23. 05. 2021 | Hören | Anhand einer Studie von Mitarbeitern einer Labortest-Firma aus den USA hat die Deutsche Presseagentur Regionalzeitungen und Webportale mit der steilen Behauptung geflutet, Vitamin-D helfe nicht gegen Corona. Die Autoren haben Interessenkonflikte und ihre Studie sagt nicht aus, was der Bericht von dpa behauptet.
Völlig unkritisch berichtet die Nachrichtenagentur dpa am 21. Mai aus New York über die online veröffentlichte Studie von Mitarbeitern der Labortest-Firma Quest Diagnostics, die ihr Geld unter anderem mit Coivd-Tests verdient.
Der Artikel „Assessment of the Association of Vitamin D Level With SARS-CoV-2 Seropositivity Among Working-Age Adults“ erschien am 21. Mai in JAMA Network Open. Von einer fachlichen Begutachtung des Aufsatzes ist nichts zu lesen.
Schon der Titel „Beurteilung der Verbindung von Vitamin-D-Niveaus mit Sars-CoV-2-Seropositivität“, macht – wenn man weiß, was Seropositivität bedeutet – die geringe Aussagekraft der Studie zur Nützlichkeit von Vitamin-D deutlich. Sie untersucht den Zusammenhang des Vitamin-D-Spiegels zu Startzeit der Studie, mit dem späteren Auffinden von Coronavirus-Antikörpern im Blut.
Mit den Antikörpertests können die Studienautoren lediglich überprüfen, ob Menschen mit höherem Vitamin-D-Spiegel weniger häufig das Virus inhalieren. Das behauptet aber kaum jemand. Die Hypothese, die zu prüfen wäre, ist vielmehr, ob ein ausreichend hoher Vitamin-D-Spiegel hilfreich ist, damit der Körper die eingedrungenen Viren ohne Erkrankung abwehren oder mit einem milden Krankheitsverlauf bewältigen kann. Darüber kann diese Studie nichts sagen, weil das Auffinden von Antikörpern nichts darüber aussagt, ob der Proband (ernsthaft) erkrankt war oder „symptomlos infiziert“, wie die nichtkranken Kranken heutzutage so schön heißen.
Bei den Probanden handelte es sich um Angestellte der Firma Quest Diagnostics. Es ist davon auszugehen, dass die Firma die Daten über Hospitalisierung, Krankheitstage und Tod der Probanden in ihren Personalakten hat. Trotzdem hat man sich entschieden, diese Informationen nicht zu verwenden. Wir dürfen raten, ob die Firma und ihre Forscher sich dafür entschieden haben, weil ihnen das Ergebnis so besser gefällt, oder aus einem seriöseren Grund.
Die Autoren behaupten, sie hätten keinen Interessenkonflikt, was ans Lächerliche grenzt, da die Autoren berichten, dass ihr Arbeitgeber, der Covid-Tests vertreibt, die Studie nicht nur finanziert, sondern auch den Artikel redigiert und genehmigt hat.
Was für Interessenkonflikte könnte eine Covid-Test-Firma haben? Sie wird zum Beispiel kein Interesse daran haben zu erwähnen, oder gar zu betonen, dass nur ein (geringer) Teil derer mit Corona-Antikörpern im Blut ernsthaft an Covid erkrankt sind. Wie oben dargelegt, wäre das eine wichtige Information zur Einordnung des Aussagegehalts der Studie. Es fällt nicht schwer, sich weitere Interessenkonflikte auszumalen, bis hin zu dem ganz großen, dass eine Corona-Test-Firma viel Geld daran verdient, dass die Pandemie weitergeht.
Die tieferen Gründe hinter dem Vitamin-D-Desaster der Tagesschau
dpa wird zur Handlangerin
Und das macht dpa daraus. Die Studie wird völlig unkritisch nacherzählt. Noch dazu wird sie in eine irreführende Einkleidung gebracht, die den falschen Schluss nahelegt, die Studie habe bewiesen, dass Vitamin-D in Zusammenhang mit Covid nichts nütze. Der erste Satz lautet:
„Ein niedriger Vitamin-D-Status ist einer neuen US-Studie zufolge kein Risikofaktor für eine Infektion mit dem Coronavirus.“
So steht das auch in der Studie, aber Laien wissen nicht, dass mit Risiko nur Wahrscheinlichkeit gemeint ist und dass mit Infektion auch die vielen „Infizierten“ mitgemeint sind, die überhaupt nicht erkranken.
