Frankfurt bleibt stabil und zeigt klare Kante gegen Rechts

10. 02. 2022 | Update 14.2. | Der DGB in der Region Frankfurt am Main hat vor sieben Tagen die im Titel bezeichnete Petition gegen Corona-Spaziergänge in Frankfurt gestartet. Die sehr gut gemeinte Petition hängt etwas in den Seilen. Sie braucht Unterstützung von allen Seiten. Ich will gern mein Scherflein beitragen.

Auf Open Petition wurde die Petition „Frankfurter Erklärung: Solidarität und Zusammenhalt in der Coronakrise – klare Kante gegen Rechts“ mit Datum 3.2.2022 freigeschaltet. Das recht bescheidene Petitionsziel sind 4000 Unterschriften. Dafür gibt man sich stolze sechs Monate Zeit. Das könnte auch nötig sein, sind doch nach einer Woche erst rund 350 Unterschriften zusammengekommen.

Zum Vergleich, an den wöchentlichen angemeldeten Samstagsdemos in Frankfurt (nicht Spaziergänge) nahmen zuletzt jeweils um die 10.000 Menschen teil. Die Beteiligung an Gegenkundgebungen bewegt sich dagegen im homöopathischen Bereich. Der Gegner ist also mächtig. Es besteht die Gefahr, dass etwaige Unentschlossene eher die Demonstranten und ihre Botschaften mitbekommen als die mäßig ambitionierte Frankfurter Erklärung.

Des weiteren besteht die Gefahr, dass die Argumentation nicht überzeugt. Deshalb hier ein paar freundliche Hinweise auf Schwachstellen, die man vielleicht bei dieser oder der nächsten Petition noch ausmerzen könnte.

„Beschreibung
Die Coronapandemie stellt uns vor große Herausforderungen. Besonders die Menschen, die in Kranken- und Pflegeberufen, aber auch in vielen anderen systemrelevanten Berufen oder im Ehrenamt arbeiten, leisten Enormes – bis an die Grenzen der Erschöpfung. Vor diesem Hintergrund ist weiterhin vorsichtiges und solidarisches Handeln jede*s Einzelnen* notwendig, damit die Krankenstationen und damit die Beschäftigten nicht durch unvorsichtiges oder sogar vorsätzliches Handeln weiter belastet werden. Zusammenhalt, Solidarität, Achtsamkeit, Vorsicht und Geduld sind weiterhin das Gebot der Stunde. Impfen ist der Weg, der uns aus der Pandemie hilft.

So sehr viele sind nach bis zu vier Impfungen in gut einem Jahr nicht mehr davon überzeugt, dass mehr Impfungen einen Weg aus der Pandemie weisen werden. Dieses Argument aus der Anfangszeit der Impfkampagne sollte nachgeschärft werden.

„Es ist klar, dass jede Coronamaßnahme auch weiterhin diskutiert werden kann und kritisch hinterfragt werden darf. Das geschieht auch tagtäglich in unseren Parlamenten auf allen Ebenen. Dies gehört zu den Grundsätzen unserer Demokratie.

Dürfen politische Maßnahmen tatsächlich nur noch in den Parlamenten legitimer Weise kritisch hinterfragt werden?

„Das Demonstrationsrecht und das Recht auf Meinungsfreiheit sind grundgesetzlich verbriefte hohe Güter, die selbstverständlich auch in Pandemiezeiten gelten, daher ist es falsch, wenn von sogenannten Spaziergänger*innen das Bild der Bundesrepublik Deutschland als Diktatur gezeichnet wird. In einer Diktatur wären diese sogenannten Spaziergänge schlicht nicht möglich bzw. die Menschen, die daran teilnehmen würden, wären Repressionen und Verfolgung ausgesetzt.“

Diese Argumentation ist etwas heikel, werden doch zum Beispiel in München Proteste gegen die Corona-Maßnahmen verboten und Teilnehmer mit 5000 Euro Strafe bedroht. In Stuttgart, Ostfildern und Ulm wurden Demonstrationen ebenfalls per Allgemeinverfügung verboten oder mit FFP2-Maskenpflicht belegt und Zuwiderhandelnden ausdrücklich unmittelbarer Zwang bis hin zum Waffeneinsatz angedroht. Wir wollen ja nicht Kritikern Argumente für die These liefern, Deutschland sei keine lupenreine Demokratie mehr.

„Wir, die Unterzeichnenden, verurteilen, dass es im Zuge der Demonstrationen der Coronaleugner*innen zu antisemitischer Hetze, Holocaustleugnung und -verharmlosung gekommen ist. Dies ist unerträglich und widerspricht unserem demokratischen Grundkonsens.“

Das ist in der Tat verdammenswert, wenn das vorgekommen ist. Zweifler könnten allerdings fragen, ob der DGB und die Unterzeichneten mit diesem Argument auch Fußballspiele oder Zuschauer bei Fußballspielen verbieten möchten. Dort kommen rassistische, rechtsradikale und antisemitische Vorfälle ebenfalls vor, sogar besser dokumentiert als bei Corona-Protesten.

