Art.3 Abs.1 Grundgesetz lautet: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.“ Das Gericht sieht den Verstoß darin, dass Menschen ohne Konto, oder genauer: „Beitragspflichtige die nachweislich weder bei privaten noch bei öffentlich-rechtlichen Kreditinstituten ein Girokonto eröffnen können“ pro Überweisung mindestens sechs Euro zusätzlich bezahlen müssen. So viel kostet eine sogenannte Barüberweisung bei der günstigsten Anbieterin, der Postbank.
Bisher gibt es nur die Pressemitteilung des Gerichts ohne ausführliche Begründung. So ist bisher offen, wie der Nachweis zu erbringen ist, dass man kein Konto eröffnen kann.
Damit der Hessische Rundfunk – und die anderen Rundfunkanstalten mit gleichen Satzungen – trotz Rechtswidrigkeit der Beitragssatzung weiterhin Rundfunkgebühren einziehen dürfen, hat das oberste Verwaltungsgericht entschieden, dass die Satzung bis zu einer Neufassung übergangsweise weiter angewendet werden darf. Von denjenigen, die nachweisen, dass sie kein Konto eröffnen können, muss der Rundfunk allerdings ab der Rechtskräfitgkeit des Urteils Bargeld annehmen.
Die Vorgeschichte
Ich hatte ab 2015 auf Barzahlung des Rundfunkbeitrags bestanden, was der Rundfunk ablehnte. Beim Verwaltungsgericht Frankfurt und dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof in Kassel unterlag ich 2016 und 2018. Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig befand bei seiner ersten Befassung mit dem Fall 2019, dass der Barzahlungsausschluss §14 Abs.1 Bundesbankgesetz zuwiderlaufe Denn laut diesem ist Bargeld gesetzliches Zahlungsmittel. Es bat aber den Europäischen Gerichtshof um Klärung der Vereinbarkeit von §14 Abs.1 Bundesbankgesetz mit EU-Recht.
Der Europäische Gerichtshof beschied das 2020 negativ und gab dem Bundesverwaltungsgericht Auslegungshinweise zum europäischen Währungsrecht. Auf dieser Basis urteilten die fünf obersten Verwaltungsrichterinnen und -richter nun.
Der Europäische Gerichtshof hatte mit seinem Beschluss ein Urteil in dieser Richtung nahegelegt. Die 15 Richterinnen und Richter hatten die Festlegung von Euro-Bargeld als gesetzliches Zahlungsmittel in Abweichung vom bisherigen Konsens der Juristen und Ökonomen als eine lediglich „grundsätzliche“ Verpflichtung für hoheitliche Stellen interpretiert, Bargeld zur Begleichung von Steuern und Zwangsabgaben entgegenzunehmen. Gründe des „öffentlichen Interesses“, womit die Europarichter ausschließlich das Behördeninteresse meinen, könnten rechtfertigen, die Annahme von Bargeld zu verweigern, wenn die Zahlungspflichtigen dadurch nicht übermäßig benachteiligt würden.
Als einzige Gruppe, die übermäßig benachteiligt werden könnte, machten die Europarichter diejenigen ohne Konto aus, deren Recht auf „finanzielle Inklusion“ verletzt sein könnte.
Die Leipziger übernahmen diese Sichtweise und setzten noch eins drauf, indem sie die Gruppe der übermäßig Beeinträchtigten auf diejenigen einengten, die „nachweislich“ bei keiner Bank oder Sparkasse ein Konto eröffnen können.
Wie der Nachweis geführt werden kann, dass man allen Banken und Sparkassen mit einem Kontowunsch abgeblitzt ist oder abblitzen würde, geht aus der Pressemitteilung des Gerichts nicht hervor.
Lange Erörterung
Bevor die Richterinnen und Richter zu diesem – abgesehen von der zusätzlichen Verschärfung der Vorgaben aus Luxemburg – erwartbaren und zu befürchtenden Urteil kamen, erörterten sie mit uns und der Gegenseite fast zwei Stunden lang verschiedene weitere Gesichtspunkte unter denen der Bargeldausschluss durch die Rundfunksatzung noch als gesetzwidrig betrachtet werden könnte.
Wie sie jeweils zu dem Ergebnis kamen, dass dies nicht der Fall ist, wird man erst in einigen Wochen wissen, wenn die ausführliche Begründung veröffentlicht wird. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit handelte es sich um folgende Gesichtspunkte:
- Der EuGH sprach „den Mitgliedstaaten“ das Recht zu, im Rahmen der Organisation der öffentlichen Verwaltung Zahlungsmodalitäten einschließlich des Ausschlusses von Bargeld festzulegen. Der Rundfunk und die Bundesländer, die die Satzungen erlassen, sind allerdings keine Mitgliedstaaten der EU.
