Mit seinen großformatigen fast 600 Seiten ist das Buch zu 30 Euro sehr zurückhaltend bepreist. Man bekommt für sein Geld in leicht lesbarer Form Grundsätzliches zur Funktionsweise des (derzeitigen) Geldsystems, Wirtschafts- und Finanzzyklen, einen informativen Durchgang durch die Geschichte des Geldes in verschiedenen Weltgegenden, eine umfassende Erläuterung der Funktionsweise und der Geschichte von Bitcoin, eine Anleitung wie man zum Bitcoin-Nutzer wird, und jede Menge Meinung.
Ich will offenlegen, dass ich mit Marc per Du bin und er mich schon ein paar Mal interviewt hat. Er weiß, auch aus diesen Gesprächen, dass ich kein Freund von Bitcoin bin, was ihn aber nicht davon abgehalten hat, mir ein Rezensionsexemplar zu schicken.
Die Übertreibung im Titel sei geschenkt. Ein Buch will verkauft werden, sonst wird es kein Bestseller. Aber schauen wir uns an, was das Buch auf der ernsthafteren Ebene darunter verspricht. In der Buchbeschreibung des Verlags heißt es:
„Wir sind am Vorabend der größten Revolution aller Zeiten und Sie können sich jetzt noch darauf vorbereiten! Diese Revolution wird alles verändern. Unser Geld, unser ganzes Geldsystem ist im Begriff zu sterben! Seit Jahren ist es für die immer wiederkehrenden Krisen mitverantwortlich. (…) Nicht ob es final scheitert, ist die Frage, sondern wann. Aber aus dieser Krise ist eine historische Chance geboren: Bitcoin. Was am Anfang nach einem nerdigen IT-Geek-Experiment aussah, ist in Wahrheit viel mehr: ein grenzenloses, dezentrales Geldsystem, das jedem Menschen Zugang gewährt und das von keiner zentralen Organisation wie Notenbanken oder Staaten kontrolliert und korrumpiert werden kann.“
Abgesehen davon, dass jedes Geldsystem irgendwann „scheitert“ und durch ein neues ersetzt wird, halte ich die meisten der vielen steilen Behauptungen in diesen wenigen Zeilen für falsch oder zumindest fragwürdig. Bitcoin hat nicht das Zeug zu einer große Revolution. Es ist auch kein funktionsfähiges Geldsystem. Es gewährt viel weniger Menschen Zugang als das derzeitige und es kann kontrolliert, korrumpiert und verboten werden.
Das heißt nicht, dass ich Recht habe, und ich will das auch nicht im Einzelnen ausführen. Unter „Mehr“ verlinke ich auf Beiträge, die ich dazu bereits geschrieben habe. Ich will nur eine Warntafel aufrichten. Man sollte die Schlussfolgerungen, die die Autoren aus den vielen – und soweit ich sehen kann, durchgängig korrekten – Informationen in diesem Buch ziehen, kritisch hinterfragen, bevor man sie übernimmt.
Als Beispiel für eine ausgeprägte Einseitigkeit will ich nur auf den wichtigen Punkt des extremen und umweltschädlichen Energiebedarfs von Bitcoin eingehen. Er rührt daher, dass die sogenannten Bitcoin-Miner, die dafür sorgen, dass alle Transaktionen unveränderlich in die sogenannte Blockchain geschrieben werden und deren Korrektheit laufend überprüft wird, sehr aufwendige und daher viel Strom verbrauchende Rechenoperationen ausführen müssen.
Das Thema wird weit hinten in Kapitel 14 unter „Mythen“ abgehandelt, nachdem man schon lange gelernt hat, wie man Teil der Bitcoin-Revolution wird. Friedrich und Rössler kontern die Kritik so:
„Ganz im Gegenteil! Bitcoin rettet sogar die Umwelt, schont das Klima, fördert den Einsatz von erneuerbaren Energien und nützt vor allem gestrandeter Energie, die sonst nicht genutzt würde. „
Das vielfach vorgetragene Argument sei Teil einer Kampagne gegen Bitcoin.
Was dann im entsprechenden Abschnitt vorgetragen wird, ist nicht geeignet, die Behauptungen zu belegen. Die Argumentation lautet etwa so: Bitcoin-Transaktionen brauchen zwar zusammengenommen so viel Energie wie ein kleineres Industrieland. Aber erstens ist es das wert, weil Bitcoin so eine tolle Sache ist. Zweites stammt gut die Hälfte des genutzten Stroms aus erneuerbaren Energien. Drittens gehen die Bitcoin Miner dahin, wo der Strom am reichlichsten und billigsten ist, und sie schaffen viertens Nachfrage für günstigen, regenerativ erzeugten Strom, wo sonst vielleicht keine wäre.
Was in dem ganzen Abschnitt fehlt, ist der entscheidende Hinweis darauf, dass Bitcoin derzeit nur einen winzigen Bruchteil der globalen Geldtransaktionen abwickelt. Das liegt zum einen daran, dass die Kapazität des Systems wegen des großen Aufwands der Transaktionsverbuchung sehr begrenzt ist, zum anderen daran, dass die Wertschwankungen des Spekulationsobjekts Bitcoin dieses als Zahlungsmittel relativ unattraktiv machen.
Die Autoren führen im Buch Gründe an, warum beide Hemmnisse künftig überwunden werden könnten. Das mag so sein, oder auch nicht. Aber wenn Bitcoin auch nur annähernd in die Rolle wachsen wollte, die ihm Friedrich und Rössler verheißen, nämlich ein breit genutztes alternatives Zahlungsverkehrssystem zu sein, das das bisherige ersetzt, dann wäre der Energiebedarf so riesig, dass all die angeführte Argumente gegen die Kritik gegenstandslos würden. Sie funktionieren nur einigermaßen, solange Bitcoin ein Nischendasein führt. Wobei sie auch dann allenfalls die Kritik relativieren helfen können. Die steile These, dass Bitcoin sogar der Umwelt hilft, ja sie sogar rettet, tragen sie in keiner Weise.
Die Perspektive des Buches, sowohl was die Funktion von Geld angeht, als auch was die Geldgeschichte und Bitcoin betrifft, ist eine strikt individualistische. Geld wird weniger oder gar nicht als soziale Technologie der Buchführung über gegenseitige Ansprüche und Verpflichtungen betrachtet, sondern vor allem als Tauschmittel und Wertaufbewahrungsmittel für das Individuum (und Organsiationen). Das Ideal im Hintergrund ist die Edelmetallwährung, die die staatlichen Manipulationsmöglichkeiten minimiert. Bitcoin ist so etwas wie die praktische, dem Staat (angeblich) gänzlich entzogene Fortentwicklung der Goldmünzenwährung.
Das ist eine legitime Perspektive, über die man zu einigen wertvollen Erkenntnissen kommen kann. Man sollte sich aber klar sein, dass es nur eine von mehreren für das Verständnis von Geld wichtigen Perspektiven ist.