzen kann, dauert das Finden einer Lösung seine Zeit.

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