Hörbeitrag (extern) 19. 05. 2020 | Man mag eigentlich gar nicht mehr darüber schreiben, aber man darf die ARD mit ihrem zunehmend antidemokratischen und regierungshörigen Journalismusersatz in der Corona-Krise nicht durchkommen lassen. Das jüngste ARD-Extra zur Corona-Lage lehrt uns allzu viel über den korrekten Umgang mit kritischen Minderheitsmeinungen und erlauchten Regierungsfürsten.
Gleich nach der CoronaTagesschau und vor der Corona-Talkshow und den CoronaTagesthemen leitet Fritz Frey das wohl 60. ARD-Extra zur Corona-Lage am 18. Mai mit der Feststellung ein, dass laut Deutschlandtrend 67 Prozent der Bürger mit dem Krisenmanagement der Regierung zufrieden oder sehr zufrieden seien. Dem lässt er Worte folgen, die man kaum glauben möchte, wenn man von der ARD in letzter Zeit nicht schon so viel Unglaubliches gehört hätte.
Weil sich die Zuschauer wundern könnten, warum die ARD meint, zum x-ten Mal auf Demonstranten gegen Corona-Maßnahmen eindreschen zu müssen, fragt Frey ganz offensiv:
„Warum also sollten wir uns Protestlern zuwenden, die zwar laut, aber eben nur eine Minderheit sind?
Und gibt eine Antwort, die ebenso bemerkenswert ist wie die Frage:
„Wir tun es trotzdem, weil Verfassungsschützer und Innenminister warnen.
Demonstrierende nehmen für die ARD kein für die Gesellschaft wichtiges demokratisches Grundrecht war, sondern sie sind „Protestler“, das ist so etwas wie Nörgler. Jedenfalls, wenn sie gegen die erleuchtete deutsche Regierung protestieren, und nicht gegen diejenige von Russland oder Venezuela.
Sie sind in der Minderheit und deshalb eigentlich nicht berichtenswert.
Aber wenn der Staat sagt, sie seien ein Problem, dann sind sie berichtenswert (und zu verunglimpfen).
Wie nennt man ein Fernsehen, das nach solchen Maximen agiert? Staatsfernsehen?
Die Reporter finden zwar wieder einmal keinen, der eine knackige Verschwörungstheorie ausbreitet und nur eine einsame Reichsbürgerfahne, über die sich ein anderer Demonstrant beschweren darf, einen mutmaßlich Rechtsextremen, der „am Rande der Demo“ (!) eine unbeachtete Rede hält, sowie einen rechten AFD-ler, der sich unter eine Demo mischt. Dafür wird dann die „Bürgerrechtlerin“ Katharina Nocun dazwischengeschnitten, die als gefühlt 17. in den letzten Tagen darüber räsonieren darf, warum die von der Realität verunsicherten Protestler für Verschwörungserzählungen anfällig sind – und zwar „wissenschaftlich belegt“.
Eine Ex-Politikerin einer Protestpartei (Piraten), die die Regierungslinie vertritt und Demonstranten pauschal verunglimpft, ist eine „Bürgerrechtlerin“, Menschen, die friedlich für den Erhalt ihrer Bürgerrechte demonstrieren, sind „Protestler“. Demokratie a là 1984. Begriffe werden umgedeutet.
„Dass die Eingriffe in die Grundrechte womöglich Schlimmeres verhindert haben“, dieses Argument verfange hier oft nicht, sagt der Off-Sprecher, ganz neutral, über die Bilder einer Demo in Gera hinweg. Und so geht es weiter, bis bei Minute sieben der Tiefpunkt kommt: ein unterwürfiges Interview mit Markus Söder, das man allen Journalistenschülern zeigen sollte, um ihnen beizubringen, wie Regierungsfernsehen aussieht, und was es von Journalismus unterscheidet.
Es fängt damit an, das Frey den noch gar nicht Genannten einführt mit: „Und aus München ist ER uns jetzt zugeschaltet, der Bayerische Ministerpräsident Markus Söder.“
Dann fragt er IHN: „Teilen sie die Auffassung, dass die Gefahr besteht, dass Rechtsextreme diese kunterbunte Veranstaltung unterwandern und so gefährlich werden?“
Söder lobt den „spannenden ARD-Beitrag“ und sagt dann, die Kritik und Sorgen der Protestler seien nicht berechtigt, weil wir keinen Eingriff in Grundrechte mehr hätten. „Wir können uns ja im Land völlig frei bewegen.“
Das schreit nach Widerspruch, unabhängig davon ob man die Eingriffe richtig oder falsch findet. Wir können uns nur im Land bewegen, und auch nicht frei. Zu DDR-Zeiten wurde es bei uns durchaus als Grundrechtseingriff betrachtet, dass man das Land nicht verlassen durfte.
