Wie die Autobahnräuber der Fratzscher-Kommission die eigenen Lügen entlarven

Am Dienstag wird Marcel Fratzscher seinem Auftraggeber Sigmar Gabriel das Gutachten seiner Infrastrukturkommission übergeben. Den eigentlichen Zweck der Aktion, Allianz und Co. auf Kosten der Steuerzahler und der ADAC-Mitglieder (als Mautzahler) die Kapitalerträge zu subventionieren, wird hinter einer ganzen Reihe von Lügen versteckt. Man braucht nur den Bericht genau zu lesen, um diese Lügen zu entlarven. Bevor wir

uns dieser kurzweiligen Übung zuwenden, seien noch kurz Felix Rohrbeck und Mark Schieritz aus der letzten „Zeit“ zitiert, die sich endlich kritisch diesem Thema annehmen, das die Mainstram-Medien bisher im Wesentlich dem Handelsblatt, dem Tagesspiegel und meinem Blog überlassen hatten:

Rasen für die Rente! Wenn es nach Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel eingesetzten Expertenkommission geht, dann sichern womöglich bald die Autofahrer die Altersvorsorge. Deutsche Autobahnen würden zur mautpflichtigen Einnahmequelle für Kleinanleger und Finanzindustrie.“

Denn, wie hier ausführlicher nachzulesen, muss das gescheiterte Modell der kapitalgedeckten  Altersvorsorge irgendwie gerettet werden, zum Beispiel, indem den Versicherern und sonstigen Trägern die Renditen subventioniert werden. Dass die letztjährige Rekorddividende des angeblich so schwer unter den Niedrigzinsen ächzenden Versicherers Allianz nicht möglich gewesen wäre, wenn die Gesellschaft nicht auf solche Großzügigkeit hoffen dürfte, kommt noch hinzu, wird aber in diesem Zusammenhang ungern erwähnt.

Hier im Überblick die fünf Lügen, die die Kommission selbst enttarnt:

Lüge 1: Eine Staatsgarantie für die Verkehrs-Infrastrukturgesellschaft führt dazu, dass deren Schulden dem Staat zugerechnet werden.
Lüge 2: Die Hoheit der Parlamente soll gewahrt werden.
Lüge 3: Die Anleger werden für die Übernahme von Risiko vergütet.
Lüge 4: Die Einbeziehung von Privatinvestoren bringt Kosten-, Effizienz- und Geschwindigkeitsvorteile.
Lüge 5: Die vorgeschlagenen „Infrastrukturgesellschaften für Kommunen (IfK)“ sollen diese ohne Interessenbindung beraten.

Los geht’s:

Lüge 1: Eine Staatsgarantie für die Verkehrs-Infrastrukturgesellschaft führt dazu, dass deren Schulden dem Staat zugerechnet werden

In dem Kommissionsbericht steht, dass die Verkehrsinfrastrukturgesellschaft, die für den Fernstraßenbau und –betrieb gegründet werden soll, keine Staatsgarantie für ihre Schuldenaufnahme bekommen soll. So wichtig war das Fratzscher, dass er bei der ersten Ergebnis-Präsentation am 13. April diesen scheinbar zweitrangigen Spezialaspekt prominent in den zusammengeschusterten 10-Punkte-Plan aufnahm, über den angeblich Einigkeit herrschte. Schon das war eine Falschdarstellung, denn die gewerkschaftlichen Mitglieder schrieben in ihrer abweichenden Meinung ausdrücklich, dass die Gesellschaft eine Staatsgarantie bekommen sollte.

Warum ist Fratzscher dieser Aspekt so wichtig? Ganz einfach. Wenn es eine Staatsgarantie gibt, dann gibt es kein nennenswertes Anlagerisiko und damit keine Rechtfertigung, den privaten Kapitalgebern Renditen von drei bis vier Prozent zu gewähren, anstatt der null Prozent, die sie bekommen, wenn sie dem Staat per normale Anleihen Geld geben.

