Die tieferen Gründe für die Corona-Exzesse und für die Weigerung, daraus zu lernen – Um sie sollte es bei der Aufarbeitung gehen

20. 11. 2023 | Die Aufarbeitung des Abgleitens der Gesellschaft in schlimmsten Autoritarismus, Intoleranz, Diskriminierung, Misshandlung von Kindern und gesundheitliche Schädigung vieler Menschen durch die Corona-Maßnahmen bedarf dringend der Aufarbeitung. Die Bereitschaft dafür ist allerdings in weiten Teilen der Gesellschaft gering. Denn zu hinterfragen gefährdet nichts weniger als das vorherrschende Welt- und Selbstbild, das diese Exzesse begünstigt hat. Um so wichtiger ist es, eine attraktive Alternative zu diesem anzubieten.

Eine oft gehörte und vordergründig plausible Erklärung dafür, dass unsere Gesellschaft den Mantel des Schweigens und Vergessens über die Corona-Exzesse ausbreiten will, lautet, dass zu viele bereitwillig mitgemacht hätten, beim von oben geschürten Hass auf Nichtgeimpfte und Maßnahmenkritker, und dabei, Kindern und Jugendlichen Angst einzujagen, ihnen den ganzen Tag Masken aufzuzwingen und sie am Kontakt mit Gleichaltrigen zu hindern, beim Einsperren und Isolieren der Alten und Sterbenden und vielen weiteren Grausamkeiten, die man sich bis 2020 in unserer Gesellschaft nur schwer vorstellen konnte.

Aber so richtig weit trägt die Erklärung nicht, finde ich. Die Allermeisten könnten sich ohne Verlust ihrer Selbstachtung damit aus der Affäre ziehen, dass sie sagen, sie wurden getäuscht und belogen. Sie könnten deshalb eigentlich um so wütender auf die Täter zeigen und Bestrafung fordern. Aber derartige Anklagen von Getäuschten gegen die Täuscher finden praktisch nicht statt. Der Grund muss tiefer liegen. Es dürfte der gleiche Grund sein, warum überhaupt so viele Menschen mitgemacht und überaus radikale Maßnahmen gutgeheißen haben.

Wichtig ist mir die Einräumung, dass es durchaus Seuchen geben kann, bei denen harte Quarantänemaßnahmen, die rigide durchgesetzt werden, zum Schutz der Bevölkerung unbedingt nötig sind. Zu erklären ist deshalb nur, warum so viele Menschen so leicht und so lange glaubten, dass es sich bei der Corona-„Pandemie“ um so einen Fall handelte, obwohl schon sehr bald sehr vieles dagegen sprach. Im Nachhinein lässt sich eine Pandemie in den Sterblichkeitszahlen nicht entdecken, abgesehen vielleicht von den ganz Alten. Während der Spanischen Grippe 1918, die zu Anfang der Corona-Zeit vielfach als warnendes Beispiel angeführt wurde, war die Übersterblichkeit um ein Vielfaches höher. Es ist also zu erklären, warum die Masse der Bevölkerung so lange den wechselnden Aussagen der als maßgeblich präsentierten Wissenschaftler und der Regierung fast blind vertraute.

Alleinsein macht verletzlich und abhängig

Vordergründig liegt der Grund darin, dass die Geschichten, die uns erzählt und mit eindringlichen Bildern unterfüttert wurden, starke Gefühle erzeugten, insbesondere die Angst vor existenzieller Bedrohung. Aber warum ließen sich so viele Menschen so leicht in so große Angst versetzen, und woher kam die hohe Bereitschaft, andere Menschen als Bedrohung, gar als Feinde zu sehen und zu behandeln?