„Wir stellen fest, dass bei den Demonstrationen der Coronaleugner*innen auch Rechtsextreme*, Rechte* und Feind*innen unserer Verfassung teilnehmen. Wer an diesen Demonstrationen trotzdem weiterhin teilnimmt, sollte sich bewusst sein mit wem er oder sie dort zusammen demonstriert.“

Manche mögen meinen Beitrag über den Video-Bericht des Hessischen Rundfunks über die Corona-Demo in Frankfurt am letzten Samstag gelesen haben und deshalb einen Beleg für die behauptete rechtsradikale Unterwanderung erwarten. Dort konnten die Journalisten beim besten Willen nichts Rechtsradikales oder Antisemitisches hören oder sehen und mussten deshalb Zuflucht zu dem Satz nehmen „Mutmaßlich sollen auch wieder Mitglieder des rechten Spektrums unter den Demonstranten sein.“ Der Eine oder die Andere mögen sich fragen, wie sie es denn ohne gänzliche Aufgabe ihres Demonstrationsrechts vermeiden können, sich mit Nazis gemein zu machen, wenn schon die theoretische Möglichkeit, dass sich irgendwelche Rechte unter den Demonstranten verbergen und sich nicht zu erkennen geben, zu schwerster Kontaktschuld führt.

Was Rechte* sind, wird darüber hinaus nicht ganz klar. Steht es für Rechte und Rechtinnnen?

„Wer Fragen zur Impfung hat und über Coronaregeln diskutieren will, hat unser Verständnis, wer die Coronapolitik und die Kritik daran als Vehikel nutzt, um krude Verschwörungsmythen, Hass und Hetze zu verbreiten oder unsere Demokratie versucht verächtlich zu machen hat kein Verständnis verdient. Wir rufen daher dazu auf, sich gemeinsam mit uns für den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft einzusetzen, den Menschen, die ehrenamtlich und in unterschiedlichsten Berufen für uns da sind, den Rücken zu stärken und sich nicht an den sogenannten Spaziergängen der Coronaleugner*innen zu beteiligen. Frankfurt ist eine weltoffene Stadt und soll es bleiben.“

Wenn die Zielrichtung dahin geht, Menschen vom Mitgehen bei angemeldeten Corona-Demos abzuhalten, sind die Formulierungen suboptimal. In Frankfurt finden derzeit fast nur noch angemeldete Aufzüge statt, keine unangemeldeten oder gar verbotenen „Spaziergänge“.

Da weder die Organisatoren noch die allermeisten Teilnehmer Corona leugnen, könnten die Menschen meinen, deren Demonstrationen gegen Impfpflicht etc. seien nicht gemeint. Der erste Satz ist riskant. Er könnte als Heuchelei aufgefasst werden, werden doch im Folgenden und zuvor ausnahmslos alle Demonstrationen gegen bestehende oder geplante Corona-Maßnahmen als Hass und Hetze gebrandmarkt und sonstige Diskussion in die Parlamente als einzigem legitimen Ort verwiesen.

Nachtrag (11.2.): Heute Früh sind es immerhin schon rund 600 Unterschriften. Weiter so, dann wird das noch was mit dem offenbar heute Morgen auf 10.000 erhöhten Sammelziel! (Vielleicht nicht zufällig ist das die von mir genannte Zahl der geschätzten Teilnehmer der samstäglichen Demonstrationen in Frankfurt gegen die Corona-Willkür.)

Nachtrag (14.2.): Pöbelnde Maßnahmenliebhaber

Der Pro- und Contra-Bereich (runterscrollen) der Petition ist symptomatisch für den Realitätsverlust derer, die nicht einmal mehr sehen, wer hier wem vorschreibt, wie sie zu leben haben. Es gibt bisher lediglich einen veröffentlichten Pro-Kommentar, aber mehrere, die wegen Verstoßes gegen die Nettiquette versteckt wurden. Auf der Contra-Seite gibt es mehr Kommentare aber keine Verstöße gegen die Nettiquette. Passt nicht wirklich zum Tenor der Petition.

Hier der Pro-Kommentar, unkommentiert, weil er sich selbst entlarvt:

„Diese Petition ist deshalb unterstützenswert, weil sie zeigt, dass diejenigen, die unsere friedliche Gesellschaft in Frage stellen wollen, eine kleine Minderheit sind, von der wir uns nicht vorschreiben lassen, wie wir leben und von der wir uns nicht in Gefahr für Leib und Leben bringen lassen wollen. Wir brauchen keine despotische Minderheit, die nicht begreift, dass wir zum Glück in einem Staat leben, für den Pluralismus unantastbar und Egomanie nicht wünschenswert ist“

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