Mit der Ankündigung eines Referendums über das Spar- und Reformprogramm, das IWF, EZB und EU-Kommission zur Bedingung für eine Verlängerung des „Hilfs“-Programms für die Griechen gemacht hatten, torpedierte die griechische Regierung den perfiden Plan der Gläubiger. Entsprechend heftig waren die Reaktionen. Das Management by Shock Doctrine ist in Gefahr.
Der Plan der Gläubiger bestand darin, die griechische Regierung vor eine unmögliche Wahl zu stellen, und sie daran zerbrechen zu lassen. Nachdem das Kompromissangebot aus Athen sehr weit ging, aber es noch so aussah, als könne die Regierung dort ein Verabschiedung gerade so überleben, setzten die Vertreter der drei EU-Institutionen eins darauf und verlangten ultimativ eine ganze Reihe von Verschärfungen und zum Teil sinnwidrigen Änderungen. Sie hatten fast alle die Wirkung, die Belastung der griechischen Elite zu senken und die der Armen und vor allem Ärmsten zu steigern. Sie waren unverkennbar böswillig und auf Abwahl der Regierung gerichtet, die entweder so etwas vereinbart, oder aber es ablehnt und damit den Rauswurf aus dem Euro provoziert, den das griechische Volk ebenso wenig will. Dafür wurden in Brüssel schon Vereinbarungen mit den Oppositionsführern geschmiedet, die per Blankozustimmung ankündigten, jede Vereinbarung im Parlament zu unterstützen, der die Regierung zustimmen würde. Damit war klar, dass auch eine Vereinbarung, der große Teile der Abgeordneten der Regierungsparteien nicht zustimmen würden, eine Mehrheit bekommen würde. Die Regierung würde darüber natürlich zerbrechen, und die Gläubiger hätten beides: ein Abkommen und eine neue Regierung, die es umsetzen würde.
Dieses perfide Spiel durchkreuzte die griechische Regierung, indem sie sich weigerte, die unmögliche Entscheidung zu treffen und im Parlament zur Abstimmung zu stellen und sie stattdessen an das Volk zurückgab. Das konnten die Gläubiger natürlich nicht zulassen, denn das würde es ja unmöglich machen, der Regierung die Verantwortung für eine der beiden Katastrophen zu geben, die sie gewählt hatte. Und so muss denn jetzt die Ankündigung eines Referendums als Casus Belli herhalten, mit dem die griechische Regierung angeblich das Schicksal Griechenlands besiegelt hat.
Die Idee dahinter ist, dass man die Krise der Währungsunion nutzen kann, um die von vielen europäischen Völkern, einschließlich dem deutschen, nicht gewollte Fiskalunion in Europa durchzusetzen und die noch zu großen Reste von demokratischer Selbstbestimmung zu schleifen. Der vor kurzem vorgelegte Bericht von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker „in enger Zusammenarbeit mit“ den Präsidenten von EZB, EU-Rat, EU-Parlament und Eurogruppe zur „Fortentwicklung“ der EU-Institutionen wurde nicht von ungefähr vorgezogen, um mitten in dieser Krise schon mal die Richtung vorzugeben. Der Präsident des DIW in Berlin, Marcel Fratzscher, ein ehemaliger EZB-Manager, drückt diese Richtung heute in einem Gastkommentar im Handelsblatt so aus:
„Eine Krise ist immer auch eine Chance, schwierige Reformen umzusetzen. … Die Bundesregierung sollte diese nutzen, um auf schnellere Fortschritte auf dem Weg zu einer Fiskalunion … zu dringen. … Die Entscheidung für eine europäische Bankenunion wurde unter ähnlich hohem Druck im Juni 2012 getroffen.“
Das ist unverkennbar das, was Naomi Klein Schock Doktrin nannte. Die Bankenunion heißt überigens so, weil sie die Europäische Union den Banken zu Eigen macht. Einzelne Staaten können sie nicht mehr heraushauen, wenn sie sich verzockt haben, weil sie einfach zu groß geworden sind. Sie brauchen die tiefen Taschen der gesamteuropäischen Steuerzahler.
Finanzminister Wolfgang Schäuble hat sich schon vor Jahren ganz ähnlich geäußert. Im November 2011 sagte der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble der „New York Times“, sein Ziel sei die politische Union. Die unternommenen Schritte zu einer fiskalischen Union seien Zwischenschritte auf dem Weg dahin. Gemeint waren zum Beispiel die Rettungsschirme, mit denen Staatsschulden vergemeinschaftet wurden. Auch die Bankenunion, mit der Bankschulden vergemeinschaftet werden, fällt unter das Rubrum Fiskalunion.
„Wir können eine politische Union nur erreichen, wenn wir eine Krise haben„, sagte er auch.
Das erklärt, warum der Euro-Raum trotz besserer Ausgangslage in Sachen Staatsverschuldung und Handelsbilanz in einer Dauerkrise gefangen bleibt, während die USA die Krise hinter sich gelassen haben. Es erklärt, warum IWF, EU-Kommission und EZB, allesamt Verfechter einer politischen Union, durch Kaputtsparen halb Europa unter die Kuratel von Brüssel und Frankfurt treiben. Wer ihre Vorgaben oder den Schuldentilgungspakt wegen der Rezession nicht einhalten kann, der wird finanzpolitische Kompetenzen an Brüssel verlieren.
Im Plan von Juncker und seinen vier Co-Präsidenten der EU-Institutionen soll das institutionalisiert werden, wie sie auf Seite 15 beschreiben, in ihren „Options and guiding principles for a euro area stabilisation function.“ Wer in eine Notlage kommt, dem wird mit Geld des europäischen Steuerzahlers geholfen, aber nur wenn er sich wirtschaftspolitisch nach den Brüsseler Technokratenvorgaben richtet, statt nach den Wünschen des eigenen Volkes.
„Es gibt eine begrenzte Übergangsperiode, in der wir die Nervosität der Finanzmärkte managen müssen„, sagte Schäuble damals der New York Times. Im Klartext: Wir sorgen dafür, dass nichts explodiert, aber wir brauchen noch eine Weile hochnervöse Märkte. Bis Ende 2012 oder Mitte 2013, so war seine Prognose damals, ist der Prozess gefestigt genug, dass man keine akute Finanzkrise mehr braucht. Er hat sein die Kontrollierbarkeit solcher Prozesse am Rande des Abgrunds überschätzt.
P.S. (1.7.) Siehe dazu auch einen Beitrag in The Times, in dem ein nicht genannter hochrangiger deutscher konservativer Politiker, einer der einflussreichsten in Europa mit der Aussage zitiert wird, Griechenland werde keinen Cent bekommen, solange Alexis Tsipras und Yanis Varoufakis an der Regierung sind. Deutschland werde dagegen sein Veto einlegen.