Ihre neue, bessere, digitale Währung wird Ihnen präsentiert vom: Weltwirtschaftsforum! (ob Sie wollen oder nicht)

Hören | 1. 05. 2023 | Die Lobby der größten internationalen Konzerne hat Zentralbanken vernetzt, die an digitalen Zentralbankwährungen arbeiten, und einen Leitfaden dafür herausgebracht. Dieser wird von Zentralbanken auch genutzt. Das hilft erklären, warum die Interessen der Bürger in dieser Sache so wenig zählen, während die der Konzerne nach Kräften gefördert werden.

Die kasachische Zentralbank hat im Juli 2022 einen Bericht veröffentlicht, der die Kriterien dafür entwickelte, wie über Designfragen bezüglich des geplanten digitalen Tenge entschieden werden sollte. Der Tenge ist die Landeswährung Kasachstans. Im Zentrum des Berichts steht die konzeptionelle Vorarbeit zweier Leitfäden des Internationalen Währungsfonds und des Weltwirtschaftsforums, der Lobby der 1.000 größten internationalen Konzerne. Der Leitfaden des Weltwirtschaftforums spielt die größere Rolle.

Bei der Lektüre dieses Berichts aus Kasachstan – nicht gerade ein Massenmedium – las ich zum ersten Mal von dieser Rolle des Weltwirtschaftsforums bei der Entwicklung digitalen Zentralbankgeldes. Und das, obwohl ich recht genau verfolge, was beim Weltwirtschaftsforum und bei den Zentralbanken vorgeht. Man will uns das offenbar nicht auf die Nase binden.

Wenn man wie ich davon ausgeht, dass die Interessen der größten internationalen Konzerne sich nicht immer mit denen der Bevölkerungen decken, ist man geneigt, es problematisch zu finden, wenn Zentralbanken sich von einer Konzernlobby erklären lassen, wie sie ihre Arbeit tun sollten. Daran ändert nichts, dass diese Lobby es durch den geschickten Einsatz des bei diesen Konzernen reichlich vorhandenen Geldes und Einflusses geschafft hat, als „Internationale Organisation“ anerkannt zu werden.

Schauen wir also – mit etwas Misstrauen – in den Central Bank Digital Currency Policy‑Maker Toolkit (Werkzeugkasten für Entscheider über digitales Zentralbankgeld) des Weltwirtschaftsforums von Januar 2020.

Konzerne setzen die Agenda

Schon bei den ersten Sätzen fällt auf, dass es der Konzernlobby nicht an Selbstvertrauen fehlt:

„Zwar haben viele Entscheidungsträger von Zentralbanken in den letzten Jahren ein Interesse an CBDC entwickelt, aber die meisten sind noch keine Experten auf diesem Gebiet. (…) Politische Entscheidungsträger können von einem präzisen Rahmen profitieren, der ihnen bei ihren Untersuchungen helfen kann.“

Da will das Weltwirtschaftsforum helfen, und zwar ganz uneigennützig und neutral, versteht sich. Man ist ja eine Internationale Organisation, die sich die Verbesserung des Zustands der Welt zum Motto erkoren hat:

„Das Central Bank Digital Currency (CBDC) Policy-Maker Toolkit des Weltwirtschaftsforums zielt darauf ab, den Bedarf an einer prägnanten CBDC-Entscheidungshilfe zu decken, die den politischen Entscheidungsträgern umfassende und risikobewusste Informationen bietet (…), um sicherzustellen, dass bei der Einführung von CBDCs sowohl die Kosten als auch die potenziellen Vorteile in vollem Umfang berücksichtigt werden.“

An diesem Anspruch werden wir das Werk messen, dass alle Kosten (Nachteile) – und zwar nicht nur die für die Konzerne – berücksichtigt werden.