Im von Fratzscher verfassten ersten Berichtsentwurf des einschlägigen Kapitels stand das auch genauso zur Begründung da: ohne (scheinbares) Risiko keine Rechtfertigung der erwünschten hohen Renditen. Weil das öffentlich von mir und in der Kommission von den Gewerkschaften kritisch thematisiert wurde, hat Fratzscher die Argumentation umgestellt und diesen Teil weggelassen. Jetzt heißt es im Bericht:

Eigene Kreditaufnahmekapazität ohne staatliche Garantie. Um die Konformität einer Gesellschaft mit den Maastricht-Kriterien zu gewährleisten, muss eine klare Abgrenzung der Gesellschaft zum Staatssektor erfolgen.“ (Zweite Hervorhebung N.H.)

Und zwei Seiten weiter:

Die österreichische Erfahrung zeigt, dass bei der Konstruktion eine Betreibergesellschaft im Bundesbesitz eine klare Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen Gesellschaft und Staat vorzunehmen ist. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf eine Verschuldung der Gesellschaft, die nicht dem Staatssektor zugeordnet werden und somit bei der Prüfung zur Einhaltung des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes nicht berücksichtigt werden sollte. Um eine klare Trennschärfe an dieser Stelle zu erzeugen, spricht sich die Expertenkommission dafür aus, dass der Bund keine Staatsgarantien bei einer Kreditaufnahme durch die Gesellschaft abgibt.“

Zwar wird es nie ganz ausdrücklich gesagt, aber klarer kann nicht werden, dass die ganze Aktion wesentlich auch dazu dienen soll, dass Schäuble mit seiner schwarzen Null und der Einhaltung des Fiskalpakts angeben kann, ohne auf Schuldenmachen verzichten zu müssen. Schulden sollen einfach so ausgelagert werden, das sie nicht mehr zählen. Doch um diesen Aspekt der Verlogenheit des ganzen Projekts soll es hier gar nicht gehen. Dumm nämlich, dass die Kommission auf der Seite zwischen diesen beiden Aussagen, selbst zugibt, dass die beiden Aussagen falsch sind, dass eine Staatsgarantie gar nicht wirklich bedeutet, dass die Schulden dem Staat zugerechnet werden.

In Österreich finanziert die ASFINAG, die ein privatrechtliches Unternehmen im Bundesbesitz ist, die ca. 2.200 km Fernstraßen. …  Zur Kapitalaufnahme gibt die ASFINAG Anleihen aus, die mit einer Garantie der Republik Österreich ausgestattet sind. Die ASFINAG wird nicht dem österreichischen Staatssektor zugeordnet. Ihre Verschuldung wird somit bei der Prüfung zur Einhaltung der Maastricht-Kriterien nicht berücksichtigt.

Nochmal im Klartext: In Österreich hat die Verkehrsinfrastrukturgesellschaft eine Staatsgarantie und trotzdem werden ihre Schulden nicht dem Staat zugerechnet.

Das hat auch seine Richtigkeit. Nur wenn die Garantie mit einer gewissen, berechenbaren Wahrscheinlichkeit tatsächlich gezogen wird, bewirkt sie, dass die Schulden (teilweise) dem Staat zugerechnet werden. Das ist zum Beispiel bei Garantien für Studienkredite der Fall, für die sich aus der Erfahrung eine wahrscheinliche Ausfallquote errechnen lässt. Bei einer Staatsgarantie für eine Verkehrsinfrastrukturgesellschaft in Staatsbesitz ist ein Ausfall weder nennenswert wahrscheinlich, noch eine solche Wahrscheinlichkeit berechenbar. Deshalb führt die Garantie nicht dazu, dass die Schulden der Gesellschaft dem Staat zugerechnet werden.