Frey nimmt die fast schon grotesken Falschbehauptungen kommentarlos hin und lässt Söder unbehelligt damit weitermachen, dass die Welt uns bewundere für das Krisenmanagement unserer Regierung. Frey bewundert schweigend mit. Es sei ja gerade das Paradoxe, dass es „uns besser geht als allen anderen“, setzt Söder mit der nächsten Falschbehauptung nach, „und trotzdem diese Verschwörungstheorien aufkommen“.
Welche Verschwörungstheorien?, hätte Frey wenigstens fragen können, wenn er schon nicht die Falschbehauptungen von Söder angreifen will. Aber er wiederholt stattdessen als guter Stichwortgeber Söders Selbstlob noch einmal in Frageform:
„Würden sie so weit gehen, zu sagen, die deutsche Politik sei ein Opfer ihres eigenen Erfolges?
Söder nimmt gern die Vorlage des „spannenden Berichts“ der ARD auf und sagt, wir sollten nicht so sehr auf die „Lauten in der ersten Reihe“ achten und mehr auf die stille Mehrheit der vernünftigen, regierungstreuen Bürger. Er sorgt sich, dass die braven, stillen Bürger davon beunruhigt werden, dass die Lauten die BRD mit der ehemaligen DDR vergleichen, das Kungeln von UN und Regierungen an den Parlamenten vorbei mit Bill Gates als demokratiefeindlich kritisieren, und über eine Impflicht reden, obwohl doch keiner daran denke.
Das niemand an eine Impflicht denke, ist im Lichte des wegen Protesten zurückgenommenen Versuchs des Gesundheitsministers, einen digitalen Immunitätsausweis einzuführen, einer EU-Roadmap zum digitalen Immunitätsausweis und einer Gesetzesänderung, die es Arbeitgebern erlaubt, den Impf- und Immunitätsstatus bei Einstellungen und Personalentscheidungen abzufragen und zu berücksichtigen, wieder eine grobe Verzerrung der Wahrheit.
Söder nennt die Kritiker noch einmal Verschwörungstheoretiker und Frey fragt nicht etwa nach, sondern gibt brav das als Frage getarnte Stichwort, ob Söder es mit der Maxime halte: „Debatten, die sinnlos sind, braucht man gar nicht erst zu führen“. Das erlaubt Söder zu sagen, zunächst einmal komme es darauf an, weiter richtig zu handeln, [so wie damals, als wir die virenschleudernden Karnevalsveranstaltungen und Fußballspiele erst einmal austragen ließen, bevor wir am Aschermittwoch Gegenmaßnahmen einleiteten).
Wieder keine Nachfrage.
Dafür deutet Söder gefährlich offen an, dass das hier kein ernsthaftes Interview ist, sondern Pingpong-Spiel mit einem verantwortungsbewussten Regierungssender. Es sei wichtig, zu überzeugen und aufzuklären, „auch durch solche Sendungen“.
Es folgen Worte, die in deutlichem Gegensatz zu dem stehen, was Söder vorher über die Demonstrationen gesagt hat: „Am Ende entscheidet die Tat, die Handlung, und weniger die Frage, gehe ich zu der Demo oder zu einer anderen Demo, das darf jeder machen, wie er will, da habe ich Respekt vor jeder Position.“
Mit der einzigen pseudo-kritischen Frage will Frey von Söder wissen, ob der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer ihn nicht mit seinem Zugehen auf Demonstranten unter Druck gesetzt habe. Auch Pseudokritik ist für einen Landesfürsten mit Kanzlerambition Kritik, und damit unerhört. Also lässt Söder in einer gelassenen Machtdemonstration seinen servilen Interviewer mit einer hingelächelten kurzen Antwort auflaufen: „Nein.“
„Das ist eine klare Aussage, dafür danke ich ihnen – schon jetzt“, fällt dem Moderator dazu nach einer konsternierten Pause nur ein, bevor er sich fängt und Söder fragt, wie er uns vor dem Entstehen einer Corona-Pegida bewahren will. Als Antwort verweist der auf „Erleichterungen Woche für Woche“, wiederholt seine Mär von der freien Bewegung und preist die Großzügigkeit der Regierung, die uns erlaubt – in sehr kleinem Umfang – Verwandte und Bekannte zu treffen. „Also all diese Vorwürfe, die da sind, die stimmen ja gar nicht und deswegen überzeugt die Realität am allermeisten.“
Das ist Frey dann doch zu viel der Verzerrungen und er hakt nach: „…“
Nein, natürlich nicht. Er bedankt sich herzlich für die wertvolle Zeit des Ministerpräsidenten.
Was heute Mainstream ist, war im Januar Verschwörungstheorie und umgekehrt