Dahinter dürfte die in unserem Kulturkreis und in unserem kapitalistischen Gesellschaftssystem vorherrschende und beförderte Sicht auf den Menschen als fundamental getrennt von seinen Mitmenschen und von der Natur stehen. Mit ersteren steht er in Konkurrenz und fühlt sich nicht selten von ihnen gefährdet und bedroht, weil sie ihm als egoistisch und potentiell gewalttätig präsentiert werden. Die Natur, die wir uns untertan machen, um sie zu kontrollieren und auszubeuten, ist ebenfalls feindselig und gefährlich, sobald wir die Kontrolle  über sie verlieren. Wir sind allein und verletzlich.

Gerade deshalb herrscht ein tiefer Glaube an die Technik und Wissenschaft vor, dass diese uns schützen und dabei helfen, die Natur unseren Zielen zu unterwerfen, uns dadurch Fortschritt ermöglichen, in Form eines vermeintlich von Generation zu Generation immer angenehmeren und sichereren Lebens. Die biblische Aufforderung „Macht Euch die Erde untertan“ bedeutet nichts anders, als dass der Mensch außerhalb der Natur steht. Das steht ebenso wie die Trennung in Gut und Böse in Kontrast zu asiatischen Ideen wie Yin und Yang, der gegenseitigen Bedingtheit und Zusammengehörigkeit der Gegensätze und der Verbundenheit von allem mit allem.

Auch die vom Staat gesetzten und durchgesetzten Regeln des Zusammenlebens sind für jemand mit diesem Gefühlsleben elementar wichtig, um einigermaßen sicher und friedlich mit den latent feindseligen Mitmenschen zusammenleben zu können. Deshalb hat die große Mehrheit mitgemacht bei der Durchsetzung von Regeln, die die Mitmenschen als Bedrohung behandelt haben, die man fernhalten muss, und von denen man sich fernhalten muss. Sich auf deren Selbstwahrnehmung als gesund und deren guten Willen zu verlassen, kam nicht in Frage.

Gute Menschen, böse Menschen

Wir dagegen, das gehört zu unserem Selbstbild und ist uns sehr wichtig, gehören zu den Guten. Sechzehn Jahrhunderte Christentum als Staatsreligion haben in unserem Kulturkreis die Unterscheidung in gute Menschen und böse Menschen tief verankert. Entsprechend beurteilt wird nicht die Tat, sondern der Mensch. Auch das steht in Kontrast zu asiatischen Philosophien, nach denen immer beides zusammengehört und sich gegenseitig bedingt.

Es gibt fast keinen Hollywood-Film, in dem es nicht um den Kampf von Gut gegen Böse geht. Die Guten kämpfen gegen die Bösen. Wenn sie am Ende gewinnen und die Bösen vernichten, ist damit auch das Böse vernichtet und die Welt ist besser geworden, oder wenigstens ihr Abgleiten ins Chaos nochmal verhindert. Die Krimis, mit denen unsere Fernsehabende geflutet werden, haben das gleiche Gut-gegen-Böse-Motiv und pflegen das Gefühl der Bedrohung durch unsere Mitmenschen. Bei vielen Märchen ist es nicht anders.

Die Unterteilung in Gute und Böse wird durch das moderne atomistische Menschenbild befördert, das von gegebenen Charakteren und Präferenzen ausgeht, anstatt diese als durch Erziehung und Gesellschaft geformt und formbar zu betrachten, anstatt Menschen als ein Geflecht von Beziehungen zu anderen Menschen und ihrer Umwelt zu verstehen.

Das vorherrschende Welt- und Gesellschaftsbild ist mechanistisch im Sinne der physikalischen Gesetze, wie sie bis vor etwa 100 Jahren galten, bis zur Revolution durch die Quantenphysik, die allerlei Unschärfen und Unbestimmtheiten offenbarte. In diesem seit der Aufklärung vorherrschenden Weltbild gilt immer noch, dass die Welt im Prinzip berechenbar und damit auch kontrollierbar ist. Man kann sich die Natur und die Gesellschaft wie Maschinen vorstellen, deren Einzelteile nach dem Prinzip von Kraft und Gegenkraft zusammenwirken. Nicht vorgesehen ist in diesem Weltbild, dass Organismen, Ökosysteme und Gesellschaften mehr sind als die Kombination ihrer Einzelteile, dass sie eine Selbstorganisationsfähigkeit haben, die wir nur selbständig denkenden und planenden Lebensformen zubilligen.

