War das die Zitterpartie wert? Was Athen jetzt zusagte, hatte es schon lange vorher angeboten

 Auf vielfachen Wunsch meiner wissbegierigen deutschen Leserschaft habe ich einen Tag frei genommen, um meine Analysen zum Verhandlungsergebnis mit Griechenland aus dem Englischen ins Deutsche zu übertragen. Ich werde dies nicht Eins zu Eins tun. Ich vergleiche die finale Erklärung der Eurogruppe vom 20. Februar, einmal mit dem von Griechenland nicht unterschriebenen Entwurf vom 16. Februar und vor allem mit dem, was der griechische Finanzminister Varoufakis

der Eurogruppe schon am 11. Februar angeboten hatte. Das Resümee wird sein, dass die gemeinsame Erklärung vom 20. Februar sehr nahe an dem ist, was Varoufakis schon neun Tage zuvor angeboten hatte. Auf der Basis des nun vereinbarten Testes wäre daher eine Einigung mit Griechenland ziemlich sicher schon am 11. Februar möglich gewesen, ohne den Nervenkrieg um einen möglicherweise bevorstehenden de-fakto Rauswurf der Griechen aus der Währungsunion. Andererseits enthält die Einigung gegenüber dem Entwurf vom 16. Februar, der den Griechen zunächst nur angeboten wurde, für Griechenland einen sehr erheblichen Gewinn an Gestaltungsspielraum.

 Das nicht nur Bedeutung für eine Nachbetrachtung im Sinne der Sportberichterstattung nach dem Motto: Wer hat gewonnen, wer hat verloren? Vielmehr hat sich – wenn die Analyse zutrifft – gezeigt, dass Schäuble für sein Projekt des Nord-Euro, das ich ihm als seinen Plan B unterstelle, keine Mehrheiten gefunden hat, und viel Gegenwind von IWF, EZB und EU-Kommission, sowie vermutlich der US-Regierung. Nur deshalb konnte sich Athen durchsetzen. Das wiederum bedeutet, dass Europa ein Politikwechsel bevorstehen dürfte: weg von der Sparsamkeit als oberster aller Tugenden, weg von der Privatisierungs- und Wettbewerbsfähigkeitsideologie der letzten Jahre. Denn: Was die Menschen in Griechenland bekommen, werden als nächstes die Wähler in Spanien und später dann die in Portugal und Italien auch einfordern.

 Varoufakis sagte seinen Kollegen am 11. Februar (meine Übersetzung):

 „Wir verstehen völlig, dass die Termine der bestehenden Kreditvereinbarung verlängert werden müssen, um Stabilität zu gewährleisten. …Wir sind bereit, um eine Revision der Termine nachzusuchen… Wir können diese Revision als Brücke akzeptieren, hin zu einer neuen Partnerschaft und als notwendige Bedingung für die Diskussion. Aber eine solche Verlängerung kann nicht dahingehend interpretiert werden, dass wir diejenigen Teile der bisherigen Agenda, die von unserem Volk abgelehnt wurden, akzeptieren.“

 Die Bereitschaft zur jetzt erfolgten Verlängerung der Kreditvereinbarung war also da. Es ging nur darum, ob damit die abgelehnte Verpflichtung verbunden sein sollte, das damit verbundene Reformprogramm ohne jede Änderung so umzusetzen, wie vereinbart.

 Dazu sagte Varoufakis:

 Wir wollen die Strukturreformen, die mit unseren Partnern der Eurogruppe vereinbart wurden umsetzen in Bezug auf Steuereintreibung, öffentliches Finanzmanagement, Verwaltungsreform, Verbesserung des Geschäftsklimas, Justizreform, Regionalplanung und Kampf gegen „Rent Seeking“. All das ist komplett in Übereinstimmung mit unserem politischen Mandat und wir werden diese Reformen sogar beschleunigen. Wir werden bisher nicht dagewesene Maßnahmen gegen Korruption ergreifen und gegen Steuervermeidung. In Sachen Privatisierung und Entwicklung des Staatsvermögens sind wir völlig undogmatisch: wir sind bereit und willens, jedes einzelne Projekt allein nach seinen Meriten zu beurteilen.

 Ein fortgesetzter Primärüberschuss (Haushalt ohne Zinsausgaben) wird unser Mantra bleiben. Wir schlagen ein maximales Ziel von 1,5 Prozent Primärüberschuss gemessen am BIP vor, gültig sobald sich die Wirtschaftslage stabilisiert hat , und solange wie nötig um die zugrunde liegenden Ziele zu erreichen. Wir können zeigen, dass dieses Ziel ausreicht, um die Schuldenquote auf einen sinkenden Pfad zu bringen.

