Der öffentlich-rechtliche Rundfunk und sein Umgang mit Kritikern

2. 12. 2020 | Henry Mattheß. Der Programmdirektor des Westdeutschen Rundfunks, Jörg Schönenborn, versteht die Welt nicht mehr. Enge Bekannte bekunden ihm ihren Unmut über den Umgang des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit den Kritikern der Corona-Politik. Schönenborn beginnt nachzudenken. Leider nicht weit genug.
Boris Rosenkranz von übermedien.de präsentierte kürzlich in einem lesenswerten Beitrag Denk- und Handlungsweisen von Mitarbeitern des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Schönenborn hatte ihm offen und bereitwillig Einsicht in seine Kommunikation mit den Redaktionen gewährt. Beim Lesen des Beitrages drängten sich mir grundsätzliche Fragen auf.

Kritik bitte nur von unverdächtiger Seite

Dass Schönenborn überhaupt ins Grübeln kam, lag daran, dass es langjährige, persönliche Bekannte sind, die ihm „fassungslos“ ihren Unmut über die Berichterstattung zu Corona-Demonstrationen und das „Totschweigen renommierter Wissenschaftler in den Medien“ äußern. Ein „Familienvater, beruflich erfolgreich“, „nie durch extreme Positionen aufgefallen“ wurde z.B. bei ihm vorstellig. Bei Schönenborn muss Kritik offenbar von unverdächtiger Seite kommen, um Beachtung zu erfahren.

Grundsätzlich stellt sich die Frage, warum Schönenborn nicht von allein mögliche Diskrepanzen zwischen der Berichterstattung und der Wahrnehmung vieler Zuschauer registriert? Als Programmdirektor müsste er eigentlich für eine laut Sendeauftrag umfassende Berichterstattung auch über einen umfassenden Überblick über die Bandbreite der öffentlichen Diskussion verfügen. Mit ein paar Klicks ist das im Netz recherchierbar, wurde aber bis Anfang Herbst nicht praktiziert. Bewegen sich Journalisten des öffentlich-rechtlichen Rundfunk eventuell in einer Milieu- und Filterblase, die sie selbst maßgeblich mit erzeugen?

Nachdem Schönenborns Bekannter auf den Corona-Kritiker Prof. Bhakdi verweist, schickt ihm Schönenborn einen WDR-Podcast. Doch der habe diesen nicht überzeugt: „Es reiche nicht, die Thesen zu prüfen. Man müsse Bhakdi selbst ein Forum geben.“ An diesem Einspruch wird deutlich, dass sich Menschen ihre Meinung anhand der Originalquellen und nicht durch Begutachtungen Dritter bilden wollen.

Die mittlerweile gängige Praxis, Mindermeinungen nur indirekt, insbesondere durch sogenannte „Faktenchecks“ zu behandeln, und sie selbst gar nicht oder nur marginal zu Wort kommen zu lassen, führt zu einer indirekten Zensur. Inzwischen wird eine Diskussionsverweigerung oder gar Maßregelung mit dem lapidaren Hinweis begründet, die Aussagen der Betreffenden seien bereits ausreichend in „Faktenchecks“ widerlegt.

Faktenchecks werden schleichend zum letztinstanzliches Urteil hochstilisiert. Bei Gericht heißt dies: Das Urteil ist unanfechtbar. Doch wer prüft eigentlich die „Faktenprüfer“?

Faktenchecks als Instrumente politischer Auseinandersetzung

Faktenprüfer sind problematisch, weil sie einen politischen Ursprung haben. Sie wurden sukzessive im Zuge der hochpolitischen Zuwanderungs-, Populismus-, Brexitdebatte und der Furcht vor Wahlmanipulationen im Rahmen des staatlichen Kampfes gegen Desinformation installiert und vom Staat massiv finanziell gefördert.

Ihre Entstehungsgeschichte erklärt, warum die Faktenprüfer des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und sonstiger Leitmedien bei gesellschaftlich stark umstrittenen Themen nicht bloße neutrale Wissensvermittler sind (woran auch Wikipedia scheitert), sondern immer wieder zu Meinungswächtern mutieren. Diese politische Motivation unter dem Schlagwort „Schutz der Demokratie“ wird auch ganz offen eingeräumt und gegen Kritiker der Corona-Politik immer wieder in Stellung gebracht.