Deshalb verfielen so viele dem von oben propagierten Glauben, dass wir ohne drastische Maßnahmen und gentechnische Behandlung dem sicheren Verderben anheimfallen würden und behandelten diejenigen, die für das über Jahrtausende entwickelte Vertrauen warben, dass unser Organismus und die Gesamtheit der menschlichen Organismen bald lernen würden, mit dem neuen Virus umzugehen, als Quacksalber und gemeingefährliche Verbreiter von Fake News. Für die Gläubigen gilt: Nur weil Wissenschaft und Technik so produktiv sind und weil der Staat in der Gesellschaft für Ordnung sorgt, ist unsere Welt im Großen und Ganzen gut, so wie sie ist, auf jeden Fall viel besser, als sie früher war, als Wissenschaft und Technik noch nicht so weit und die Regierungskunst noch nicht so demokratisch und aufgeklärt war.

Ein Virus bedroht ein Weltbild

Mit dem neuartigen Coronavirus tauchte eine unsichtbare Gefahr von außen auf, die als ungeheuer bedrohlich dargestellt wurde, und gegen die der Organismus mutmaßlich kein Mittel hatte. Das machte existenzielle Angst. Diejenigen, die diese Angst verspürten, waren zur Bewältigung darauf angewiesen, darauf zu vertrauen, dass die Wissenschaft es schaffen würde, dieses Virus unter Kontrolle zu bekommen, und dass bis dahin eine treusorgende Obrigkeit die richtigen Maßnahmen ergreifen würde, um die Seuche einzudämmen.

Wer sich nicht an die mutmaßlich von „der Wissenschaft“ als wirksam identifizierten und deshalb vom Staat verfügten Schutzmaßnahmen hielt, wurde dadurch zu einer existenziellen Bedrohung, gefühlsmäßig nicht weniger als ein Räuber und Mörder. Er gehörte zu den Bösen, die zu bekämpfen waren, damit die Welt bewohnbar bleibt und nicht dem tödlichen Virus zum Opfer fällt. Wer tat, was verordnet wurde, um uns und unsere Mitmenschen zu schützen, gehörte zu den Guten.

Wer anzweifelte, dass „die Wissenschaft“ die Fähigkeit und die richtigen Rezepte hatte, das Virus zu kontrollieren, machte sich der schweren Moralzersetzung schuldig. Er verbreitet Hoffnungslosigkeit, wo es ohne Hoffnung nicht ging. Dasselbe galt für Zweifler an der Weisheit und Angemessenheit der vermeintlich wissenschaftlich abgesicherten, staatlichen Maßnahmen.

Dass die Wissenschaft ratlos und die Politik planlos war, konnte nicht sein, weil es nicht sein durfte, weil die Angst sonst nicht auszuhalten war.

Wer existenzielle Angst hat, achtet nicht auf Nuancen. Dem ist es egal, ob der Rettung verheißende Impfstoff vernünftig getestet wurde, und wie genau die Ergebnisse aussahen. Die Frage nach der Verhältnismäßigkeit der Mittel erübrigt sich, denn die Gefahr ist so groß, dass Verhältnismäßigkeit bei allem gegeben ist, was helfen könnte. Die Beweggründe der Skeptiker können fast nur schändlich sein, weil deren Handeln so gemeingefährlich und schädlich ist, dass es durch kein Motiv gerechtfertigt werden kann.