Warum erwecken Fratzscher und die Finanzvertreter in seiner Kommission dennoch so nachdrücklich den Eindruck als ob dem so wäre? Ganz einfach. Die österreichische ASFINAG mit ihrer Staatsgarantie bezahlt für ihre Anleihen praktisch genauso niedrige Renditen wie der Staat selbst. Das macht das Modell für die Versicherer und sonstigen institutionellen Investoren, für deren Anlagenotstand diese Kommission einberufen wurde, völlig uninteressant. Bevor die Kommission einberufen wurde, haben Allianz, Ergo und andere in einer großangelegten Medienkampagne alle Welt wissen lassen, dass sie dringend nach Anlagemöglichkeiten suchen, die mehr Abwerfen als normale Staatsanleihen, und dass sie zu diesem Zwecke gern mehr in Infrastrukturfinanzierung gehen wollen. Das müsse aber attraktiver für sie gemacht werden.  

Lüge 2: Die Hoheit der Parlamente soll gewahrt werden

Zur „Wahrung der öffentlichen Kontrolle sollen von der Schaffung einer Infrastrukturgesellschaft für Bundesfernstraßen die bestehenden Regelungen zu Rechts- und Fachaufsichten sowie zur parlamentarischen Legitimation unberührt bleiben“, heißt es treuherzig im Kommissionsbericht.

Aber das Gegenteil steht da leider auch, nämlich:

Die Infrastrukturgesellschaft sollte … selbst entscheiden können, ob sie Aufgaben auslagert oder in Eigenregie wahrnimmt. Zur Realisierung von Aus- und Neubauprojekten bestünde somit die Möglichkeit für die Gesellschaft, Aufträge zur Projektrealisierung an Dritte zu vergeben. Dies könnte z. B. in Form von Konzessionsvergaben geschehen, wie sie in Frankreich praktiziert werden.[1] Voraussetzung für eine solche Vergabe ist eine umfassende Prüfung der zur Verfügung stehenden Beschaffungsvarianten nach Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten durch die Gesellschaft.“ (Hervorhebungen N.H.)

Auf Deutsch: Die Verkehrsinfrastrukturgesellschaft kann nach Prüfung in Eigenregie sehr weitgehenden Aufgabenauslagerungen an Private über umfangreiche Öffentlich Private Partnerschaften (ÖPP) beschließen, am Parlament vorbei. Wo da die öffentliche Kontrolle bleibt, erschließt sich wahrscheinlich nur wenigen außerhalb der Kommissionsmehrheit.  

Lüge 3: Die Anleger werden für die Übernahme von Risiko vergütet

Wirtschaftsminister Gabriel hat sich noch noch vor Einberufung der Kommission, die Ziele von Allianz und Co. zu Eigen gemacht.

 „Die Infrastrukturlücke ist in den letzten Jahren so groß geworden, dass wir sie mit Sicherheit nicht mehr durch ein staatliches Finanzierungsprogramm werden schließen können. …. Ich kann mir gut vorstellen, dass wir Lebensversicherungskonzernen attraktive Angebote machen, sich an der Finanzierung der öffentlichen Infrastruktur zu beteiligen. Die suchen angesichts des niedrigen Zinsniveaus Anlagemöglichkeiten.“ (Hervorhebung N.H.)

Heute soll es aber nicht mehr so aussehen, als wolle man die Kapitalanlagegesellschaften auf Kosten der Steuerzahler und Autofahrer subventionieren. Und so muss neben dem ebenso falschen wie unappetitlichen Argument der Schuldenbremse-Umgehung ein anderer Grund her, warum man den Privaten höhere Renditen zahlen will als man eigentlich müsste.  Fratzscher am 18. April 2015 im Interview mit der Frankfurter Rundschau.

