„Sie sprechen beim Thema Mindestlohn immer über die 5 Weisen. Sie sollten korrekterweise von den 4 „Weisen“ sprechen, denn auch 2014 hat sich Bofinger in einem Minderheitenvotum für den Mindestlohn positioniert“, moniert Hartmut Leinweber unter der Überschrift „Gerechtigkeit für Bofinger“ meinen Beitrag „Gegen den Mindestlohn“ aus der Reihe Tricks der Wirtschaftsweisen. In der Tat hat der auf Gewerkschaftsempfehlung
in den Rat berufene Wirtschaftsweise Peter Bofinger am Ende von Kapitel 1 des Jahresgutachtens (Zeilen 77 und 78), in dem der Rat seine (laut Gesetz nicht erlaubten) wirtschaftspolitischen Empfehlungen zusammenfasst, in zwei kurzen Absätzen seine andere Meinung zum Mindestlohn dargelegt. Das separat abrufbare siebte Kapitel, das Mindestlohnkapitel, trägt keinen Distanzierungsvermerkt. Ehrlich gesagt, bin ich, bei allem Respekt vor Professor Bofinger, nicht allzu beeindruckt von diesem Minderheitsvotum. Er widerspricht einerseits der Behauptung der Mehrheit, der Mindestlohn sei ein wirtschaftspolitisches Experiment mit ungewissem Ausgang“. Außerdem erwähnt er verdienstvoller Weise ein wichtiges Detail, das die Mehrheit beharrlich unterdrückt, dass nämlich der „Großteil der empirischen Literatur zu den Beschäftigungseffekten von Mindestlöhnen“ keine oder nur geringe negative Effekte findet. So weit so gut.
Aber offenkundig hatte Bofinger nicht genug Konfliktbereitschaft oder nicht genug Interesse daran, seine vier Ratskollegen davon abzuhalten, ein Kapitel zu schreiben, in dem sie mehrfach die wissenschaftliche Literatur in grob irreführender Weise zitieren, die Studie eines arbeitgeberfinanzierten Instituts plagiieren, Argumente der Mindestlohnbefürworter verballhornen, um sie so abzubürsten, und ihren eigenen Aussagen und Argumenten widersprechen, wenn sich so ein Scheinargument gegen Mindestlöhne drechseln lässt.
Die verlotterten wissenschaftlichen Sitten, die durch so etwas deutlich werden, sind ein klares Zeichen von exzessiven Groupthink. Hier hat niemand Argumente und Quellen auch nur ansatzweise kritisch hinterfragt. Die freundliche Interpretation ist, dass Peter Bofinger sich nicht mehr die Mühe gemacht hat, die alljährlich ähnlich schwach fundierten Tiraden seiner Kollegen gegen den Mindestlohn und allgemein gegen Arbeitnehmerrechte zu lesen und in der Entstehungsphase kritisch zu hinterfragen, sondern sich von vorneherein mit der Gelegenheit begnügt hat, seine bekannte andere Meinung kurz zu konstatieren.
Selbst diese freundliche Interpretation finde ich enttäuschend. Schließlich machen sich die vier anderen Weisen – weil es so wichtig ist – auch jedes Jahr wieder die Mühe, mit immer neuen Tricks so zu tun als hätten sie in Sachen Arbeitsmarktpolitik den ökonomischen Sachverstand auf ihrer Seite. Da erscheint es mir doch übermäßig bequem und konfliktscheu, sich mit zwei Absätzen abweichender Meinung aus der Affäre zu ziehen und die Mehrheit ungehindert ihre unsauberen Tricks und Täuschungsmanöver ausführen zu lassen.
Besonders enttäuschend finde ich, dass Peter Bofinger diese Täuschungsmanöver dann auch noch verteidigt. „Der Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit des aktuellen Jahresgutachtens ist nicht haltbar“, sagte er vor kurzem in einem Zeitungsinterview. Die Ökonomie sei keine Naturwissenschaft mit fest gefügten Gesetzmäßigkeiten, sondern lasse unterschiedliche Interpretationen zu.
Peter Bofinger hat, wie die anderen vier Weisen auch. eine ausführliche Anfrage von Handelsblatt-Redakteur Norbert Häring gesehen, in der eine Vielzahl von Widersprüchlichkeiten, Tricks und Täuschungsmanövern in dem Jahresgutachten aufgeführt waren. Das hat nichts mit legitimen unterschiedlichen Interpretationen empirischer oder theoretischer Evidenz zu tun. Das sind Fehler von der Art, wie sie den erfolgreichen Abschluss eines Volkswirtschaftsstudiums vereiteln würden. Die abgestimmte Antwort des Rats, der er sich Bofinger offenkundig nicht verweigert hat, konnte diese Vorwürfe nicht entkräften und hat stattdessen nur mit weiteren Tricks und Täuschungsmanövern aufgewartet.
Vor die Wahl gestellt, sich von den unwissenschaftlichen Manipulationen seiner neoliberalen Kollegen zu distanzieren, und den Sachverständigenrat dem angehört damit zu entwerten, oder sie zu verteidigen, hat er sich für das Verteidigen entschieden. Das musste er vielleicht, nachdem er in der Entstehungsphase so wenig kritisch nachgefragt hat. Nun ist er mitgefangen und neutralisiert. Schade.