Es fällt auch auf, dass Zentralbanken sich offenbar recht willfährig von der Konzernlobby lenken lassen, nicht nur diejenige Kasachstans. Zentralbanker von mehr als 45 Ländern habe man zusammengebracht und deren Input durch ausgiebige Diskussionen mit anderen Experten (der privaten Finanzbranche) ergänzt, um diesen Leitfaden zu entwickeln. Auf einer Netzseite vom 18. September 2019 wird genauer erklärt, auf welcher (fragwürdigen) Basis dieses Zusammenbringen funktioniert:

„Das Netzwerk des Zentrums für die 4. Industrielle Revolution des Weltwirtschaftsforums hat eine globale Gemeinschaft von Zentralbanken, internationalen Organisationen und führenden Blockchain-Experten aufgebaut, um Innovationen zu identifizieren und zu nutzen, die dazu beitragen könnten, ein neues Zeitalter für das globale Bankensystem einzuläuten.(…) Wir unterstützen nun Zentralbanken bei der Entwicklung, Erprobung und Skalierung innovativer politischer Rahmenbedingungen für die Implementierung der Blockchain, wobei der Schwerpunkt auf digitalen Zentralbankwährungen (CBDCs) liegt. (…) Die Unabhängigkeit und Neutralität des Forums bietet eine einzigartige Atmosphäre des Vertrauens, in der die Zentralbanken zusammenkommen und zusammenarbeiten können.“

Das mit der Neutralität wird dann allerdings gleich wieder in Zweifel gezogen, wenn das Weltwirtschaftsforum kurz darauf bei Unternehmen aus der Branche für die Teilnahme an diesem Netzwerk wirbt, mit dem Argument:

„Durch eine Partnerschaft mit uns hat Ihr Unternehmen die Möglichkeit, die Zukunft unserer globalen Finanz- und Währungssysteme mitzugestalten, indem es mit den Organisationen zusammenarbeitet, die diese Systeme steuern.“

Das klingt dann doch wieder sehr nach Lobbyismus, nur eben mit drastisch verbesserten Erfolgsaussichten, dadurch dass Lobbyisten auf Augenhöhe mit den öffentlichen Entscheidungsträgern zusammenarbeiten und nicht mehr Lobbyisten heißen sondern Partner.

Interessengeleitete Aufstellung der Vor- und Nachteile

Der Werkzeugkasten des Forums liefert eine tabellarische Aufstellung der möglichen Vorteile und Nachteile digitalen Zentralbankgelds und möglicher Alternativen, um die verschiedenen damit angestrebten Ziele zu erreichen. Weil ich als voreingenommen gelten darf, will ich die Sicht des Weltwirtschaftsforums nicht mit meiner eigenen kontrastieren, sondern mit der von US-Zentralbankvorständin Michelle Bowman aus ihrer am 18. April gehaltene Rede zum Thema digitaler Dollar.

Als einen ersten möglichen Vorteil nennt das Forum Beschleunigung und Verbilligung von grenzüberschreitenden Zahlungen durch Umgehung von Korrespondenzbankensystemen.

Was die Autoren des Forums nicht erwähnen, Michelle Bowman aber sehr wohl: Dass internationale Überweisungen so langsam und teuer sind, hat sehr viel damit zu tun, dass die Regulierer sehr aufwendige und teure Prüfungen der Identität der Beteiligten und der Unbedenklichkeit der Transaktionen verlangen. Diese Anforderungen gehen nicht weg, nur weil die Zahlungen mithilfe von digitalen Dollars oder anderen digitalen Währungen ausgeführt werden.

Immerhin wird offen eingeräumt, dass die digitalen Währungen in Sachen Schnelligkeit und Kosten für nationale Zahlungen und Verrechnungen kaum Vorteile bringen, wenn es bereits ein effizientes Zahlungsverkehrssystem im Land gibt. Wo es noch hakt, lassen sich die Probleme in der Regel mit geringerem Aufwand lösen als mit der Einführung von digitalem Zentralbankgeld.