 Im Gegensatz zu früheren Regierungen werden wir keine Versprechungen machen, die wir nicht halten können. Ich könnte, z.B. alle glücklich machen, indem ich das Privatisierungsziel von 5 Mrd. Euro akzeptierte, um eine Vereinbarung möglich zu machen. Aber ich weiß, dass ich das nicht erreichen kann. So wie auch frühere Regierungen das in einem Markt mit einbrechenden Preisen für Vermögenswerte nicht erreichen konnten.“

 Auf dem Treffen am 16. Februar fügte Varoufakis dem noch hinzu, für eine Verlängerung des Kreditprogramms verpflichte sich die griechische Regierung, eine Reihe von Bedingungen zu erfüllen:

 – „Die griechische Regierung wiederholt ihre Selbstverpflichtung auf die Bedingungen ihrer Kreditvereinbarung mit all ihren Kreditgebern.“

 – „Die griechische Regierung unternimmt keine Maßnahmen, die drohen könnten, den bestehenden Haushaltsrahmen zu sprengen, oder die Auswirkungen auf die Finanzstabilität haben könnten.“

 – „Die griechische Regierung wird nichts in Richtung auf einen Schuldenschnitt beim Nominalwert seiner Kredite unternehmen.“

 Dafür wollte er das Zugeständnis:

 Unsere Partner sollten zustimmen, dass gleichzeitig keine Maßnahmen ergriffen werden, die wir als rezessionsverursachend betrachten, wie zum Beispiel Rentenkürzungen oder eine Erhöhung der Umsatzsteuer.“

 Die Erklärung der Eurogruppe kommt dieser letzten Forderung sehr weit entgegen. Die besonders umstrittenen Politikbereiche wie Arbeitsmarktpolitik und Renten werden nicht ausdrücklich genannt. Das Wort Programm kommt nicht vor. Es steht für die getreuliche Umsetzung genau der und alle Maßnahmen, die die alte Regierung mit der Troika vereinbart hatte, Kritiker sagen, die sie sich hatte aufoktroyieren lassen.

Stattdessen wird das vage Wort Arrangement verwendet. Versteckt als Zugeständnis der Griechen, bekommen diese sogar die ausdrückliche Erlaubnis, Maßnahmen zurückzunehmen und einseitige Änderungen am Programm vorzunehmen, solange das nicht die Finanzziele gefährdet, oder die Finanzstabilität. Damit wird deutlich, dass das neu von Griechenland zusammenzustellende Maßnahmenbündel von den EU-Kommission, EZB, und IWF, sowie letztlich der Eurogruppe nicht abgelehnt wird, wenn es diese Bedingung erfüllt.  Es wird sogar ausdrücklich eingeräumt, dass einige der Prioritäten der neuen Regierung zu einer „Stärkung und besseren Umsetzung des Arrangements“ beitragen können. Das ist nichts anderes als das verhüllte Eingeständnis, dass die neue Regierung mit ihrer Kritik an dem bestehenden Programm in vielem Recht hat. Deshalb wird auch nichtmehr ein „erfolgreicher Abschluss des Programms“ gefordert, sondern nur noch eine „erfolgreiche ÜBERPRÜFUNG“ der Umsetzung. Dass wird in den deutschen Medien hartnäckig falsch berichtet, obwohl Schäuble sich mit dieser Forderung nicht durchsetzen konnte.

 Im abgelehnten Entwurf vom 16. Februar war durchgängig von Programm die Rede gewesen und es war der erfolgreiche Abschluss des Programms gefordert worden, etwas, was Varoufakis als in sich unmöglich bezeichnet hatte.

 Die griechische Regierung bekommt also wieder ihre Politikhoheit zurück. Innerhalb des Budgetrahmens kann sie die Politik betreiben, die die Wähler wollen und die sie für sinnvoll hält, nicht diejenige, die sich Beamte von Währungsfonds, EU-Kommission und EZB auf Basis ihrer weltfremden Ökonomenmodelle ausgedacht haben.

 Auch Privatisierungen und damit zusammenhängende Erlösziele werden nicht mehr genannt. Das impliziert, dass kein Verkauf von Staatsvermögen zu jedem noch so niedrigen, erzielbaren Preis mehrgefordert wird, solange die entsprechenden Einnahmen auf anderem Wege hereinkommen.

