19. 05. 2023 | Am 16.5. hatte ich im Beitrag „Das Bildungsministerium lässt Jugendliche zu Kämpfern gegen Verschwörungstheorien ausbilden“ indirekt auf ein Video aus dem Jahr 2013 verlinkt, in dem der Linken-Politiker Gregor Gysi sagte, das Besatzungsstatut gelte noch. Laut Hinweis eines Lesers war das Video am 16. 05. nach Veröffentlichung meines Beitrags noch online, am 17.5., als er es in weiser aber zu später Voraussicht sichern wollte, nicht mehr. | Nachtrag: Es gibt andere Fundstellen für das Video und den Text des Interviews.
Der Leser schrieb mir am 18,5.:
„In Ihrem Beitrag vom 16.05.2023 „Das Bildungsministerium lässt Jugendliche zu Kämpfern gegen Verschwörungstheorien ausbilden“ hatten Sie auf einen älteren Beitrag „Reichsbürger Wolfgang Schäuble“ vom 5.12.2016 verwiesen. In diesem wiederum war ein Youtube-Linkhttps://www.youtube.com/watch?v=NNj7rrFTwVM mit dem Zitat von Gregor Gysi: „Ich muss ihnen mal ganz ernsthaft sagen, dass dasBesatzungsstatut immer noch gilt…“ Am 16.05.2023 konnte ich dieses Video noch sehen. Nun wollte ich es lokal sichern, aber das Wahrheitsministerium war schneller: „Video nicht verfügbar. Dieses Video ist nicht mehr verfügbar, weil das mit diesem Video verknüpfte YouTube-Konto gekündigt wurde.“
Google hat zwar Mitte Mai angekündigt, Videos, und andere Inhalte, die mit lange inaktiven Accounts verbunden sind, gemeinsam mit diesen Accounts zu löschen. Das soll aber laut Medienberichten behutsam und erst ab Dezember 2023 geschehen. Es sollte also nicht der Grund für diese Löschung sein.
Denkbar ist, dass das Video mit einem inzwischen gekündigten Account verbunden war und trotzdem schon jetzt gelöscht wurde, oder dass der Inhaber des Accounts diesen kurz nach Veröffentlichung meines Beitrags gekündigt hat, oder dass Google den Account gekündigt und das Video gelöscht hat – aus legitimem Grund (z.B. Fälschung) oder aus nicht legitimem (Zensur).
Das angekündigte Vorgehen von Google ist ausgesprochen bedauerlich und kritikwürdig, sofern es auch wichtige, viel frequentierte Videos betrifft. Denkbar ist leider, dass Google diese ruppige neue Vorgehensweise angekündigt hat, um selektiv Videos löschen zu können, ohne sich den Zensurvorwurf einzuhandeln. In Anbetracht der Tatsache, dass Google ansonsten keinen Speicherplatzbedarf scheut, um alles zu sammeln und zu archivieren, wessen es habhaft werden kann, ist die angekündigte Vorgehensweise immerhin untypisch.
Nachtrag: Video an anderer Stelle noch verfügbar
Es gibt noch Versionen des Phoenix-Interviews mit Gysi („Gregor Gysi – Deutschland ist immer noch ein besetztes Land, Besatzungsstatut“) ohne Transkript (Min 3:30) und mit Transkript.
Gysi hat sich auch danach auf eine Anfrage hin nochmals ausführlich schriftlich zu dem Thema geäußert.
Er schrieb unter Anderem:
„Anders sieht es mit der realen Souveränität und eigenständigen Entscheidungsfähigkeit Deutschlands aus. Und gerade jetzt bei der Diskussion um die NSA-Affäre und die Enthüllungen von Snowden wurde das von mir thematisiert. Sie müssen davon ausgehen und das auch akzeptieren, dass das Besatzungsstatut durch die Pariser Verträge 1955 ganz offiziell aufgehoben wurde. Allerdings sicherten sich die USA fast gleiche Rechte durch Geheimverträge zu, die während der Zwei-plus-Vier-Verhandlungen nicht aufgehoben wurden. Jetzt sollen sie allerdings laut Aussagen der Bundesregierung aufgehoben worden sein.
Unter dem Deckmantel des damaligen Kalten Krieges, der „Verteidigung des freien Westens“, der Sicherung von Militärbasen, sind Geheimverträge abgeschlossen worden. Ich hatte naiverweise erwartet, dass diese Verträge im Zuge der 2+4-Gespräche aufgehoben wurden. Sie wurden aber nicht aufgehoben, weil nämlich nur Abkommen mit allen vier Mächten aufgehoben wurden, nicht aber Abkommen mit drei Mächten, mit zwei Mächten oder mit einer Macht. Da war zwar alles, was mit den Russen und den anderen drei Mächten gemeinsam vereinbart war, heraus, aber der Rest blieb, und das geht nicht.
Jetzt hat die alte Regierung im Zusammenhang mit der NSA-Affäre erklärt: ‚Im Sommer sind diese Verträge für unwirksam erklärt worden‘ – Wie eigentlich? Ich würde gerne einmal die Noten sehen. Was stand da eigentlich drin? Es gab auch neue Verwaltungsvereinbarungen.“
Als gewiefter verbaler Hütchenspieler sagte Gysi dann auch noch das Gegenteil, um sich von rechten Reichsbürgern abzugrenzen, deren Applaus er nicht wollte. Das habe absolut nichts damit zu tun, dass wir nicht ein souveräner Staat wären, wir einen Friedensvertrag bräuchten, etc.
Wissenschaftler bestätigt Gysi
Der Historiker Josef Foschepoth durfte bis dahin geheime Akten des Innenministeriums auswerten. Darüber schrieb er das Buch „Die nie ganz souveräne Republik“. In einer sehr lesenswerten Rezension von Franziska Augstein in der Süddeutschen Zeitung vom 13.11.2012 heißt es unter anderem:
„1955 traten in der Bundesrepublik die Pariser Verträge in Kraft, die den Besatzungsstatus beendeten. Adenauer verkündete, nun seien die Westdeutschen „Freie unter Freien“. Insgeheim wusste er es besser. Die Westmächte hatten sich allerlei Vorbehaltsrechte ausbedungen, um Westdeutschland auch weiterhin kontrollieren zu können. Im Besonderen forderten die Drei Mächte nun im Namen der „Sicherheit der alliierten Truppen“ in Deutschland „Maßnahmen im Fall eines inneren und äußeren Notstands und zur strategischen Überwachung des Post- und Telefonverkehrs“. (…) Dazu musste der 10. Artikel des Grundgesetzes geändert werden, der mit den Worten anhebt: „Das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis sind unverletzlich.“ Der Eingriff ins Grundgesetz wäre nur mit einer Zweidrittelmehrheit im Bundestag zu machen gewesen, wozu die SPD sich in den 50er-Jahren nicht bereit erklärt hätte. Weil Adenauer einen politischen Erfolg brauchte und die Pariser Verträge also unbedingt abschließen wollte, ersann er, was Foschepoth einen „Trick“ nennt: Zusammen mit den Westmächten setzte der Kanzler einen Brief an sich selbst auf, in dem von ihm gefordert wurde, die nötige Überwachung zu gewährleisten. Damit hatte Adenauer eine aus seiner Sicht optimale Lösung gefunden: Die Alliierten waren zufrieden, und der Brief blieb als Annex zu den Pariser Verträgen geheim; nur wenige Politiker und Beamte wussten davon.Dass Adenauer, wie Foschepoth schreibt, einen „schweren Verfassungsbruch“ beging, indem er Artikel 10 des Grundgesetzes aushebelte, kümmerte ihn nicht.“