Die emotionale Gegenreaktion der Skeptiker

Viele von denen, die – aus welchem Grund auch immer – nicht von der existenziellen Angst erfasst wurden, betrachteten viele der Maßnahmen als menschenfeindlich und weit überzogen, ja gefährlich, und wollten dabei nicht mitmachen. Ihrem Selbstbild als nette, mitfühlende und umfassend sozialisierte Menschen stand das in keiner Weise entgegen. Aber plötzlich wurden sie von oben und von vielen ihrer Mitmenschen als böse und assozial gebrandmarkt, ausgegrenzt und diskriminiert. Das rief naturgemäß ein Gefühl tiefer Ungerechtigkeit bei ihnen hervor und Groll gegen diese Ungerechtigkeit und gegen diejenigen, die sie begingen oder guthießen.

Im Ergebnis hielten auch sie sich für die Guten und die anderen für die Bösen oder mindestens die Dummen oder Naiven.

Dabei gab es sehr viele kluge, nette und wohlmeinende Menschen auf der anderen Seite. Nach meiner Erfahrung waren es gerade viele der besonders rücksichtsvollen, emphatischen und solidarischen Menschen, die sich im Bestreben das Richtige zu tun – oft zum eigenen Nachteil – besonders streng  an die diskriminierenden 2G- oder 3G-Regeln und die Lockdowns hielten. Je gebildeter und je progressiver, desto eher glaubten die Menschen an die Corona-Maßnahmen, war mein starker Eindruck, Bei Menschen mit Doktortitel war sie danach viel höher als bei Handwerkern.

Ich erkläre mir das damit, das Menschen, die dem Althergebrachten eher fern und der Wissenschaft nahe stehen, dem oben beschriebenen Weltbild der Entwurzelung und Vereinzelung stärker ausgesetzt sind, als Menschen, deren Welt- und Menschenbild sich eher aus ihrem täglichen Umgang mit anderen Menschen und der Welt speist, als aus einem Theoriegebäude dazu.

Die Angst macht auch die Aufarbeitung schwer

Die tief verankerten Gefühle und das Weltbild, die so viele zu fast blindem Glauben und fast bedingungslosem Befolgen von Anweisungen verleiteten, welche die als maßgeblich präsentierte Wissenschaftler, Politiker und Bürokraten verkündeten, sind es auch, die so große Widerstände gegen eine offene gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem so furchtbar aus dem Ruder Gelaufenen hervorrufen.

Das Virus mag seinen Schrecken verloren haben. Aber das Alleinsein in der Welt, unser fundamentales Getrenntsein von anderen Mitmenschen und der Natur, die Bedrohung durch böse Mitmenschen und das Gefühl des existenziellen Angewiesenseins auf die ordnende Hand des Staates und darauf, dass Wissenschaft und Technik eine latent feindselige Umwelt beherrschen, sie sind alle noch da.

Wer so fühlt und die Schlussfolgerung akzeptieren würde, dass die Politiker und die Wissenschaftler uns nicht verlässlich beschützen können und vielleicht nicht einmal wollen, weil sie anderen Anreizen folgen, bliebe nichts als die nackte Angst. Man müsste sich auch von dem Vertrauen verabschieden, dass unsere Welt im Großen und Ganzen in Ordnung ist und immer besser wird. Das wäre zutiefst deprimierend.

Das Gut-Böse-Denken durchbrechen

Aus der hier vorgestellten Erklärung folgt, wenn sie trägt, dass man tiefer gehen muss, als Belege beizubringen, dass Maßnahmen unnötig oder falsch waren und dass Kritiker und Abweichler zu unrecht angegriffen und diskriminiert wurden. Das ist als Problemdiagnose zwar auch nötig. Aber wenn es dabei bleibt, führt es bestenfalls dazu, dass eingeräumt wird, dass es im Rahmen einer grundsätzlich alternativlosen Herangehensweise Fehleinschätzungen und Übertreibungen gab. Damit wäre wenig gewonnen.