Durch ihre parteiische, politische Grundhaltung erliegen viele Faktenprüfer der Versuchung, ihre Faktenchecks auf ein gewünschtes Ergebnis hin auszurichten. Beim Lesen der nicht selten ausufernden Abhandlungen lassen sich immer wieder rhetorische Kunstgriffe wie selektive Auswahl, Suggestion, Wortverdrehungen, vorsätzliches Missverstehen, Scheinargumente bis hin zu Angriffen auf die Person finden. Es grüßt herzlichst Arthur Schopenhauer mit seinen 38 Rhetoriktricks in Die Kunst, recht zu behalten um 1830.

Die vor Zweiflern zu schützende Mehrheit

Durch seine Bekannten nachdenklich gestimmt, denkt Jörg Schönenborn nach und fragt die Mitarbeiter in seiner wöchentlichen internen Programmpost: „Welche Perspektiven fehlen bei uns, welche vermitteln wir nicht glaubwürdig? […] Spürt das Publikum, dass unsere Empathie für Demos von Fridays for Future größer ist als die von Querdenkern – obwohl doch unsere Berichterstattung gleichermaßen sachlich sein müsste?“

Nach zwei Wochen teilt er seine Überraschung mit. Die Aufforderung hätte: „so viele Reaktionen ausgelöst, wie ich es hier in der Programmpost noch nicht erlebt habe“. Hier muss man wieder grundsätzlich fragen: Warum bedurfte es eines extra Aufrufs, damit die „vielen klugen“ und „reflektierenden“ Antworten den Programmchef erreichten? Traute sich vorher niemand an das unter besonderem Schutz der politischen Korrektheit stehende Thema Corona? Sollte ein solcher Informationsfluss nicht eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein?

Aber die Kritiker, die „unsere Berichterstattung so anders sehen und unausgewogen finden“ seien nur ein kleiner Kreis: „Ich hatte befürchtet, dass es im Verlauf der Pandemie mehr würden.[…] Die werden wir schwer erreichen und überzeugen. Wichtiger sind jene zwei Drittel, die die Maßnahmen aktuell für ausgewogen und richtig halten. Sie sind die entscheidende Gruppe. Denn sie sind im Alltag mit Zweiflern konfrontiert und werden ihr persönliches Urteil immer und immer wieder überprüfen. Dazu brauchen sie dringend unsere Informationen und Argumente.“

Schönenborn sieht die Aufgabe des WDR nicht im Moderieren einer breiten Diskussion, sondern im Überzeugen Andersdenkender. Und wenn das nicht möglich ist, wird gemäß der Devise ‚der Zweifel ist der größte Feind des Glaubens‘ die regierungskonforme Mehrheit geistig umsorgt. Schönenborn und anscheinend dem gesamten öffentlich-rechtlichen Rundfunk geht es offenbar neben aller Information in erster Linie darum, eine Mehrheit bei der Stange zu halten. Der WDR versteht sich wohl weniger als Förderer einer freien Meinungsbildung, sondern eher als aktiver Gestalter dieses Prozesses im Sinne der Regierungspolitik. Das nennt man wohl Haltungsjournalismus.

Wer hinterfragt noch allseits Geglaubtes?

Das Gesundheitsministerium und die ihm unterstehende Bundesbehörde des Robert Koch-Institutes verfügen über keine Studienlage, die einen Nutzen von Alltagsmasken, das Verhängen eines Lockdowns oder von Alkoholverboten belegen würde. Gleiches gilt für die Brauchbarkeit von PCR-Tests für das Feststellen von Infektionen und Quarantäneverhängung. Trotzdem wird all das auf bloße Vermutungen hin unter Strafandrohung praktiziert. Genau dieses rechtsstaatswidrige Erlassen von grundrechtseinschränkenden Maßnahmen ohne eines Nachweises ihrer Geeignetheit ist der Grund für Kritik und Proteste. Faktenprüfer versuchen dagegen mit fragwürdigen Methoden den Eindruck zu erwecken, die Geeignetheit dieser Maßnahmen sei wissenschaftlich belegt.