 Eine griechische Zahlungseinstellung oder die Drohung mit einem Schuldenschnitt wird in der Erklärung ausgeschlossen. Athen verpflichtet sich vielmehr seinen finanziellen Verpflichtungen an die Kreditgeber vollständig und fristgerecht nachzukommen. Diese Selbstverpflichtung hatte Varoufakis am 11. Februar noch nicht, am 16. aber dann ausdrücklich angeboten. Das schließt aber Erleichterungen bei den Konditionen, wie Zinssatz und vor allem Rückzahlungsstreckung oder –verschiebung keineswegs aus. Varoufakis hat vielmehr darauf hingewiesen, dass Griechenland in der Erklärung der Eurogruppe vom November 2012 ausdrücklich solche Erleichterungen in Aussicht gestellt wurden, wenn es einen Primärüberschuss (Einnahmen minus Ausgaben, ohne Schuldendienst) erreiche, was es 2014 getan hat. In der jetzigen Eurogruppen-Erklärung wird ausdrücklich auf diese Erklärung von 2012 Bezug genommen, was man als entsprechende Einräumung interpretieren kann.

 In Sachen Haushaltssaldo erklärte Varoufakis am 11. Februar:

 Wir bekennen uns zu gesunden Staatsfinanzen …unser Primärüberschuss hat Ende letzten Jahres 1,5% erreicht…Die neue Regierung nimmt die erreichte Anpassung als Ausgangspunkt umd in Partnerschaft zum gegenseitigen Nutzen mit den europäischen Partnern voranzuschreiten… Unrealistische, die eigene Zielerreichung behindernde Ziele wurden unserem Land und unserer Bevölkerung auferlegt. Sie müssen korrigiert werden. Ein Primärüberschuss von 4,5% des BIP auf Dauer ist ohne historisches Beispiel in einer Situation wie der in der Griechenland sich derzeit befindet. Es ist einfach nicht möglich für unser Land zu wachsen, wenn wir auf dem wachstumszerstörenden Sparkurs bleiben, der unserer Wirtschaft aufoktroyiert wurde. Es ist auch nicht konsistent mit einer nachhaltigen Reduktion der Verhältnisses von Schulden und BIP… Wir schlagen ein maximales Überschussziel von 1,5% des BIP vor, zu erreichen, sobald sich die wirtschaftliche Lage stabilisiert hat, und so lange wie nötig.“  

 Er verwies auf die im November 2012 in Aussicht gestellten Erleichterungen bei den Schuldenkonditionen und erklärte, wenn man diese und bereits erhaltene Erleichterungen bei der Berechnung der Schuldentragfähigkeit berücksichtige, genüge ein Primärüberschuss von 1,5% um die Schuldentragfähigkeit zu gewährleisten.

 In der Erklärung verpflichtet sich Athen zu „angemessenen“ Primärüberschüssen „oder“ Finanzeinnahmen (financing proceeds), die ausreichen, Schuldentragfähigkeit herzustellen, wie sie im November 2012 gefordert worden war. Das lässt offen, ob den Wünschen Varoufakis nach Neuberechnung der Tragfähigkeit entsprochen werden wird. Das ganz große Zugeständnis an Athen ist allerdings: „Die Institutionen werden für das Primärüberschuss-Ziel für 2015 die aktuellen wirtschaftlichen Umstände in Betracht ziehen. Weil diese Lage schlecht ist, bedeutet das, dass die nach bisherigem Programm geforderte Erhöhung des Überschusses auf 3% vom Tisch ist.

Diese Einräumung gab es in dem abgelehnten Entwurf vom 16. Februar nicht, sodass weiter von einer Erhöhung des Überschusses auf 3% 2015 und danach auf 4,5% auszugehen war.

 Dauer der Verlängerung: Varoufakis hatte am 11. Februar eine Verlängerung der Vereinbarung um sechs Monate angeregt. Daraus wurden in der Erklärung vier Monate. Warum und wer darauf bestanden hat, ist unbekannt. In dem Erklärungsentwurf vom 16. Februar, den Athen abgelehnt hat, war von einer sechsmonatigen „technischen“ Verlängerung die Rede. 

Was it worth it? Concessions to Greece relative to the rejected draft of 16 February

Was it worth it for Schäuble? What did he gain by blocking Varoufakis’11 February proposal?

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