Keinesfalls sollten sich Maßnahmenkritiker der Vorstellung hingeben, dass es die Welt besser und eine Wiederholung des Vorgefallenen weniger wahrscheinlich machen würde, wenn möglichst viele, die diskriminiert und gehetzt haben, identifiziert und für ihr schädliches Handeln bestraft würden, durch öffentliche Verachtung oder ein Gericht. Das wäre das gleiche unrealistische Gut-Böse-Denken, das den Hass auf nicht geimpfte Menschen und und Maßnahmenkritiker und deren Diskriminierung hervorgebracht hat.

Weder sind diejenigen, die sich nicht impfen ließen und die Maßnahmen kritisierten böse, noch sind es diejenigen, die der Angstkampagne zum Opfer fielen und den Behauptungen glaubten, dass es sich bei Corona um eine menschheitsbedrohende Gefahr handelte, zu deren Abwehr fast jedes Mittel recht sein musste.

Wider das Teile-und-herrsche-Prinzip

Teile und herrsche ist eine uralte Handlungsmaxime für die Mächtigen, um Gruppen gefügig zu halten, die ihnen eigentlich an Kraft überlegen sind. Dennoch wird es von diesen Gruppen zum eigenen Schaden immer wieder vergessen und seine Anwendung nicht gesehen. Die Spaltung der Gesellschaft in Maßnahmenbefürworter und Maßnahmengegner, in links und rechts, in Woke und Verachter der Woken und in weitere Gruppen, die sich gegenseitig bekämpfen oder verachten, sorgt dafür, dass die Mächtigen dauerhaft ihre Macht auch gegen die Interessen der Bevölkerungsmehrheit ausüben und mehren können.

Das ist ein weiterer Grund, warum wir nicht der Versuchung erliegen sollten, bei der Aufarbeitung der Corona-Zeit auf Beschämung und Bestrafung der vermeintlichen Gegenseite zu zielen. Es würde diejenigen, die das Spektakel inszeniert haben, nur freuen. Was sie dagegen fürchten, ist die Versöhnung und Verbrüderung derer, die sie zu spalten trachten. Denn dann könnten sie nicht weiter Politik gegen die Interessen der großen Mehrheit machen. Auch diejenigen, die nicht aus Angst vor dem Virus, sondern aus Angst vor Ausgrenzung und Verlust der Zugehörigkeit zur eigenen Gruppe mitgemacht haben, sollten deshalb nicht mit den Tätern in einen Topf geworfen werden.

Die Aufarbeitung sollte deutlich zwischen denjenigen unterscheiden, die ihre behördliche oder mediale Macht missbraucht haben, um Angst zu verbreiten sich zu bereichern oder Menschen gegeneinander aufzuhetzen, und denjenigen, die aus Angst heraus Dinge getan oder gutgeheißen haben, die man als schlimm und ungerechtfertigt betrachtet, wenn man keinen „vernünftigen“ Grund für eine solche Angst sieht. Mit letzteren sollte der Dialog gesucht werden, das Schaffen von gegenseitigem Verständnis. Denn ohne dieses ist eine gleichgerichtete Beurteilung des Vorgefallenen nicht möglich, und damit auch kein Konsens, dass die Verantwortlichen entmachtet gehören.

Wichtig ist daher erst einmal, den Dialog in Gang zu bringen. Mit Anschuldigungen zu beginnen, bevor es wenigstens annähernd einen Konsens über die Beurteilung des Vorgefallenen gibt, ist kontraproduktiv. Um diesen Konsens zu ermöglichen, ist erst einmal nötig, die innere Widerstände gegen die Aufarbeitung anzuerkennen und soweit möglich zu beseitigen.

