Meine Leserin hatte dem Oberbürgermeister geschrieben und folgendermaßen aus meinem Blog zitiert:
„Die Stadt Ulm hat per Allgemeinverfügung für die Abende, an denen üblicherweise Protest-Spaziergänge stattfinden, eine FFP2-Maskentragepflicht in der Innenstadt eingeführt. Im Fall der Zuwiderhandlung droht sie „unmittelbaren Zwang“ bis hin zum Waffengebrauch an, der verhältnismäßig sei.“
Sie fügte die etwas ungenau formulierte Frage hinzu: Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, in manchen Städten wird gemeinsames Gespräch angeboten.“Warum handeln Sie durch Waffengebrauch? Ulm war bisher bekannt duch ein besonnenes Vorgehen. Von Herzen Ihnen das Beste.“
Der OB antwortete:
„Dass die Maskenpflicht „bis hin zum Waffengebrauch“ durchgesetzt wird, ist blanker Unsinn.“
Er empfahl der Leserin:
„Ich weiß nicht, wer das in die Welt setzt. Jedenfalls würde ich diese Informationskanäle nicht mehr nutzen. Sie schüren Hass und Hetze.“
Nun stehen allerdings in der Allgemeinverfügung vom 23. Januar, die Czisch unterschrieben hat unmissverständlich die Worte „droht“, „Gewalt“, „Waffengebrauch“, „verhältnismäßig“ und „erforderlich“ in genau dem Bedeutungszusammenhang, den er jetzt „blanker Unsinn, Hass und Hetze“ nennt:
„Um sicherzustellen, dass die Maskenpflicht eingehalten wird, droht die Stadt Ulm die Anwendung unmittelbaren Zwangs, also die Einwirkung auf Personen durch einfache körperliche Gewalt, Hilfsmittel der körperlichen Gewalt oder Waffengebrauch an. Dies ist nach Abwägung der gegenüberstehenden Interessen verhältnismäßig (§§ 40 LVwVfG, 66 Abs. 1 PolG). Es ist erforderlich, da mildere Mittel, die die potentiellen Versammlungsteilnehmer von der Einhaltung der Maskenpflicht abhalten würden, nicht ersichtlich sind.“
Jetzt könnte man natürlich haarspalterisch sein und darauf verweisen, dass der OB in seiner Antwort ja nicht die Androhung des Waffengebrauchs als blanken Unsinn bezeichnet, sondern das Durchsetzen der Maskenpflicht bis hin zum Waffengebrauch zu blankem Unsinn, Hass und Hetze erklärt hat. Aber das hieße unterstellen, dass ein Oberbürgermeister anfragende Bürger mit irreführenden Antworten täuscht, und dabei gleich noch korrekt berichtende Blogger als Hetzer verleumdet. Das wird ihm keiner unterstellen wollen. Ich jedenfalls nicht.
Also müssen wir wohl zu dem Schluss kommen, dass OB Czisch die eigene Allgemeinverfügung mit der Androhung von Waffengebrauch bei Nichtaufsetzen einer FFP-Maske als blanken Unsinn, Hass und Hetze bezeichnet. Damit ist er gar nicht weit weg von empörten Leserzuschriften, die den OB mit seiner Allgemeinverfügung des Aufrufs zu Straftaten bezichtigen.
Aber wir haben noch etwas Versöhnliches für den Schluss aufgehoben. OB Czisch schreibt meiner Leserin:
„Der Verstoß gegen Maskenpflicht ist eine Ordnungswidrigkeit. In der Praxis sehen Sie, was tatsächlich geschieht. Es wird auf die Maskenpflicht durch Lautsprecherdurchsagen und durch persönliche Ansprache hingewiesen und bei dann dennoch festgestellten Verstößen geahndet, also ein Bußgeld verhängt. Das war´s dann aber auch.“
Die Drohung mit Waffengebrauch steht da also nur zur Abschreckung, ist aber nicht ernst gemeint. Ganz ohne abschließenden Tadel kann ich aber trotzdem nicht enden. Auch wenn die Waffen im Halfter bleiben: Friedliche Protestierer als Virenschleudern und tödliche Gefahren darzustellen und dann mit Waffengewalt zu drohen, wie es in diesem hochoffiziellen Text der Stadt geschieht, ist tatsächlich mit Hassrede und Hetze, recht gut beschrieben. Sie trägt zur Verrohung der Gesellschaft und des Umgangs miteinander bei.
Eine Rücknahme der Verfügung und eine Entschuldigung wären unbedingt und bald nötig. Es muss ja nicht immer gleich ein Rücktritt sein.
Stellungnahme der Stadt
Ich fragte den Oberbürgermeister und die Presseabteilung der Stadt, ob ich nun schreiben dürfe, dass der Oberbürgermeister die eigene Allgemeinverfügung als blanken Unsinn bezeichnet. Von der Presseabteilung bekam ich folgende, mit dem OB abgestimmte Antwort.
„Sie beziehen sich auf eine Passage in der Allgemeinverfügung der Stadt Ulm vom 23. Januar, die sich dort im Teil II, Rechtliche Würdigung, Ziffer 2 findet. Es handelt sich dabei um eine Formulierung, die dem baden-württembergischen Polizeigesetz entspricht: Darin wird korrekterweise darauf hingewiesen, dass eine Maskenpflicht auch zwangsweise durchgesetzt werden kann und aufgezählt, welche Bandbreite an Einsatzmitteln der Polizei allgemein für verschiedenste Einsatzlagen per Gesetz zur Verfügung stehen. Daraus den Schluss zu ziehen, der Ulmer OB setze die Maskenpflicht „bis zum Schusswaffengebrauch durch“, ist blanker Unsinn – nichts anderes hatte Herr Czisch auch auf die Anfrage der Leserin Ihres Blog geantwortet. Damit hat er diese Schlussfolgerung bezeichnet, nicht die Allgemeinverfügung als solche – was Sie als „Sprach-Profi“ selbstverständlich wissen.“
Bis dahin muss ich das nicht kommentieren. Das folgende schon.
„Ganz wichtig zum Verständnis, was mit „zwangsweiser Durchsetzung“ gemeint ist, ist der in derselben Passage zweimal genannte Begriff der Verhältnismäßigkeit, ohne den sich der Absatz nicht interpretieren lässt. Wie so oft lohnt sich auch hier für das Verstehen das Lesen des gesamten Textes, nicht nur einzelner, aus dem Zusammenhang gerissener Sätze.“
Aus dem in meiner Anfrage als Beleg enthaltenen Zitat aus der Allgemeinverfügung (oben wiedergegeben) geht klar hervor, dass die Stadt die Anwendung unmittelbaren Zwangs bis hin zum Waffeneinsatz für verhältnismäßig erklärt, und zwar – wie sich aus dem weiteren Verfügungstext ergibt – weil die Anwesenheit der vermeintlich nicht geimpften Protestierer in der Stadt so hochgefährlich sei. Der unmittelbare Zwang wird auch schon ganz vorne in der Verfügung prominent angedroht. Mein Blogbeitrag zu der Allgemeinverfügung hat stolze 10.300 Zeichen und besteht zu einem großen Teil aus Zitaten aus der Verfügung, die in Zusammenhang gestellt und kommentiert werden. Von wegen „aus dem Zusammenhang gerissene Sätze“ .
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