Per se brauchen wir kein privates Kapital um öffentliche Ausgaben zu finanzieren. Die öffentlichen Haushalte weisen hohe Überschüsse auf“, widerspricht Fratzscher seinem Auftraggeber Gabriel diametral, und er hat Recht damit. Gerade haben die Wirtschaftsforschungsinstitute in ihrem Frühjahrsgutachten prognostiziert, dass es in diesem und im nächsten Jahr Überschüsse von je 20 Mrd. Euro geben werde. Das reicht locker um den zusätzlichen Bedarf an Infrastrukturausgaben zu decken. Wenn aber der vorher vorgeschobene Grund für die Subventionierung der Kapitalanlagegesellschaften wegfällt, muss eben ein neuer her. Fratzscher:

Der Kommission geht es um etwas anderes. … Nehmen Sie den Berliner Flughafen, dessen Bau von der öffentlichen Hand gesteuert wird. Die Mehrkosten trägt der Steuerzahler. Wäre es nicht viel besser gewesen, der Bund und die Länder Berlin und Brandenburg als Eigentümer hätten sich gegen die Kostenexplosion mit einer Versicherung abgesichert? Die privaten Investoren bekommen eine Rendite, übernehmen aber auch die Risiken. Das ist die Idee.“

Aha, der Kommission geht es um etwas anderes, als das, was Gabriel öffentlich von ihr wollte. Na gut. Und was steht im Kommissionbericht dazu:

Die Konsequenz ist allerdings, dass der öffentliche Auftraggeber für diese Risikoübertragung durch höhere Finanzierungskosten bezahlen muss. Außerdem gelingt die Risikoübertragung nicht immer.“ Das Insolvenzrisiko müsse berücksichtigt werden.

Diesen Aspekt hat Fratzscher wieder vergessen, zwischen Schreiben des Berichts und Interview. Berlin, und Brandenburg bekommen finanzielle Probleme wegen des Flughafens, und Berlin braucht noch mehr finanzielle Hilfe vom Bund, aber keiner der drei geht Pleite. Der Bund hat nämlich die tiefsten Taschen, die es in Deutschland gibt, lässt man einmal die Europäische Zentralbank außen vor. Was hätte es gebracht, wenn die Auftraggeber des Flughafens eine implizite Versicherung erworben hätten, indem sie privates Kapital mit hineingenommen hätten. Hätten die privaten Betreiber und Kapitalgeber die hohen Milliardenverluste überstanden und klaglos getragen. Ganz sicher nicht. Die Verträge wären neu verhandelt worden und die öffentliche Hand wäre doch wieder auf dem Löwenanteil der Verluste sitzen geblieben. Wie war das noch mit den Milliardenverlusten aufgrund der Probleme mit den von privaten Betreibern  zu schaffenden Mauteinrichtungen auf deutschen Autobahnen. Auch 11 Jahre nach ursprünglich vorgesehener Inbetriebnahme des Mautsystems streitet man sich mit Toll Collect um Milliarden wegen der eingetretenen kostspieligen Verzögerungen. Ein Ende des Schiedsverfahrens ist nicht in Sicht. Aber zwischenzeitlich wurde der Vertrag mit Toll Collect ohne Ausschreibung bis 2018 verlängert und erweitert.

Dass die Risikoübertragung nicht ernst gemeint ist, sondern nur ein Vorwand fzur Rechtfertigung höherer Renditen, stand nicht nur recht deutlich noch in Fratzschers erstem Entwurf. Man erkennt es auch daran, dass die Kommission sich nirgends mit der Frage auseinandersetz, ob und unter welchen Bedingungen die Risikoabgabe für die öffentliche Hand wirklich mehr wert ist als sie an höheren Renditen zu entrichten hat. Man kann sich im Bericht auch an verschiedenen Stellen die Aussagen zusammensammeln, die belegen, dass man weiß, dass bei der vorgeschlagenen Verkehrsinfrastruktur-Finanzierungsgesellschaft das Risiko für etwaige Eigenkapital- oder Fremdkapitalgeber minimal wäre.

Zunächst heißt es noch:

Mit der Schaffung einer Verkehrsinfrastrukturgesellschaft geht die Finanzierungsverantwortung auf diese über. Sie sollte das wirtschaftliche Risiko vollständig übernehmen.“

Wie gering  dieses Risiko  auch in den Augen der Kommission sein soll, kann man daran ermessen, dass kurz  vorher, wo diskutiert wird, ob Private sich mit Eigenkapital an dieser Gesellschaft beteiligen können sollen, es heißt:

Vor allem die Frage, nach welchen Kriterien die Rendite für privates Eigenkapital in einem solchen Modell berechnet werden soll, ist offen.“ (Hervorhebung N.H.)