Wer Macht ausübt, sei es mediale, finanzielle oder politische, muss es aushalten, dafür, wie er diese Macht ausübt und ausgeübt hat, kritisiert zu werden. Auch bei dieser Kritik ist es hilfreich, keine niederen Motive zu unterstellen. Wir kennen die Motive nicht. Ob es Gier, Bosheit, Patriotismus vermeintliche oder tatsächliche Sachzwänge oder der Glaube an ein wie auch immer geartetes höheres und hehres Ziel, wissen wir nicht. Wir müssen es auch nicht wissen. Für uns ist nur wichtig, das die Ziele dahinter, selbst wenn die Verantwortlichen sie als vermeintlich höhere betrachten, nicht unsere Ziele sind, und die Mittel nicht zu einer Gesellschaft passen, in der wir gerne leben wollen.

Ein schöneres Menschen- und Weltbild

Es gab gute Gründe, sich von der Panik nicht anstecken zu lassen und übertriebene Gegenmaßnahmen nicht mitzumachen und zu kritisieren. Diese guten Gründe zu benennen, ist wichtig im Zuge der Aufarbeitung. Noch wichtiger ist der nächste Schritt. Die Welt- und Menschenbilder, aus denen diese Gründe sich speisen, sollten den Annahmen und Gefühlen gegenübergestellt werden, aus denen sich die Bereitschaft zur Umsetzung menschenfeindlicher Maßnahmen speiste. Als Alternative, die sich besser anfühlt und besser bewährt hat als Auf-sich-allein-gestellt-sein, Trennung und Angst.

Wenn Maßnahmenbefürworter von ihren Mitmenschen, denen übel mitgespielt wurde, Verständnis und ein Angebot zur Versöhnung bekommen, dann ist das die beste Einladung, die es geben kann, zu glauben und zu spüren, dass man eben nicht allein in einem mühsam kontrollierten Jeder-gegen-Jeden steht, sondern dass wir alle zusammengehören und es im Grunde gut miteinander meinen.

Diejenigen, die diese Einladung empfangen und annehmen, werden beim nächsten Mal nicht so reagieren wie während der Corona-Zeit, weil sie weniger existenzielle Angst und mehr Vertrauen haben. Wie viele das sein werden, weiß niemand. Aber sicher ist, dass so gut wie keiner von denen, denen moralische Vorhaltungen gemacht werden, daraus den Schluss ziehen wird, dass ihr negatives Menschenbild falsch war. Sie werden sich vielmehr in den Annahmen und Gefühlen bestätigt fühlen, auf denen das Corona-Desaster beruhte.

Ein Menschen- und Weltbild, das viele Maßnahmenkritiker in der einen oder anderen Form inspiriert hat, sieht etwa so aus:

Jeder Mensch ist auf das Engste mit seinen Mitmenschen verbunden und von ihnen abhängig. Er kommt hilflos auf die Welt und wird nur dank anderer Menschen erwachsen. All seine Ansichten und Einsichten sind kulturell geprägt, seine Identität definiert sich nur im Verhältnis zu anderen Menschen und zu seiner Umwelt. Wir sind nicht allein auf uns selbst gestellt, sondern Teil einer Gemeinschaft von Menschen, die es gut miteinander meinen – auch wenn unser kapitalistisches Wirtschaftssystem leider Anreize und Restriktionen in eine andere Richtung setzt.

Menschen sind in aller Regel nicht gut oder böse, schon gar nicht per unveränderlicher Disposition. Sie handeln wie sie handeln aufgrund der unterschiedlichen Erfahrungen, die sie gemacht haben, und aufgrund der Umstände. Die Welt wird nicht besser, indem die Guten einen Feldzug gegen die Bösen führen und gewinnen, sondern dadurch, dass wir die Umstände und Strukturen so ändern, dass das gesellschaftsdienliche im Menschen hervorgelockt wird, und nicht ausgerechnet diejenigen Menschen mit problematischen Charaktereigenschaften und Verhaltensweisen besonders erfolgreich und einflussreich werden.

