Tabelle 3 des RKI-Wochenberichts vom 16.12. kann man entnehmen, dass der Anteil der Geimpften über 60 Jahren an den symptomatischen Covid-19-Fällen im Vierwochenzeitraum von 15. November bis 12. Dezember (46.-49. KW) bei 40,7% lag. Der Anteil an den Infektionsfällen lag sogar bei fast 70%. Mit der Mär von der Pandemie der Ungeimpften war es also schon vorbei. Und auch bei den Krankenhauspatienten betrug der Anteil mit 49,4% praktisch die Hälfte, bei den Gestorbenen an oder mit Corona mit 44,9% ebenfalls schon fast.
Im Wochenbericht vom 23.12., der sich mit dem Zeitraum vom 22. November bis 19. Dezember befasst, sind an den entsprechenden Stellen der Tabelle (nun Tabelle 4) um zwei bis fünf Prozentpunkte niedrigere Anteilswerte zu lesen. So sank der Anteil der „Impfdurchbrüche“ auf den Intensivstationen vermeintlich von 40,7% auf 38,9%.
Das liegt aber nur daran, dass das RKI kreativ geworden ist und die Darstellungsform so geändert hat, dass die Werte kleiner werden und man den Anteilswert für alle Geimpfte gar nicht mehr ablesen kann.
Hinter dem „Anteil der Impfdurchbrüche“ steht jetzt in Klammer („Grundimmunisierung“) und hinter „Auf Intensivstation betreute symptomatische COVID-19-Fälle“ – hinter der Grundgesamtheit also, auf den sich der Anteilswert bezieht – steht eine Fußnote. Aus dieser kann man bei entsprechendem Forscherdrang erfahren, dass es sich nicht mehr um alle Fälle mit bekanntem Impfstatus handelt, wie man normalerweise denken würde, sondern nur noch um: „Alle Fälle, (…) für die aus den übermittelten Angaben hervorgeht, dass sie entweder eine abgeschlossene Grundimmunisierung (ohne Auffrischimpfung) hatten oder ungeimpft waren.“ (Fettung N.H.)
Die Menschen mit Auffrischungsimpfung, die auf der Intensivstation landen, wurden also sowohl aus der Grundgesamtheit aller Fälle (Nenner), als auch aus der Anzahl der betroffenen Geimpften (Zähler) entfernt. Im Fließtext des Berichts steht nichts von dieser grundlegenden Änderung. Man muss eine Fußnote und einen Klammerzusatz zusammenbringen, um sich zusammenzureimen, was hier berechnet wird, und was sich verändert hat.
Außerdem hat man – aus welchem unerfindlichen Grund auch immer – noch eine Spalte für die 5–11-Jährigen hinzugefügt, für die es noch keine Auffrischungsimpfungen, wenige Impfungen und fast keine Impfdurchbrüche gibt.
Für die Geboosterten hat man sich eine eigene, zusätzliche Tabelle 5 ausgedacht.
Hier werden nun die Impfdurchbrüche bei den Geboosterten ins Verhältnis gesetzt zur Summe der Anzahl der Geboosterten und nicht Geimpften unter den Infizierten bzw. Erkrankten der jeweiligen Kategorie. Im O-Ton des Fußnotentextes lauten die Grundgesamtheiten (Nenner der Quoten):
„Alle symptomatischen Fälle, für welche zu „Klinische Information vorhanden“ ein „Ja“ angegeben wurde, und für die aus den übermittelten Angaben hervorgeht, dass sie entweder ungeimpft waren oder eine Auffrischimpfung erhalten haben. Symptomatische Fälle mit unbekanntem Impfstatus und Fälle, für die nur eine Grundimmunisierung angegeben war, wurden ausgeschlossen.“
Es erschließt sich mir nicht, warum der Anteil der Geboosterten an der Summe aus Geboosterten und Ungeimpften in verschiedenen Covid-Patientengruppen ein besonders interessanter Anteilswert sein soll. Schließlich sind es die „Grundimmunisierten“, für die das Boostern in Frage kommt, nicht die noch gar nicht Geimpften, die ja erst einmal die Grundimmunisierung bräuchten.
Wenn man transparent sein wollte, wäre die normale Vorgehensweise, in Tabelle 4 eine zusätzliche Zeile für die Geboosterten einzuziehen und als einheitliche Grundgesamtheit (Nenner) alle Patienten bzw. Infizierten mit bekanntem Impfstatus zu verwenden.