Man beachte: Die Rendite für das Eigenkapital soll berechnet werden. Das klingt nicht nach Risiko, das klingt nach sicherer Rendite, die berechnet und zugewiesen wird. Und tatsächlich liest man etwas weiter hinten, dass es eine Regulierungsbehörde geben müsse, die die Nutzerentgelte festlegt.

Grundlegend ist in diesem Fall die Aufsicht der Gesellschaft durch eine Regulierungsbehörde, die Rahmenbedingungen und Standards festlegt sowie die Nutzerentgelte reguliert.“

Und zwar soll sie das so tun, dass die Rendite gewährleistet ist:

„Bei der (Preis-)Regulierung durch die Regulierungsbehörde sollten die Fremdkapitalkosten anerkannt werden. Bei den Mauteinnahmen sollte, wie oben dargestellt, das Kostendeckungsprinzip gelten, wobei auch eine Verzinsung des eingesetzten Eigenkapitals berücksichtigt werden könnte. Damit wäre ein Ansatzpunkt für die Berechnung einer (Eigenkapital-) Rendite für das private Kapital gefunden.“ (Hervorhebungen N.H.)

Kostendeckungsprinzip!

Fremdkapitalkosten anerkennen!

Eigenkapitalkosten einrechnen!

Wo bitte sollen hier noch Verluste herkommen? Allein durch Zusammenziehen der Aussagen in dem Bericht und der Kontrastierung mit dem was Auftraggeber Gabriel vorher sagte ist der versuchte Betrug der Lobbyisten und ihrer Handlanger enttarnt.

Man beachte noch, dass das „Eigen“ in „Eigenkapitalrendite“ in Klammern gesetzt ist. Soll das das Einfallstor sein, um die großzügig zugestandene Eigenkapitalrendite auch gleich auf das Fremdkapital zu übertragen. Eine frühere Fassung des Berichts deutet darauf hin.

Lüge 4: Die Einbeziehung von Privatinvestoren bringt Kosten-, Effizienz- und Geschwindigkeitsvorteile

Mit ÖPP verbundenen Vertragsstrukturen können stärkere Anreize bieten, Kosten- oder Zeitüberschreitungen von Projekten zu vermeiden, als bei eigenrealisierten Projekten“, heißt es im Kommissionsbericht. Dumm nur, dass es keine Untersuchung gibt, die das in der Breite, belegt, wohl aber Untersuchungen, die zeigen, dass es in aller Regel teurer wird und mindesten genauso lange dauert. Das haben die deutschen Rechnungshöfe ermittelt. Das geht auch aus einem Bercht des britischen Unterhauses von 2011 hervor, der ebenfalls im Kommissionsbericht aufgeführt wird. Letzteres ist besonders wichtig und bemerkenswert, weil Großbritannien ein Vorreiter war und lange als Posterchild der Public Private Partnerships gehandelt wurde. In dem Bericht des Unterhauses heißt es: die Finanzierungskosten seien höher, die erhoffte schnellere Projektrealisierung werde von längeren Vorlaufzeiten für Vorbereitung und Vergabe konterkariert und höhere Kostensicherheit in der Bauphase könne in konventionellem Rahmen durch gute Vertragsgestaltung mit den Bauträgern erreicht werden.

Der letzte Punkt ist besonders bemerkenswert und wichtig. Die bei guter Vertragsgestaltung zu erreichenden Termintreuevorteile und Effizienzgewinne haben wenig bis nichts mit der Finanzbeteiligung Privater zu tun. Man kann Termintreue auch erreichen, indem man Vertragsstrafen bei Terminüberschreitungen vereinbart. Das ist viel weniger komplex und birgt dadurch viel weniger Vertragsrisiken für alle Beteiligten, als hochkomplexe Vertragsgestaltungen, die regeln sollen, was in den nächsten 30 Jahren passiert. Nur weil man die Allianz als Kapitalgeber hereinholt, wird kein Bau effizienter erstellt. Die Allianz ist kein Spezialist für die kostengünstige und termintreue Erstellung und Instandhaltung eines Schulzentrums oder einer Autobahn.