Die Natur ist in diesem Welt- und Menschenbild keine Bedrohung für den Menschen. Als Teil der Natur als Gesamtorganismus lebt er in einer symbiotischen Beziehung mit ihr. Er muss sie nicht zu beherrschen versuchen und er kann das auch nicht.

Dieses Menschen- und Weltbild gibt durch die Betonung der Verbundenheit statt der Trennung weniger Anlass zu existenzieller Angst. Es liefert eine Basis für das Vertrauen, dass die Welt schon nicht so leicht aus den Fugen geraten wird, auch wenn Wissenschaft und Technik einmal nicht in der Lage scheinen, die Natur zu beherrschen und wenn kein starker Staat das Zusammenleben in der bedrohten Gesellschaft mit rigiden Vorschriften regelt, an die sich alle halten müssen.

Eine Aufarbeitung im Dialog, die die Verankerung der Maßnahmenskepsis in diesem oder einem vergleichbar attraktiven Welt- und Menschenbild deutlich macht, könnte die Bereitschaft fördern, auch im Fall einer vermeintlichen oder tatsächlichen Gefahr ohne den bedingungslosen Glauben an vermeintliche Autoritäten auszukommen,

Aber vielleicht liegen bei vielen hartnäckigen Maßnahmenbefürwortern die Gründe ganz woanders als dort, wo ich sie hier – frech psychologisierend – verortet habe, und vielleicht bei vielen Maßnahmengegnern auch. Wir werden das im Dialog herausfinden oder gar nicht.

Aufarbeitung, Entschädigung, Hilfe für die Opfer

Ich weiß, das solche Appelle bei vielen nicht gut ankommen, die verständliche Wut über selbst erlebte oder bei anderen miterlebte Ungerechtigkeit aufwühlt. Schnell kommt der Verdacht auf, dass erlittenes Unrecht ungesühnt bleiben soll und die Opfer ohne Hilfe. Das Gegenteil ist der Fall. Ich plädiere nicht für stilles Vergeben und Vergessen. Ich plädiere für nachdrückliches Drängen auf Aufarbeitung, aber eben auf eine Weise, die nicht im gleichen antagonistischen Welt- und Menschenbild verankert ist wie die Corona-Hysterie.

Denn meine Überzeugung ist, dass so am ehestens ein gesellschaftlicher Konsens herzustellen ist, in Richtung Aufdeckung des Ausmaßes von Impfschäden, umfassende Hilfe für die Betroffenen, Rehabilitierung aller diffamierten kritischen Wissenschaftler und aller misshandelten Demonstranten und bestraften maßnahmenkritischen Eltern, Ärzte und Richter, impfunwilligen Beschäftigten und Selbständigen – und dann auch hinsichtlich des Einziehens der unrechtmäßigen Gewinne der Verkäufer des gesundheitsschädlichen mRNA-Schlangenöls.

Auch die Richter, die während der Corona-Hysterie die extremsten Maßnahmen auf Basis minimaler Belege gut hießen, taten das meist, weil eben auch Richter in gesellschaftlichen Strömungen schwimmen. Wenn die Gesellschaft nicht für eine Corona-Aufarbeitungen gewonnen werden kann, wird es auch keine ernsthafte juristische Aufarbeitung geben.

Erst dann, wenn mindestens näherungsweise Konsens darüber besteht, was schief gelaufen ist, und wer Verantwortung dafür trägt, gibt es Aussicht, dass die Bevölkerungsmehrheit den Verantwortlichen die innere Gefolgschaft aufkündigt, ohne die sie keine Macht haben.

Die Auseinandersetzung mit den Risiken und Nebenwirkungen der mRNA-„Impfungen“ ist abseits davon aus einem praktischen Grund besonders wichtig. Erkennbar ist die Absicht, die mRNA-Genmanipulation zum Standardverfahren für die Impfung gegen und die Behandlung von vielen Krankheiten zu machen. Das erscheint gefährlich und sollte durch eine offene gesellschaftliche Aufarbeitung der Erfahrungen mit den Covid-„Impfstoffen“ ausgebremst werden.

