Was IWF-Europachef Poul Thomsen heute im Interview mit dem Handelsblatt sagt, reiht sich ein in eine Kette jünger Aussagen, die auf eine neue Strategie im Umgang mit den Griechen hindeuten, die sich den Architekten des neoliberalen Umbaus Eurpas nicht unterwerfen wollen. Waren sie bisher die Versuchskaninchen dafür, wie viel Zumutungen ein Volk im Zuge dieses Umbaus schluckt, bevor es revoltiert, so
sollen die Folgen der stattfindenden Revolte nun genutzt werden, genau diesen neoliberalen Umbau voranzutreiben und institutionell zu festigen.
Das sagte Thomsen:
„Niemand sollte denken, dass ein Grexit ohne Probleme wäre. Die Folgen für Griechenland wären zweifellos traumatisch. Was Europa anbetrifft: Es ist heute in einer stärkeren Position. Es hat eine Brandmauer durch den Rettungsschirm ESM, es hat die Bankenunion. Und es hat die Europäische Zentralbank mit besseren Instrumenten. Aber natürlich wäre auch Europa Risiken ausgesetzt. Sie würden von der wirtschaftspolitischen Antwort abhängen, die die europäischen Regierungen nach einem Grexit gäben.“
HB: Wie sollte diese Antwort ausfallen?
„Besonders wichtig ist es, längerfristige Risiken zu verringern. Zum Beispiel die Gefahr, dass die Euro-Zone als Klub betrachtet würde, in den man ein- und austreten kann, wie man will. Dadurch könnte es in Zukunft Zweifel am Verbleib anderer Staaten geben. Um die zu zerstreuen, bräuchte es ein sehr starkes politisches Signal für eine weitere Integration. langfristig benötigt die Währungsunion eine stärkere fiskalische und politische Union.“
In „Wer gewinnt wenn der Euro zum Nord-Euro mutiert“ hatte ich im Februar die Hypothese aufgestellt, für Schäuble werde zunehmend die Strategie von Plan B zu Plan A, wonach man Griechenland aus der Währungsunion wirft und die daraus resultierende Ansteckungsgefahr für andere Länder nutzt, um auf krisenhaft-undemokratischem Wege die Fiskalunion voranzutreiben, also weitere wichtige staatliche Kompetenzen auf eine demokratisch nur sehr unzureichend kontrollierte Brüsseler Ebene zu verlagern.
Seither gab es jede Menge Stimmen von immer hochkarätigeren Leuten, die dem Grexit das Wort redeten. Thomsen gehört nun dazu und beschreibt genau die Strategie, die ich Schäuble als Absicht unterstellt habe.
Der Vorschuss für Athen aus Moskau von 5 Mrd. Euro an Konzessionsabgaben für eine geplante Gasleitung, wenn es ihn denn gibt, dürfte eine Katalysatorfunktion auf die Verhandlungen ausüben. Griechenland wird dieses Geld nur zur fälligen Schuldentilgung nutzen, wenn das Land selbst etwas davon hat, wenn es also über eine Schuldenrestrukturierung wieder eine tragfähige finanzielle Position bekommt. Andernfalls wirft es das Geld nur in ein Fass ohne Boden. Das ist der Fall über den derzeit ebenfalls viel spekuliert wird. Er wird „Pleite ohne Grexit“ genannt, um es nicht so aussehen zu lassen, als gewönnen die Griechen, indem ihnen die lange geforderte Schuldenrestrukturierung zugestanden wird.
Die andere Möglichkeit ist der unkooperative Fall, in dem die Verhandlungen Scheitern. Griechenland erklärt einseitig die Zahlungsunfähigkeit und nimmt die 5 Mrd. Euro der Russen um mit den Folgen umzugehen. Di EZB dreht den griechischen Banken den Saft ab und wirft Griechenland damit aus dem Euro. Das kann schnell gehen oder ein langgezogener Prozess sein. Wahrscheinlich ist es eher letzteres, denn dann lässt sich die Spekulationswelle auf weitere Austritte besser kontrollieren. Wegen der krisenhaften Zuspitzung der Lage werden neue, kaum reversible Schritte Richtung Fiskalunion und Bankenunion unternommen.
Schäuble und der IWF können sich offenbar mit beiden Möglichkeiten anfreunden. Am Dienstag soll der Vertrag Athens mit Moskau angeblich unterzeichnet werden. Am Dienstagabend sollten wir also wenigsten ein bisschen mehr wissen.