„Ich verstehe die Griechen“ ist die Überschrift des jüngsten Interviews von EU-Parlamentspäsident Martin Schulz (SPD). Darin mahnt er die Regierung Tsipras, den vielen guten Willen „in Europa“ zu sehen, Griechenland zu helfen. Es werde „anerkannt, dass die kleinen Leute den Preis für die Krise gezahlt haben.“ Nicht ganz klar wird, was Tsipras und seine Griechen davon kaufen können, dass das anerkannt wird. Von seinem Interviewer vom Tagesspiegel musste sich Schulz fragen lassen: „Warum haben Sie
erst mit dieser Regierung „Tacheles“ geredet und nicht schon mit der vorherigen?“ Schulz antwortete: „Ich habe mir in diesem Punkt nichts vorzuwerfen, ich habe mit allen vorherigen Regierungen ebenfalls Klartext gesprochen. Ich war der erste europäische Repräsentant, der in dieser Krise nach Athen gereist ist, und ich habe eine Rede vor dem Parlament gehalten, das war 2012“ und fügt hinzu, er habe sich „mit Forderungen nach einer effizienteren Verwaltung auch in Athen nicht nur Freunde gemacht.“
Da nichts bekannt geworden ist von Schulz’schen Tacheles-Reisen zu den Syriza-Vorgängerregierungen, habe ich mir seine Rede von 2012 in Athen angeschaut, auf die er so stolz ist. Zu Unrecht, wie sich herausstellt. Tacheles sucht man vergebens, dafür sehr viel Freundschaft schon damals. Er habe nichts gegen Griechen, meinte er betonen zu müssen. „Ich persönlich habe viele Freunde hier in Griechenland.“ Und sehr viel Sorge:
„Es schmerzt mich, erleben zu müssen, dass ein Land einstmals begeisterter Pro-Europäer sich jetzt enttäuscht und wütend von der Europäischen Union abwendet. Die Bilder von Menschen, die in ihrer Verzweiflung EU-Flaggen auf den Strassen Athens verbrennen, haben mich tief erschüttert. Dass die europäische Fahne – eigentlich Symbol für Einheit und Frieden, Demokratie und Solidarität – für manche nun zum Symbol für Bevormundung und Eigennutz wurde, muss uns die Augen für die Dramatik hier und in ganz Europa öffnen.“
Und Mitgefühl mit dem kleinen Mann:
„Ich habe auch volles Verständnis für die Menschen, die jetzt auf die Strasse gehen. Menschen, die hart arbeiten; Rentner, denen eine Kürzung nach der anderen zugemutet wird, junge Menschen, die sich um ihre Zukunft betrogen fühlen.“
Noch mehr hatte er aber Hochachtung für die Regierung und die Regierungsparteien, weil sie gegen den Willen r des griechischen Volkes auf Druck der Gläubiger genau das produzierten, was ihm so viel Verständnis für die kleinen Leute abrang:
„Ich bin heute in Athen, um Ihnen, den Vertretern des griechischen Volkes meinen Respekt zu zollen. Wir wissen um Ihre schwere Last, um die schweren Entscheidungen, die Sie in den vergangenen Monaten und Tagen treffen mussten. Als Kollege verstehe ich, wie schwierig es für Politiker ist, Entscheidungen zu treffen, deren Zeithorizont die eigene Wiederwahl übersteigen. Wohl wissend, dass diese Entscheidungen vielleicht den eigenen Sitz im Parlament kosten könnten.“
Den Reichen und Steuerhinterziehern aber redete Schulz ins Gewissen:
„Kein Verständnis habe ich hingegen für jene, die keine Steuern zahlen und ihr Geld außer Landes schaffen – anstatt ihre patriotische Pflicht gegenüber ihren Mitbürgern zu erfüllen. Ich appelliere an die Reichen in diesem Land, etwas von dem zurückzugeben, was dieses Land Ihnen gegeben hat.“
Sie haben nicht auf ihn gehört, aber dafür kann Martin Schulz ja nichts. Die Troika mit ihren „harten aber richtigen Vorgaben“ konnte sich schließlich nicht um alles kümmern, um die Rentenkürzungen, die Entlassungen, die Privatisierungen und dann auch noch darum, dass die Regierungsparteien bei ihren reichen Freunden und Unterstützern Steuern eintreiben. Das wäre dann doch zu viel der Einmischung geworden.
Wer solche elendiglichen Heuchler seine Freunde nennen darf, braucht wirklich keine Feinde mehr.
Martin Schulz bei Titanic:Premiumdenker der Gegenwart (22)