Arne Heise hat für die Hans-Böckler-Stiftung Funktion und konkurrierende Konzeptionen von Pluralismus analysiert und so erklärt, warum Mainstream-Vertreter und Kritiker zu so unterschiedlichen Diagnosen bezüglich der in der Ökonomik vorherrschenden Pluralität kommen. Ingo Stützle kritisiert die Pluralismus-Forderungen von Heise und kritischen Studenten als wirkungslos und skizziert seine eigene, wohldurchdachte Durchsetzungsstrategie.
Ingo Stützle ist Chefredakteur der marxistischen Zeitschrift PROKLA und ein führender Experte für codierten Antisemitismus und lektürefreie Buchrezensionen. Auf meinem Lieblingsblog Oxi setzt er sich unter dem leicht abfälligen Titel „Hätte, müsste, sollte – die Kritik der Neoklassik“ kritisch mit Arne Heises Studie „Pluralismus in den Wirtschaftswissenschaften: Klärungen eines umstrittenen Konzepts“ und den dort erwähnten Forderungen eines internationalen Studentennetzwerks auseinander. Dafür greift er die Feststellung Heises auf, dass sich trotz der anhaltenden Kritik bisher wenig zum besseren geändert habe. Die Wissenschaftlergemeinschaft sei nicht in der Lage, die nötige Pluralisierung von innen heraus zu leisten, sodass es äußerer Eingriffe bedürfe. Dass Heise die genaue Gestalt dieser nötigen Eingriffe ausdrücklich nicht zum Thema der vorliegenden Studie macht, ist für Stützle nicht legitim:
„Was, wenn nicht die Frage der Durchsetzung müsste nach 40 Jahren vergeblichem Appell im Vordergrund stehen?“
Erkennbar hat Stützle für diese vernichtende Kritik bis mindestens Seite 4 („Marx an die Uni“), und zusätzlich noch das Fazit gelesen. Auf dieser Basis präsentiert er unter der Zwischenüberschrift „Wie eine andere Wirtschaftswissenschaft durchsetzen?“, die von Heise und den kritischen Studenten übersehene, überraschend einfache Lösung des Durchsetzungsproblems.
Spaß! Das tut er natürlich nicht.
Jemand „müsste“ mal subtile und intensive Forschungen anstellen, um zu erklären, warum das mit der Umsetzung nicht klappt, fordert Stützle unter wörtlichem Rückgriff auf David M. Gordon, darunter „eingehende Analysen des substantiellen und symbolischen Gehalts des vom Mainstream vertretenen politischen Diskurses“. Er ergänzt, es sei zu hoffen, „dass die Studierenden nicht länger bei Aufrufen stehen bleiben“, stimmt dann Stützle zu, dass die Durchsetzung „wahrscheinlich wirklich“ von außen kommen müsste, und schließt mit der tiefgründigen Frage: „Was aber, wenn die Universitäten als institutioneller Filter für kritische Wissenschaft selbst Teil des Problems sind?“
Zur Ergänzung sei noch kurz angemerkt, was Interessierte zwischen Seite 5 und dem Fazit in Heises Papier finden können.
Heise stellt sich der anspruchsvolle Aufgabe (und löst sie), die Bedeutung von Pluralismus auf den verschiedenen Ebenen Paradigmen (grundsätzliche Denkweisen), Erkenntnistheorie, Ontologie (Ableitung von Repräsentationssystemen), Methoden, Methodologien und Theorien zu untersuchen und die möglichen und in der Realität anzutreffenden Kombinationen hiervon darzustellen und zu bewerten.
Darauf aufbauend erklärt er, was Mainstreamvertreter meinen, wenn sie sagen die Ökonomik sei bereits sehr pluralistisch und welche Pluralismusvorstellung den Kritikern vorschwebt. So wird auch verständlich, wie Vertreter des methodologischen Mainstream, selbst wenn sie sich als Kritiker der theoretischen Orthodoxie verstehen, so wie Dani Rodrik in seinem Buch „Economics Rules“, Pluralismus nur bei Theorien und Methoden wollen, nicht aber bei Methodologien, und erst recht nicht beim Paradigma.
Anders ausgedrückt: wenn Mainstreamer von Pluralismus sprechen, meinen sie unterschiedliche, miteinander kompatible und sich ergänzende Theorien und Methoden innerhalb des vorherrschenden Paradigmas, eventuell noch begrenzte Abwandlungen des Paradigmas, nicht aber unterschiedliche Methodologien und gänzlich andere Strategien zur Abbildung der Wirklichkeit in einem theoretischen Modell. Ich fand das eigentlich recht erhellend, auch wenn mir die Bauanleitung für einen Deus ex Machina, der die Welt mit einem Schlag besser macht, ebenfalls lieber wäre.