Statt diese sehr wichtigen Relativierungen zu nennen, besteht die Eigenleistung von dpa darin, am Ende eine hochgradig tendenziöse Einordnung zu geben, unter anderem mit:
„Im Internet machen allerdings schon seit längerem Empfehlungen für die Einnahme von Vitamin-D-Präparaten die Runde – aktuell oft begründet mit Hinweisen, eine Infektion mit dem Coronavirus oder ein schwerer Verlauf einer Covid-19-Erkrankung könnten damit verhindert werden. Dafür gibt es bisher keine wissenschaftlich gesicherten Belege und Behörden wie das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) warnen immer wieder vor den gesundheitlichen Risiken einer eigenständigen Einnahme vor allem von höher dosierten Vitamin-D-Präparaten.“
Das ist nicht falsch, aber auf irreführende Weise tendenziös. Die Empfehlungen machen nicht nur „im Internet die Runde“, es gab unter anderem einen internationalen Aufruf von hunderten Wissenschaftlern an die Regierungen, sich zur besseren Bewältigung der Pandemie um eine ausreichende Vitamin-D-Versorgung der Bevölkerungen im Winter zu kümmern.
Der Hinweis auf die Warnungen des BfR vor Überversorgung im gleichen Satz, direkt nach der Feststellung, es gebe keine wissenschaftlich gesicherten Belege für den Nutzen von Vitamin-D, grenzt an Irreführung. Das klingt als sei das BfR Kronzeuge, dabei hat die Behörde erst vor kurzem eine Erklärung veröffentlicht, wonach Vitamin-D doch bei Corona hilfreich sein könnte – was hier verschwiegen wird.
Portale und Zeitungen nehmen die Steilvorlage auf
Kein Wunder, dass reichweitenstarke Portale wie ntv-de, die ich in Sachen Corona schon der bewussten Irreführung überführt habe, eine solche Steilvorlage gern aufnehmen. Ihre Einleitung des weitgehend von dpa übernommenen Berichts „Wenig Vitamin D: kein höheres Corona-Risiko“ grenzt an Fake News:
„Im Internet machen seit Beginn der Pandemie Empfehlungen für die Einnahme von Vitamin-D-Präparaten die Runde. Diese sollen vor einer Corona-Infektion schützen. Das klingt zwar verlockend. Nun räumt eine neue, für ihre Methodik gelobte Studie allerdings mit diesem Irrglauben auf.“
„Für ihre Methodik gelobt“ wird diese oberflächliche, potentiell interessengeleitete Schrottstudie von einem Gesundheitsexperten, den dpa zitiert und über den ich nichts finden konnte. Kritisiert wird die Studie für ihre Methodik direkt auf der Webseite des Journals bei den Kommentaren.
Auch die Regionalzeitungen, die ihre Seiten mit dpa-Berichten füllen, bringen die Fake News und in genau der von dpa vorgeschlagenen Einkleidung. In der Mitteldeutschen Zeitung etwa lautet die Überschrift „Niedriger Vitamin-D-Status erhöht Corona-Risiko nicht“ und die Einleitung: „Im Internet kursiert, dass man sich mit Vitamin-D-Mitteln vor Corona schützen kann. Das klingt verlockend – stimmt einer neuen, für ihre Methodik gelobten Studie zufolge aber nicht.“ Der Express titelt sogar: „Studie räumt mit Internet-Mythen auf„.
Die dpa verfügt über ihre vielfach mit nur minimalen Änderungen abgedruckten Nachrichtenlieferungen an die Medien über ein besonders wirkmächtiges Mittel der Rahmensetzung der öffentlichen Meinung. Nicht nur in Sachen Corona fällt sie immer wieder damit auf, dass sie dieses Mittel auf sehr einseitige Weise einsetzt.