Hier zeigt sich, wie problematisch so ein Rechercheverbund sein kann, wie er zwischen den öffentlich-rechtlichen BR-Schwesteranstalten NDR und WDR und der Süddeutschen besteht.
Die Süddeutsche schrieb trotz eines Dementis des Verdächtigten, der Chef der Freien Wähler, Hubert Aiwanger, stehe im Verdacht, als 16-Jähriger ein antisemitisches Pamphlet verfasst zu haben. Sein Bruder Helmut hat die eigene Autorenschaft des Pamphlets inzwischen erklärt.
Der Medienskandal besteht darin, dass die Süddeutsche sich in unzulässiger Verdachtsberichterstattung ergangen hat und keine Beweise vorlegen kann. Selbst abgesehen davon ist fragwürdig und verdächtig, wenn kurz vor einer Wahl jahrzehntealte vermeintliche Jugendsünden von Kandidaten an die Presse durchgestochen werden. Aber nichts davon steht in dem Stück „Fall Aiwanger: Fakten, Widersprüche, Rätsel“ von Achim Wendler auf BR24..
Ohne die Rolle des ARD-Partners Süddeutsche auch nur andeutungsweise zu problematisieren, fragt Wendler:
„War es wirklich Helmut statt Hubert? Welche Rolle spielte Hubert Aiwanger (Freie Wähler) selbst? Wie schwierig ist der Fall für Markus Söder (CSU)?“
Seine Einstellung, wonach man Dreck offenbar auch ohne Beweise werfen darf, weil immer etwas hängenbleibt, macht der Bayern-Politikchef so deutlich:
„Die Darstellungen von Hubert und Helmut Aiwanger ergänzen einander und sind plausibel. Ein Beweis sind sie nicht. Und sie werfen Fragen auf (siehe unten). Stand jetzt, gibt es einander widersprechende Aussagen und Indizien.“
Seiner Meinung nach müssen also Hubert und Helmut Aiwanger ihre Aussagen zur jeweils eigenen Schuld und Unschuld mindestens ebenso sehr beweisen, wie die Süddeutsche ihre öffentliche Anschuldigung gegen Hubert Aiwanger. Das widerspricht fundamental allgemeinen rechtsstaatlichen und auch medienrechtlichen Prinzipien.
Zur Verstärkung dieser bösartigen Im-Zweifel-gegen-den-Angeklagten(-den-man-nicht mag)-Haltung zitiert er Charlotte Knobloch, Präsidentin der israelitischen Kultusgemeinde München mit den Worten: „Schon der Verdacht, dass ein Spitzenpolitiker mit diesem Text verbunden sein könnte, ist brandgefährlich“. Es sei viel Vertrauen zerstört worden.
So vorbereitet kann man dann in einer Zwischenüberschrift fragen: „Schmeißt Söder seinen Vize raus?“ Denn, „bei unerschütterlicher Kooperationsbereitschaft könnte der Fall Aiwanger auch auf Söder und die CSU abfärben.“ Mit anderen Worten: Von einem, (den ich nicht mag,) auf den Dreck geworfen wurde, muss man Abstand halten, sonst bleibt an einem selbst vielleicht etwas von dem Dreck hängen. Geht es noch perfider, lieber öffentlich-rechtlicher Rundfunk?
Er hat noch mehr naive bis perfide Fragen, etwa die, warum Hubert Aiwanger seinen Bruder nicht gleich ans Messer geliefert hat, als die Süddeutsche ihn um Stellungnahme zu ihrem Verdacht fragte. Denn, so spekuliert Wendler: „Der Hinweis hätte seinem Dementi vermutlich mehr Glaubwürdigkeit gegeben.“ Wenn aber Hubert wusste, dass er unschuldig ist, was wir bis zum Beweis des Gegenteils annehmen müssen, dann durfte er darauf vertrauen, dass sich die Süddeutsche an geltendes Recht halten und einen nicht zu beweisenden, dementierten Verdacht nicht öffentlich äußern würde.
Auch dass Aiwanger nun klugerweise nichts mehr zu dem Thema sagt, verwendet der BR-Journalist gegen ihn und seine Glaubwürdigkeit.