Geht es um Vernebelung?
Es drängt sich der Verdacht auf, dass der Vorteil der gewählten Vorgehensweise vor allem darin gesehen wurde, dass man die Anteilswerte der Grundimmunisierten und der Geboosterten aus den beiden Tabellen nicht zusammenzählen kann, ohne relativ aufwendig umzurechnen. Denn sie werden nun auf unterschiedliche Grundgesamtheiten (Nenner) bezogen.
Man kann deshalb auch die Werte ohne entsprechende Rechenoperationen nicht mehr mit früheren Wochen vergleichen und wird in künftigen Wochen nur schwer aus der Tabelle ermitteln können, ob und wie stark durch das Boostern der Anteil der Impfdurchbrüche an den Infektionen oder Erkrankungen sinkt.
Nach meinen Berechnungen wäre nach alter Darstellungsart der Anteil der Geimpften insgesamt an den Intensivpatienten leicht auf 41,4% gestiegen. Der Anteil der Geimpften an den Krankenhauspatienten wäre praktisch konstant geblieben, derjenige an den Infizierten und den Todesfällen wäre jeweils leicht gefallen.
Man darf davon ausgehen, dass der größere Anteilswert aus den nun zwei Tabellen, nämlich derjenige der Grundimmunisierten an z.B. den Intensivpatienten, in den nächsten Wochen mit zunehmender Anzahl der Booster-Impfungen immer weiter sinken wird, denn es gibt dann immer weniger nur Grundimmunisierte. Gleichzeitig wird der (noch komfortabel niedrige) Anteilswert der Geboosterten steigen. Falls letzterer irgendwann unschön hoch werden sollte, kann man die Tabelle ja wieder ändern.
Ich nehme an, die 2020 geschaffene Abteilung für Propaganda (pardon: „Wissenschaftskommunikation“) der Behörde unter Leitung der Psychologin Mirjam Jenny hat ein paar Überstunden gemacht, um auf diese originelle Neugestaltung der Tabelle zu kommen, die unbequeme Informationen nachhaltig verwischt. Ob es den Grundsätzen für transparente Wissenschaftskommunikation entspricht, dass man nicht explizit auf den geänderten Aussagegehalt der Tabelle hingewiesen wird, sondern Leser sich diesen aus Fußnoten und Klammerzusätzen zusammenreimen müssen, möchte ich bezweifeln.
Infizierte Genesene als Ungeimpfte gezählt?
Es sieht außerdem so aus, als würden die Genesenen, die sich anstecken oder im Krankenhaus landen, den Ungeimpften zugeschlagen. Jedenfalls werden sie nicht explizit ausgeschlossen und „ungeimpft“ sind sie ja, obwohl sie gar keine Impfung brauchen sollten, weil relativ frisch genesen.
Auf Seite 21 des Wochenberichts vom 23.12. steht, dass es nur die Impfstatus grundimmunisiert, auffrischungsgeimpft und ungeimpft gäbe. Ungeimpft wird so definiert: „Fälle galten als ungeimpft, wenn für sie übermittelt wurde, dass sie nicht geimpft waren.“ Auf Seite 22 steht in etwas anderem Zusammenhang, aber wohl übertragbar, dass die Anzahl der Ungeimpften der Differenz von Bevölkerungszahl und Anzahl der Personen, die mindestens eine Impfdosis erhalten haben, entspricht.
Da Genesene ähnlich wie Geimpfte ein halbes Jahr lang als immunisiert gelten, ist es nicht sachgerecht, infizierte bzw. erkrankte Genesene den nicht Geimpften zuzuschlagen. Für sie müsste entweder eine eigene Kategorie gebildet werden, oder sie müssten aus Zähler und Nenner der Quoten entfernt werden.
Die unvollständige und ausweichende Antwort des RKI
Ich gab mit Mail vom 26.12. dem RKI Gelegenheit zu den etwas gestrafft dargelegten Kritikpunkten Stellung zu nehmen und stellte folgende Fragen:
Frage 1: Warum hat das RKI die Quote der Geboosterten an Corona-Fällen in eine neue Tabelle mit anderer Grundgesamtheit (Nenner) ausgelagert, anstatt sie separat in der gleichen Tabelle mit gleichem Nenner wie die Grundimmunisierten auszuweisen, sodass man die Quoten zusammenzählen kann?