Und was hat die Kommissionsmehrheit diesen desaströsen Studien entgegenzusetzen: fast nichts, davon aber reichlich. Sie zieht eine Umfrage des Wirtschaftsministeriums von 2014 hervor, entstanden ohne Rücksprache mit den Kommissionsmitgliedern (jedenfalls den kritischen) und erkennbar mit dem Ziel eine scheinbare Evidenz zugunsten der vom Minister ausdrücklich erwünschten Einbeziehung privater Investoren zu schaffen, damit sie im Kommissionsbericht angeführt werde kann. Die Studie – bzw. eine Rohfassung von deren Ergebnissen – wurde den Kommissionsmitgliedern erst nach Abschluss der Kommissionsarbeit zugänglich gemacht und in der Kommission nicht diskutiert. Sie fehltauch im Literaturverzeichnis und hat im Bericht weder einen Titel noch wird sie ausführlich beschrieben. (Auch eine weitere Studie mit positiven Ergebnissen wird in den Fußnoten und im Literaturverzeichnis der Berichtsfassung vom 13.4. nur als Hesse et al. 2013 aufgeführt und ist mitdiesen rudimentären Informationen nicht auffindbar.)

Was also beweist diese Kommunenbefragung durch Gabriels Ministerium?

So beurteilten in der bereits zitierten BMWi-Umfrage nur 15 Prozent von Kommunen mit ÖPP-Erfahrung die Baukostentreue von ÖPP-Projekten als „schlecht“ oder „sehr schlecht“. Dagegen gaben 52 Prozent der gleichen Kommunen an, die Baukosten von konventionellen Projekten sei im Allgemeinen schlechter oder viel schlechter als geplant. Ähnliche Antworten ergaben sich bei einer entsprechenden Frage zur Termintreue.“

So viele Fehler und unwissenschaftliche Vorgehensweisen in einen Absatz zu packen, ist schon ein Kunststück.

Es geht bei diesem Teilergebnis also nur um Kommunen mit ÖPP-Erfahrung. Davon gibt es, wie man weiter vorne im Bericht erfahren hat, sehr wenige. Die Repräsentativität der Ergebnisse dürfte recht begrenzt sein. Dann handelt es sich bei diesen wenigen Kommunen auch nicht um zufällig ausgewählte Kommunen, sondern um solche, die sich entschieden haben, es mit ÖPP zu versuchen. Naheliegende Gründe sind, neben dem Wunsch, Kosten aus dem Haushalt auszulagern und in die Zukunft zu verschieben, schlechte Erfahrungen mi konventioneller Erstellung. Wenn man bevorzugt Kommunen mit schlechten Erfahrungen fragt, wie ihre Erfahrungen waren, dann kommt wahrscheinlich ein ungünstiges Ergebnis heraus, in diesem Fall ungünstig für die konventionelle Erstellung. Und dann werden auch noch Äpfel mit Birnen verglichen. Kommunen wurden zu ÖPP gefragt, ob ihre Erfahrungen sehr gut, gut, schlecht oder sehr schlecht waren, während sie zu konventioneller Erstellung gefragt wurden, ob ihre Erfahrungen besser oder schlechter als geplant waren. Hinzu kommt noch, dass eine Institution mit eine erklärten Interesse an einem bestimmten Ausgang der Befragung, die Befragung selbst konzipierte und die Befragten dieses Interesse wahrscheinlich gut kannten.