Viel eher sollte sich der Dreckwerfer Wendler um seine eigene Glaubwürdigkeit und die des BR und der ARD sorgen, die darunter leidet, dass er mit keinem Wort die enge Kooperation zweier ARD-Anstalten mit der Süddeutschen Zeitung erwähnt, deren fragwürdige Rolle er so pfleglich übergeht.
Weil es leider in diesen Zeiten nötig ist, will ich feststellen: Ich mag die Politik von Aiwanger nicht, weil sie mir zu konservativ im schlechten Sinne ist. Ihn selbst kenne ich nicht. Wer allerdings meint, mit Leuten, deren politische Einstellung einem nicht passt, dürfe man umspringen wie man will, es träfe ja keinen falschen, der ist dumm. Morgen kann das einen selbst oder andere, die man mehr mag, genauso treffen, wenn rechtsstaatliche Prinzipien und journalistische Integrität erst einmal ausgehebelt sind.
Nachtrag (3.9) – BR: War Verdachtsberichterstattung zulässig?
Am 30.8. veröffentliche der BR endlich einen Beitrag zur Frage, ob die Verdachtsberichterstattung durch den ARD-Partner Süddeutsche Zeitung zulässig gewesen sei. Der Beitrag erweckt den Anschein, sie sei es gewesen. Basis ist ein Gespräch des BR mit einem einzigen Medienrechtler, Tobias Gostomzyk von der Uni Dortmund. Von gegensätzlichen Sichtweisen anderer Experten, wie sie in einem Beitrag des Deutschlandfunks zu Kritik an der Süddeutschen zu Wort kommen, erfährt man nur indirekt über deren (vermeintliche) Widerlegung durch Gostomzyk. Ob dieser außer durch seine für die Süddeutsche (und den BR) günstigen Einschätzungen durch irgendetwas besonders prädestiniert für ein abschließendes (Einzel-)Urteil ist, erfährt die Leserin nicht.
Nicht zu allen erwähnten wichtigen Bedingungen für Zulässigkeit einer Verdachtsberichterstattung wird Gostomzyk allerdings zitiert. Nicht zitiert wird seine Einschätzung zur konkreten Berichterstattung der Süddeutschen in Bezug auf das Vorliegen der folgenden Bedingungen:
„Demnach muss es vor allem hinreichend Substanz für einen Verdacht geben, dieser dürfe nicht aus der Luft gegriffen sein. Darüber hinaus müsse der Verdacht deutlich als solcher kenntlich gemacht werden, mit Formulierungen im Konjunktiv oder einschränkenden Adjektiven wie „mutmaßlich“. Ganz wichtig: Die Person, gegen die die Vorwürfe erhoben werden, muss vor der Publikation Gelegenheit haben, Stellung zu nehmen. Außerdem darf die Berichterstattung nicht vorverurteilen.“
Während die erste Bedingung erfüllt sein dürfte, wird es bei den anderen schwierig, insbesondere in Sachen Vorverurteilung und Stellungnahme. Die Süddeutsche hatte ein Gutachten zur benutzten Schreibmaschine anfertigen lassen, Aiwanger dies aber offenbar nicht mitgeteilt. Dieser konnte daher nicht Stellung dazu nehmen, dass auch andere außer ihm – insbesondere sein Bruder – Zugang zur heimischen Schreibmaschine hatten. Der Eindruck der Vorverurteilung kann durch die Länge des Beitrags, die wertende Sprache, die durchgängige Mischung von Meinung und Bericht und die konstruierten Verknüpfungen des damaligen antisemitischen Vorfalls mit späteren Äußerungen Aiwangers als Politiker, die keinerlei Antisemitismus- oder rechtsradikalen Bezug aufweisen, leicht entstehen.
Insgesamt macht die stark verspätete Auseinandersetzung des BR mit der Thematik nicht den Eindruck einer unvoreingenommenen Berichterstattung, sondern den eines tendenziösen Rechtfertigungsversuchs für die Vorverurteilung Aiwangers und die Schonung des ARD-Recherchepartners durch den eigenen Landespolitikchef.