Dass die großen Finanzkonzerne die Konkurrenz durch Bargeld nicht mögen und den Aufwand der Bargeldversorgung scheuen, wird deutlich, wo der Leitfaden die Reduktion der Kosten und Friktionen verbucht, die mit Bargeld verbunden sind. Ebenfalls wo er den verbesserten Datenfluss zur Zentralbank und die verbesserte Nachverfolgbarkeit der Zahlungen relativ zu Barzahlungen lobt – jeweils ohne einen Gegenposten auf der Nachteilsseite.

Das leuchtet aus der Sicht großer Finanzkonzerne ein, denn die Nachteile des Verschwindens von Bargeld tragen kleinere Unternehmen und Privatpersonen.

Bowman fallen im Gegensatz zum Weltwirtschaftsforum einige Nachteile ein, die mit den Vorteilen (für Konzerne) verbunden sind. Dazu gehört zuvorderst, dass die Menschen den nur mit Bargeld möglichen Schutz ihrer Privatsphäre sehr schätzen und dass sie nicht wollen, dass alle Daten über ihr finanzielles Leben bei der Zentralbank zusammenlaufen.

Auch das Argument der Finanziellen Inklusion darf natürlich nicht fehlen. Damit ist gemeint, Menschen, die kein Bankkonto haben, in den registrierten Zahlungsverkehr zu integrieren. Oft ist der Ausdruck ein Synonym für Bargeldbeseitigung, weil Bargeld in diesen Kreisen als minderwertig und anrüchig betrachtet wird.

Dem hält Bowman für die USA entgegen, dass mehr als 95% der Haushalte ein Bankkonto haben und drei Viertel der übrigen keines wollen. Oft sei Misstrauen gegenüber dem Bankensystem der Grund. Auf Europa ist dieses Gegenargument direkt übertragbar.

Seltsamerweise wird eine mögliche Programmierbarkeit des digitalen Zentralbankgelds in der Auflistung nur im Zusammenhang mit Wertpapiergeschäften erwähnt, sodass auch das von Bowman angeführte Gegenargument entfällt: dass nämlich zentral programmierbares Geld freiheitsfeindlich wäre, indem es der Regierung die Möglichkeit gibt, das Verhalten der Bürger bis ins Detail zu steuern.

Demokratie wird überschätzt

Beim Weltwirtschaftsforum ist der Respekt vor demokratischen Gepflogenheiten, wie der, dass gesellschaftlich wichtige Fragen nach einer gesellschaftlichen Diskussion in den Parlamenten entschieden werden, nicht allzu ausgeprägt, um es freundlich auszudrücken. Das macht sich auch in diesem Leitfaden bemerkbar.

Obwohl digitales Zentralbankgeld ein Aufregerthema für weite Teile der Öffentlichkeit ist – vor allem wegen der Nachteile, die das Forum lieber nicht erwähnt -, wird die Frage, ob und in welcher Form man es einführen sollte, in dem Leitfaden wie eine technokratische Effizienzabwägung behandelt. Die Zentralbanker sollen IHRE Prioritäten und IHRE institutionellen Restriktionen bewerten, heißt es zu Anfang des vorgeschlagenen Entscheidungsbaums, und erst am Ende wieder, wenn es um die abschließende Entscheidung und Umsetzung geht, wird zu der Frage eingeladen, wie viel Autonomie die Zentralbank bei der Gestaltung, Entwicklung und Einführung des dititalen Zentralbankgeldees hat, und eine Einbeziehung des Parlament als Möglichkeit ins Gespräch gebracht.