Deutlich über die Hälfte der etwas über 1000 befragten Kommunen waren kleiner als 15.000 Einwohner. Das prägt natürlich das Ergebnis bei Fragen wie denen nach der Ausführlichkeit und Häufigkeit von detaillierten Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen. Denn kleine Kommunen haben in der Regel auch nur kleine Projekte, bei denen sehr ausführliche Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen weder sinnvoll noch üblich sind. Die fünf befragten Kommunen mit mehr als 500.000 Einwohnern haben ein Vielfaches an Einwohnern all dieser Kleinkommunen zusammen. Man sucht aber vergeblich nach einer Berücksichtigung dieser Tatsache, etwa dass man auch einmal ein Ergebnis nur für die Kommunen mit über – sagen wir mal – 50.000 Einwohnern präsentiert bekäme. Das ist hochgradig tendenziös und wissenschaftlich indiskutabel.

Derartige Untersuchungen sind weniger als wertlos. Kein Wunder, dass das Ministerium diese Befragung an der Kommission vorbei organisierte. Sonst wäre sie sicher besser geworden, aber das Ergebnis hätte vielleicht nicht mehr gepasst.

Lüge 5: Die vorgeschlagenen „Infrastrukturgesellschaften für Kommunen (IfK)“ sollen diese ohne Interessenbindung beraten

Es wäre ebenso erfreulich wie erstaunlich, wenn eine von privaten Investoren durchsetzte Kommission,die vom auftraggebenden Ministerium signalisiert bekommen hat, dass die Einbindung privater Investoren argumentativ unterfüttert werden soll, Beratungsinstitutionen für die Kommunen vorschlüge, die diese tatsächlich im Kommuneninteresse und sonst keinem beraten. Was die Kommissionsmehrheit aufschreibt klingt so, als ob sie es getan hätte:

Zusätzlich sollte die Schaffung einer öffentlichen Infrastrukturgesellschaft für Kommunen (IfK) geprüft werden, die den Kommunen als kompetenter, nicht interessengebundener und erschwinglicher Berater zur Seite stehen würde.“

Aber es klingt eben nur so, denn es geht weiter:

„Der Auftrag und die Governance der IfK müsste so gestaltet werden, dass die IfK gegenüber alternativen Beschaffungsmodellen strikt neutral agiert und auch so wahrgenommen wird.“

Das ist eine genial perfide Formulierung. Nicht etwa objektiv, sondern neutral, soll sie agieren, und nicht nur das, sondern auch so wahrgenommen werden.

Was heißt das? Gesetzt den Fall, diese Gesellschaften werden eingerichtet, und bis dahin hat sich an der Erkenntnislage in Sachen ÖPP nichts Wesentliches gehändert. Dann müssten Berater, die obejektiv im Bürgerinteresse beraten, sagen: Lasst die Finger von ÖPP. Wenn aber die Voraussetzung NEUTRALITÄT gegenüber den Finanzierungsvarianten ist, dann können Leute und Institutionen, die solches ganz allgemein und korrekt öffentlich festgestellt haben, nicht mehr für die Leitung solcher öffentlicher Beratungsgesellschaften in Betracht gezogen werden, oder sie müssten von Befürwortern von ÖPP neutralisiert werden. Denn diejenigen, die mit ÖPP Geld verdienen oder damit öffentliche Ausgaben in die Zukunft verschieben wollen, könnten sonst mit Fug und Recht einwenden, dass die IfK in ihrer Wahrnehmung nicht strikt neutral gegenüber alternativen Beschaffungsmodellen ist.  

Lieber Herr Gabriel, das wird nichts mehr. Diese Kommission hat’s nicht gebracht. Hängen Sie ihr Fähnchen wieder um und vergessen Sie das Ganze. Ihnen wird schon etwas anderes einfallen, wie sie Allianz und Co. etwas Gutes tun können.

Dossier:

Gabriel gibt den Staat zur Ausplünderung frei 31.08.2014

Wie die Allianz trickst und täuscht um an noch mehr Steuergeld zu kommen und das Scheitern der privaten Vorsorge zu verdecken 12.01.2015

Der große Autobahn-Raub der fünften Gewalt (mit P.S.) 11.02.2015

Talanx-Vorstand springt Autobahnräubern mit medialem Täuschungsmanöver bei 31.03.2015

Autobahnräuber stoßen auf Widerstand 31.03.2015

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