Mit etwas Verspätung habe ich die Rede von Sabine Lautenschläger auf dem „Wirtschaftsgipfel“ der Süddeutschen Zeitung am 29. November im Detail gelesen und bin schockiert. Das deutsche Mitglied des Direktoriums der Europäischen Zentralbank ist entweder hochgradig ahnungslos oder eine zynische Bauernfängerin. Eines ist klar. Mit Sprüchen wie denen, die sie in Berlin abgesondert hat, kann man den Menschen nur in Deutschland
kommen, weil hier alles was nach strenger Zuchtmeisterei klingt als tugendhaft gilt – und sei es noch so unsinnig.
Vorneweg: Ich halte nicht allzu viel von Wertpapierkäufen als Mittel der Geldpolitik. Es gibt bessere. Aber das heißt nicht, dass ich jedes noch so dämliche Argument dagegen schlucken muss.
Zunächst klingt Lautenschläger als wolle sie für entschlossenes Handeln plädieren. Die Geldpolitik sei herausgefordert, spricht sie, denn:
„Mit 0,4% für den gesamten Euro-Raum liegt die Inflationsrate deutlich unter unserem angestrebten Ziel von knapp 2%. Die Aussichten für das Wirtschaftswachstum und die weitere Preisentwicklung auf mittlere Sicht sind verhalten. Geldmengenwachstum und Kreditvergabe sind schwach.“
Dabei ist „verhalten“ das übliche EZB-Neusprech für sehr schwach und „schwach“ für stagnierend oder gar negativ.
Doch der ganze Rest ihrer Rede besteht aus zumeist schlechten bis unsinnigen Argumenten für das Nichtstun. Wie schlecht ihre Argumente sind zeigt sich allein schon daran, dass die EZB selbst auch Ende 2016 noch eine viel zu niedrige Inflationsrate prognostiziert. Die EZB glaubt also nicht daran, dass die bereits beschlossenen Maßnahmen ausreichen werden, das Inflationsziel von rund zwei Prozent wenigsten mittelfristig zu erreichen.
Da sollte der Satz: „Die EZB muss und wird ihr Handeln allein an ihrem Mandat ausrichten. Preisstabilität ist die Richtschnur unseres Handelns“, eigentlich wie ein klarer Handlungsauftrag daherkommen. Frau Lautenschläger führt ihn aber aus unerfindlichen Gründen ein als würde er innovativen Maßnahmen im Weg stehen.
Danach fängt es an richtig falsch zu werden, und ein fürchterliches Gedankenwirrwarr obendrein:
„Der Euroraum krankt an mangelnder Wettbewerbsfähigkeit und Produktivität“ verkündet sie, als könne diese grob falsche Behauptung die Schuld von der EZB wegnehmen und auf andere schieben, dafür, dass sie ihr Ziel verfehlt und – wenn es nach Sabine Lautenschläger gehen würde – trotzdem die Hände in den Schoß legen würde. Ein Währungsraum mit einem hohen und steigenden Überschuss im Außenhandel krankt nicht an mangelnder Wettbewerbsfähigkeit. Wer so einen Satz sagt, ist entweder wegen Inkompetenz nicht in der Lage, so ein wichtiges Amt auszufüllen, oder wegen Unehrlichkeit.
Dann kommt das große Durcheinander:
„Strukturprobleme und die derzeit schwache Nachfrage führen zu einer unbefriedigenden Wachstumsentwicklung und in vielen Ländern zu einer inakzeptabel hohen Arbeitslosigkeit. Diese Herausforderungen zu bewältigen, ist nicht die Aufgabe der Geldpolitik.“
Hier werden munter „Strukturprobleme“, ein Wieselwort ohne klare Bedeutung, und Nachfrageprobleme in einen Topf geworfen und dann auch noch unter das Rubrum Wettbewerbsfähigkeit gestellt. Es gab Zeiten, da unterschieden kompetente Ökonomen noch zwischen Nachfrageproblemen und Angebotsproblemen – und hielten die Geldpolitik zumindest für mitzuständig für die Ersteren.
Dann kommt die Aufzählung dessen, was die EZB bisher getan hat, um VERGEBENS zu versuchen, die Kreditklemme zu beheben und die Deflationsgefahr zu beseitigen. Aber bei Frau Lautenschlägers findet sich natürlich das Wort „vergebens“ nicht. Doch wenn man ihre Rede genau weiterliest, wird klar, dass sie sich dessen sehr bewusst ist – und trotzdem weiter gegen andere Maßnahmen agitiert und für das Abwarten wirbt. Sie sagt weiter:
„In der Tat waren die Notenbanken weltweit alles andere als tatenlos. Insbesondere haben sie ihre Bilanzen signifikant ausgeweitet und über Veränderungen in der Bilanzstruktur vielfältige Maßnahmen ergriffen, um gezielt in von Liquiditätsengpässen betroffenen Teilmärkten zu intervenieren, wichtige Kreditbeziehungen aufrechtzuerhalten und eine funktionierende geldpolitische Transmission zu gewährleisten. Auch wir haben zu innovativen Maßnahmen gegriffen, zu den oben genannten gezielten, längerfristigen Refinanzierungsgeschäften und den Ankäufen von Pfand- und Kreditverbriefungen.“ (Fettung N:H.)
Interpretation: Frau Lautenschläger hat genug Ehrgefühl, nicht zu behaupten, die Maßnahmen der EZB hätten gewirkt oder gar gereicht. Das haben sie nicht. Das Kreditvolumen schrumpft immer weiter, die „geldpolitische Transmission“ funktioniert nicht. Damit sie von solchen Erfolgen trotzdem reden kann, flicht sie schnell mal „die Notenbanken weltweit“ ein und hängt die EZB dran, so als ob für sie das Gleiche gelte. Das ist die hohe Kunst des Redenschreibens.
Ökonomen bitte festhalten beim nächsten Lautenschlägerschen Gegenargument:
„Bedenken Sie auch, dass andere Notenbanken staatliche Wertpapiere in einem anderen wirtschaftlichen Umfeld mit deutlich höheren langfristigen Zinsen gekauft haben. In der Eurozone liegen z.B. die langfristigen Zinsen spanischer oder italienischer Staatsanleihen schon unterhalb derer aus den Vereinigten Staaten oder Großbritanniens.“
Ein Ökonomiestudent, der internationale Vergleiche mit nominalen statt mit realen, also um unterschiedliche Inflationsraten bereinigten, Zinsen anstellt, wird größte Schwierigkeiten haben, ein Examen zu bestehen. Die Inflationsrate in Spanien betrug zuletzt minus 0,4 Prozent, die Rate in den USA ist zwei Prozentpunkte höher. Die Realzinsen – und ausschließlich die kann man sinnvoll vergleichen – sind in Spanien weit davon entfernt niedriger zu sein als in den USA.
Ich denke, diese Rede spricht für sich. Deshalb will ich statt eines Fazits Erwan Mahé danken, über den ich auf sie aufmerksam wurde.