Bowman dagegen stellt klar:

„Natürlich werden die Diskussionen über den Zweck, die Ausgestaltung und die potenziellen Risiken eines US-CBDC sowie die wichtigsten Gestaltungselemente hier in den Vereinigten Staaten fortgesetzt. Während die Federal Reserve eine wichtige Rolle in diesen Diskussionen (…) spielt, würde die Fed einen digitalen Dollar nicht ohne die Zustimmung des Kongresses einführen.“

EZB will Bargeld ersetzen, nicht ergänzen

Ein Spitzenvertreter der Europäischen Zentralbank (EZB) hat erst vor wenigen Tagen indirekt deutlich gemacht, dass der digitale Euro, den sie schaffen will, der bargeldfeindlichen Philosophie der Finanzkonzerne folgen soll. Das zuständige Direktoriumsmitglied Fabio Panetta sagte vor dem Wirtschafts- und Währungsausschuss der Europäischen Parlaments:

„Im Falle der Einführung wäre der digitale Euro ein öffentliches Gut, und die Menschen würden davon ausgehen, dass sie überall im Euroraum auf ihn zugreifen und ihn problemlos verwenden können. Daher wäre es für alle Nutzer vorteilhafter und bequemer, wenn Händler, die digitale Zahlungen akzeptieren, auch den digitalen Euro als gesetzliches Zahlungsmittel annehmen müssten. Wird der Handel zur Annahme digitaler Euro verpflichtet, so könnte dies in der Praxis auch als Chance begriffen werden. Dadurch würden die Zahlungen in Europa widerstandsfähiger und es gäbe mehr Wettbewerb. Infolgedessen würden wiederum Zahlungen günstiger, wovon ganz klar jeder im Euroraum profitieren würde.“

Das klingt vernünftig, so lange, bis man sich klar macht, dass man eine solche vernünftige Forderung von der EZB bezüglich des Bargelds noch nicht gehört hat. Beim Bargeld vertritt die EZB die Haltung, dass die Annahme durch Händler durch deren Geschäftsbedingungen ausschließbar ist, also freiwillig. In meinem Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof um das Recht auf Barzahlung des Rundfunkbeitrags hat sich die EZB sogar der frechen These der EU-Kommission und des EU-Generalanwalts angeschlossen, dass nicht einmal der Staat und seine Behörden das gesetzliche Zahlungsmittel annehmen müssen, wenn sie das als irgendwie unpraktisch empfinden. Dann ist das nämlich angeblich nicht im öffentlichen Interesse. Dass die Verarbeitung von Barzahlungen günstiger würde, wenn Bargeld mehr genutzt würde, interessiert die EZB nicht, das interessiert sie nur beim digitalen Euro.

Und diese EZB, die es nicht über die Lippen bringt, zur Rettung der dauerhaften Nutzungsmöglicgkeit von Bargeld eine Annahmepflicht zu fordern, das aber beim digitalen Euro diese schon fordert, bevor es ihn gibt, will ernsthaft, dass wir ihr glauben, dass die mit dem digitalen Euro das Euo-Bargeld nicht verdrängen will.

Resümee

Wie nicht anders zu erwarten, ist der Leitfaden des Weltwirtschaftsforums für Zentralbanker weit weg von der Neutralität und Uneigennützigkeit, die ausdrücklich versprochen wird. Interessen der Bürger und kleinen Unternehmen fallen unter den Tisch. Es ist ein Skandal, aber leider typisch für die zumeist demokratischer Kontrolle und Rechenschaftspflicht enthobenen Zentralbanker, dass sie ein derart wichtiges Thema in dunklen Hinterzimmern mit Vertretern der privaten Finanzbranche ausbaldowern und sich derart für die Interessen einer Konzernlobby einspannen lassen. Denn eines haben alle Umfragen und Bürgerbeteiligungen, etwa der EU und der Europäischen Zentralbank unmissverständlich klar gemacht: Dieses Projekt wird in Europa nicht so hartnäckig auf diese bargeldfeindliche Weise vorangetrieben, weil die Bürger es wollen, sondern obwohl die Bürger es ganz klar nicht wollen.

Englische Version

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Für weitere Beiträge zum digitalen Zentralbankgeld klicken Sie bitte unten auf das Stichwort „EZB, digitaler Euro“

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