Der stille Erfolg der Aufarbeitung

Wir sollten auch nicht in die Falle tappen, die weitgehende Abwesenheit von Aufarbeitung in den Parlamenten und den etablierten Medien als Beweis für deren Abwesenheit in der Gesellschaft zu nehmen. Die Aufarbeitung findet statt. Sehr viele Menschen haben realisiert, dass das Covid-Virus keine allgegenwärtige tödliche Bedrohung (mehr) darstellt. Ohne existenzielle Angst kalkulieren sie rational die Risiken. Nur noch eine kleine Minderheit setzt sich den experimentellen gentherapeutischen Behandlungen weiter aus.

Und nach der empörten Einschätzung einer der umtriebigeren Täterinnen, Alena Buyx, Chefin des Deutschen Ethikrats, haben diejenigen, die dem „Narrativ“ folgen, dass Maßnahmen falsch und Regierungen übergriffig waren, inzwischen in der Debatte ein „erstaunliches Übergewicht“. Sie sagte das als „Gästin“ beim Münchner Presseclub. Sie drohte komplizenhaft auch der Presse, dass diese genau wie sie betroffen wäre, wenn man der Suche nach Schuldigen freien Lauf ließe: „Sie wären da ja nicht außen vor, das wissen Sie ganz genau.“

Politikern wie Karl Lauterbach, die sie immer noch zur „Impfung“ drängen, glauben und trauen sie nicht mehr. Fast jeder dürfte gemerkt haben, dass vieles von dem, was uns erzählt wurde, übertrieben oder gelogen war. Auch wenn viele sich das nicht eingestehen wollen, der Stachel des Zweifels sitzt tief und wird nicht so leicht wieder herausfallen. Oft wird er sich entzünden.

Aber natürlich ist die Aufarbeitung eines solchen traumatischen gesellschaftlichen Vorfalls keine Privatangelegenheit, die jeder mit sich selbst ausmachen müssen sollte. Deshalb ist es so wichtig, öffentlich darüber zu reden, was schief gegangen ist, und warum.

Auf ein Schuldeingeständnis und die nachfolgende Läuterung der etablierten Medien und vor allem der verantwortlichen Politiker und Wissenschaftler könnte man warten bis zum Sanktnimmerleinstag. Daran bemisst sich der Erfolg der Aufarbeitung nicht. Aber alle maßgeblich Beteiligten haben erheblich an Vertrauen in der Bevölkerung eingebüßt. Die Menschen wenden sich ab und suchen Alternativen. Nun kommt es darauf an, positive, erstrebenswerte Alternativen anzubieten. Vor allem dafür ist eine Aufarbeitung hilfreich, nicht als Abrechnung.

Wer auf diesem Blog oder auf X (Twitter) stöbert, wird  feststellen, dass ich selbst bei weitem nicht immer so konziliant und verständnisvoll für die Gegenseite zu Werke gegangen bin, wie ich hier empfehle. Künftig wird man entsprechende Beispiele hoffentlich weniger oft finden als bisher.

Weiterführendes

Dieser Blogbeitrag wurde unter anderem inspiriert von dem Buch von Louis Mumfort „The Myth of the Machine (2): The Pentagon of Power“ (1970) und von Charles Eisensteins „Die schönere Welt, die unser Herz kennt, ist möglich“ (2013; im Buchhandel oder frei auf seiner Netzseite), sowie – gegen Ende seiner Niederschrift – auch noch von einem aktuellen Videovortrag von Bastian Barucker „Die Spaltung in der Gesellschaft überwinden! Aber wie?“. Und natürlich von den Leserinnen, die mir ihr Missfallen kundtaten, wenn ich gelegentlich denen, deren Handeln ich kritisierte, schlechte Charaktereigenschaften und niedere Absichten unterstellte.

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