Frage 2: Treffen die Aussagen zu Unterbrechung der zeitlichen Vergleichbarkeit und zur Vernebelung der Quote aller Geimpften (Grundimmunisiert plus Booster) zu?
Frage 3: Warum wurden die Änderungen in der Darstellungsweise nicht expliziter gemacht und begründet?
Frage 4: Trifft es zu, dass die Genesenen, die sich anstecken oder im Krankenhaus landen, den Ungeimpften zugeschlagen werden? Wenn ja, ist das nicht verzerrend im Hinblick auf den Anteil Ungeimpfter am Infektions- und Krankheitsgeschehen?
Frage 5: Wie erklärt sich diese Diskrepanz des Anteils der Geboosterten bei den ab 60-Jährigen zwischen den Seiten 26 und 19 des Wochenberichts? Welches ist der richtige Wert? (Siehe Korrekturhinweis unten)
Ich erhielt am 29.12. folgende Antwort:
„Das RKI stellt seit dem 23.12.2021 in den Wochenberichten sowohl die Inzidenzen nach Impfstatus als auch die Impfdurchbrüche und daraus geschätzt die Wirksamkeit der Impfung getrennt nach ausschließlicher Grundimmunisierung und nach erfolgter Auffrischimpfung dar. Hintergrund für diese Aktualisierung ist, dass sich Hinweise mehrten, dass eine länger zurückliegende Grundimmunisierung gegenüber einer symptomatischen SARS-CoV-2-Infektion nicht genauso gut schützt wie eine Auffrischimpfung. Da in der Darstellung bis zum 16.12.2021 die Inzidenzen und die Wirksamkeit einer vollständigen Impfung, die sowohl die Grundimmunisierten als auch die Personen mit Auffrischimpfung beinhalteten, berücksichtigt waren, konnten solche differenzierten Aussagen nicht getroffen werden Dies ist nun mit der neuen Darstellung möglich.
Zu den Methoden allgemein: zur Schätzung der Impfeffektivität werden jeweils nur die folgenden Gruppen verwendet: der Impfstatus von Interesse (also grundimmunisiert bzw. mit Auffrischimpfung) und jeweils die Ungeimpften. Die geschätzte Impfeffektivität stellt damit ganz klar das Risiko der Bevölkerung mit dem Impfstatus von Interesse dem Risiko der Ungeimpften gegenüber. Entsprechend werden die Impfquoten für diese Schätzung berechnet: es gehen nur die Personen mit dem Impfstatus von Interesse (also z.B. nur die Personen mit Auffrischimpfung ohne die Personen, die nur die Grundimmunisierung erhalten haben) und die ungeimpften Personen in die Berechnung der Impfquote ein (wie in der Fußnote erläutert).“
Keine Antwort also zur Frage nach den Diskrepanzen beim Anteil der Geboosterten (Siehe Korrekturhinweis unten). Keine Antwort zur Frage, ob und warum die positiv getesteten bzw. erkrankten Genesenen den nicht Geimpften zugeschlagen werden. Keine Antwort auf die Frage, warum auf die Änderung der Darstellungsweise nicht expliziter hingewiesen wurde. Keine Antwort auf die Fragen zur Unterbrechung der Vergleichbarkeit im Zeitablauf und dazu, dass man den Anteil der Impfdurchbrüche in der Summe nicht mehr ablesen oder einfach berechnen kann.
Die Erklärung für die intransparente neue Darstellung mit Hinweisen auf abnehmenden Schutz durch Grundimmunisierung allein, ist für mich wenig überzeugend. In der Tabelle werden nicht die Daten dargestellt, die notwendig sind, um die Impfeffektivität zu berechnen, sondern die Anzahl und der Anteil der Impfdurchbrüche an den Infektionen bzw. verschiedenen Formen der Erkrankung und Behandlung. Das ist im Hinblick auf den Anteil von Geimpften und nicht Geimpften am Krankheits- und Infektionsgeschehen eine wichtige Information, die von der Politik zeitweise stark in den Vordergrund gestellt wurde (90% Intensivpatienten nicht geimpft, u.ä.). Die neue Darstellungsweise taugt nicht mehr dafür, diese Information transparent und unverzerrt zu vermitteln, und zwar zu einem Zeitpunkt wo die Daten nach alter Darstellungsweise für die Corona-Politik immer unbequemer geworden sind.