Wo sind die Recherchemagazine des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, wie Monitor vom WDR, die ihren Zuschauern anschaulich die (fehlenden) Handlungsgrundlagen der Regierung aufzeigen? Haltungsjournalismus wird diese Arbeit nicht leisten können. Wenn der öffentliche Rundfunk angeblich vom Staat unabhängig ist, sollte das auch an einer wahrnehmbaren Kritik staatlicher Corona-Maßnahmen erkennbar werden. Nichts wäre jetzt aktueller, als eine umfassende Berichterstattung über die Kritik an der staatlich forcierten Bewerbung und Einführung von in Eiltempo entwickelten Corona-Impstoffen.

Kritiker unter Generalverdacht

In den Denkprozess des WDR-Programmdirektors flatterte noch eine Petition mit 63.000 Unterschriften an die ARD mit der Forderung nach einer Corona-Sondersendung unter Beteiligung von bekannten Kritikern der Maßnahmen ins Haus. Wie damit umgehen? Denn die Petition sei „offen und einnehmend, die Form ist ausgesprochen freundlich und konziliant – und deshalb gut geeignet, Interessierte und Unentschiedene für die Argumente zu gewinnen“ schreibt Schönenborn per Programmpost. Es würden „geschickt Zweifel gestreut – an der Seriosität von Wissenschaftlern, an den Entscheidungen der Landesregierungen, an der Glaubwürdigkeit unserer Berichterstattung“.

Da ist sie wieder, die paranoide Angst vor Destabilisierung, Untergrabung der Demokratie und Menschenfängern. Dabei fordern Gebührenzahler einfach nur, was sie für ihr Geld erwarten dürfen: Eine angemessene, sachliche und vorurteilsfreie Darstellung auch kritischer Stimmen. Dass selbst ein moderater und zu Selbsthinterfragung fähiger Jörg Schönenborn Teile seines Publikums mit solch tiefem Misstrauen begegnet, lässt erahnen, welche Reaktionen von weniger moderaten ARD-Direktoren zu erwarten sind. Es herrscht Unwille, Sachkritik einfach als solche anzuerkennen, ohne sie unter den Generalverdacht subversiver, demokratiegefährdender Absichten zu stellen. Bei manchen Tabuthemen sind Kritiker in den Augen der ARD-Oberen offenbar immer potentielle Umstürzler.

Ein bisschen Offenheit ist schon zu viel

Die geforderte Sondersendung gab es bisher nicht. Nur ein Videogespräch zwischen leitenden ARD-Angestellten und Vertretern der Petition. Und prompt gab es scharfe Kritik, etwa von Seiten der Linken, an diesem Gespräch mit angeblichen „Schwurblern“. Trauen sich Journalisten ausnahmsweise in einen Dialog mit Kritikern, bläst ihnen der eisige Wind ihres über Monate hinweg gepflegten Debattenklimas ins Gesicht.

Einerseits ist es begrüßenswert, dass Jörg Schönenborn trotz drohender Angriffe zumindest ein Nachdenken über Kritik befördert und Öffentlichkeit darüber zulässt. Andererseits müsste dies selbstverständlicher Alltag sein und als solcher nicht erwähnenswert.

Mit Transparenz hat die ARD leider ein Problem. Sie stimmte einem Gespräch nur unter der Auflage zu, dass keine Mitschnitte publik werden. Selbst die im Nachgang von den Petenten veröffentlichten anonymisierten Zusammenfassungen zur Information der 63.000 Zeichner erzeugten bei der öffentlich-rechtlichen Anstalt Verärgerung.

Wovor fürchten sich die ARD-Leitenden? Vor Angriffen aus Politik oder Medien? Vor einer möglichen Schwäche der eigenen Argumente?

Ein Dank an Boris Rosenkranz von übermedien.de, auf dessen informativer Vorabeit dieser Beitrag aufbaut.

Zusammenfassungen des Treffens zw. Vertretern der ARD und der Petition

Bastian Barucker, Petitionsstarter, bastian-barucker.de

Prof. DR. Michael Meyen, medienblog.hypotheses.org

Paul Schreyer, multipolar-magazin.de

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