- Vertragsfreiheit: Diese könnte dadurch eingeschränkt werden, dass man genötigt wird, ein Konto bei einer Bank einzurichten, um den Rundfunkbeitrag bezahlen zu können.
- Schutz des Eigentums: Man wird genötigt bei einem Kreditinstitut ein Giroguthaben zu unterhalten, das im Konkursfalle weg sein könnte.
- Informationelle Selbstbestimmung als wohl wichtigstes betroffenes Grundrecht: Wenn nicht einmal mehr hoheitliche Abgaben mit dem gesetzlichen Zahlungsmittel beglichen werden können, könnte Bargeld schnell gänzlich an den Rand gedrängt werden, sodass man fast alles mit Bankengeld bezahlen muss. Dann würde unser ganzes (finanzielles) Tun und Lassen auf dem Bankkonto und bei den zwischengeschalteten Zahlungsdienstleistern eine Datenspur erzeugen, die noch dazu sehr lange gespeichert wird.
- Öffentliches Interesse: Wir wiesen darauf hin, dass öffentliches Interesse nicht einfach mit Staatsinteresse gleichzusetzen ist.
- Erforderlichkeit: Wir wiesen darauf hin, dass es gut etablierte, günstige Dienstleister gibt, die Massenzahlungen in Form von Bargeld entgegennehmen und an die Adressaten, z.B. Energieversorger, weiterreichen. Das sollte sich auch auf die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der Einschränkung von Grundrechten durch Bargeldausschluss auswirken.
- Andere rechtliche Mittel: Wir wiesen darauf hin, dass der Voraussetzung, dass „andere rechtliche Mittel“ zur Schuldentilgung vorhanden sein müssen, damit Bargeld ausgeschlossen werden darf, eine Definition fehlt, was ein „rechtliches Mittel“ ist.
Ich will hier nicht unnötig den Erörterungsgang ausbreiten. Nur so viel: Während ich nach dem Spruch des EuGH bereits ein Urteil etwa in Richtung des nun ergangenen erwartet hatte, waren wir nach der intensiven Erörterung durch die Richterinnen und Richter doch sehr überrascht über das Urteil.
Wichtig war wohl in Sachen informationelle Selbstbestimmung der Gedankengang, den einer der Richter ausbreitete. Er stellte fest, dass man aus der Datenspur zur Begleichung des Rundfunkbeitrags wenig Relevantes über die Beitragspflichtigen erfahren könne. Das Argument, dass die Erlaubnis oder Nichterlaubnis des Bargeldausschlusses für den Hessischen Rundfunk Grundsatzcharakter haben werde und dann für alle öffentlichen Stellen gelten würde, was dann in der Summe sowohl zur Abschaffung des Bargelds, als auch zu einer maßgeblichen Einschränkung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung führen könnte, überzeugte ihn nicht. Für ihn zählte nur der Einzelfall. Er spekulierte, ein geeigneter Fall, bei dem man das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung mit Aussicht auf Erfolg einklagen könne, sei zum Beispiel der, wenn es künftig einmal eine Plattform für alle staatlichen Dienstleistungen geben sollte, und dann für alle diese Dienstleistungen Barzahlung ausgeschlossen würde.
Das Glück im Unglück
Die Sache könnte aber auch etwas Gutes haben. Nachdem Leipzig nun festgestellt zu haben scheint, dass nachgeordnete Gebietskörperschaften zu den Mitgliedstaaten der EU im Sinne des EuGH-Urteils gehören, müsste das auch für ein anderes Regelungsrecht gelten, das der EuGH den Mitgliedstaaten zugesprochen hat. Er hatte festgestellt, dass es diesen erlaubt sei, ihre Verwaltungen zu verpflichten Bargeld anzunehmen.
Das bedeutet, dass alle Politiker jedweder Ebene, die behaupten, Freunde des Bargelds zu sein, beim Wort genommen werden können. Jede Ebene hat die Möglichkeit, alle eigenen und alle nachgeordneten Verwaltungen zur Bargeldannahme zu verpflichten. Jeder Gemeinderat sollte das also beschließen können. Jedes Landesparlament kann eine solche Verordnung für alle Landesbehörden und alle kommunalen Behörden beschließen. Der Bund kann es für alle deutschen Behörden und Rundfunkanstalten beschließen. Darauf sollte unser Druck nun zielen, auf kommunaler Ebene, auf Landesebene und auf Bundesebene.