Update (30.12.2021 – 3.1.2022): Meiste Omikron-Fälle offenbar geimpft
Im Wochenbericht vom 30.12. gibt es Tabellen 4 und 5 nicht, weil der Bericht ferienbedingt verkürzt ist. Dafür gibt es (auf Seite 14) äußerst bemerkenswerte Informationen zur Omikron-Fällen:
„Zu den im Meldesystem vorliegenden Omikronfällen sind zum Teil Zusatzinformationen bekannt. Für 6.788 Fälle wurden Angaben zu den Symptomen übermittelt, es wurden überwiegend keine oder milde Symptome angegeben. Am häufigsten wurde von Patientinnen und Patienten mit Symptomen Schnupfen (54 %), Husten (57 %) und Halsschmerzen (39 %) genannt. 124 Patientinnen und Patienten wurden hospitalisiert, vier Person sind verstorben. Für 543 (5 %) Fälle wurde eine Exposition im Ausland angegeben. 186 Patientinnen und Patienten waren ungeimpft, 4.020 waren vollständig geimpft, von diesen wurde für 1.137 eine Auffrischimpfung angegeben.“
Von denen, bei denen der Impfstatus bekannt ist, sind 4020 Omikron-Infizierte geimpft und nur 186 ungeimpft. Das heißt 95,6% geimpft, 4,4% ungeimpft. Außerdem wurden überwiegend milde oder keine Symptome angegeben. Man wird uns demnächst erinnern müssen, warum genau die Corona-Einschränkungen kürzlich nochmals verschärft wurden und warum ausgerechnet in dieser Situation eine allgemeine Impfpflicht nötig sein soll.
Aber vielleicht handelt es sich auch um einen schlichten Fehler, der nur wegen des Feiertags nicht zeitnah korrigiert wird. (Bis 14 Uhr am 31.12. habe ich noch keinen entsprechenden Hinweis auf der Webseite des RKI gefunden.)
Update (3.1.2022): Heute hat das RKI seinen Wochenbericht ohne Aufhebens aktualisiert. Die offenbar falsche Zahl von nur 186 „Ungeimpften“ unter den Omikron-Fällen wurde auf 1097 korrigiert. Die anderen Zahlen blieben gleich. Der Prozentanteil der nicht gegen Covid geimpften an den Infizierten mit bekanntem Impfstatus erhöht sich damit auf 21,4%. Das ist etwas weniger als der Anteil der nicht Geimpften an der Gesamtbevölkerung. Das impfen und das Boostern scheint gegen Infektion mit Omikron wenig bis nichts zu bringen.
Änderungshinweis (30.12.): Folgende Passage habe ich gelöscht: „Auf Seite 26 der RKI-Wochenberichts vom 23.12. heißt es bei der Berechnung der Impfeffektivitäten, im Mittelwert von Kalenderwochen 46 bis 49 seien 70,9% der ab 60-Jährigen geboostert gewesen. Dagegen zeigt Abbildung 16 auf Seite 19 eine bis zur 50 Kalenderwoche auf nur ca. 55% ansteigende Boosterquote der ab 60-Jährigen.“
Das RKI ging in seiner Antwort auf meine Anfrage nicht auf diese scheinbare Diskrepanz ein. Sie lässt sich aber damit erklären, wie Leser Zvonko Breskic dankenswerterweise erläutert, dass auf Seite 26 die Impfquoten nicht in Bezug auf die gesamte Altersgruppe berechnet werden, sondern für die Grundimmunisierten (GI) nur relativ zu den Ungeimpften (UI) als
Impfquote = GI /( GI + UI)
und für die Auffrischungsgeimpften (AI) als
Impfquote = AI / (AI + UI).
Demgegenüber lässt sich annehmen, dass auf Seite 19, die gesamte Altersgruppe im Nenner steht.
Wegen der hohen Impfquoten nach dieser Berechnungsweise gilt allerdings, dass die Impfeffektivitäten nach Farrington, die das RKI berechnet, stark verzerrt und damit begrenzt aussagekräftig sein dürften. Es gilt auch mein Hinweis von oben, dass der interessantere (und weniger verzerrte) Vergleich die Impfeffektivität von Boosterimpfungen aus dem Vergleich mit nur Grundimmunisierten wäre. Denn nicht Geimpfte können sich nicht boostern lassen.
Danksagung: Ich danke Reinhard Seyfarth für den Hinweis auf die intransparente Neugestaltung der Tabelle zu Impfdurchbrüchen.
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