_____________________________________________________________
Ergänzung und Änderungshinweis (8.2.): Das Innenministerium in Stuttgart hat heute verspätet auf meine Anfrage geantwortet und dementiert, dass die Gewaltandrohungen in städtischen Allgemeinverfügungen auf eine Anregung des Ministeriums zurückgehen. Im Wortlaut:
„Die zuständigen Behörden treffen die erforderlichen Maßnahmen unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalls grundsätzlich in eigener Verantwortlichkeit. Das Innenministerium hat die Versammlungsbehörden in einem Schreiben darüber informiert, welche spezifischen Anforderungen die Rechtsprechung an den Erlass von Versammlungsverboten in Form von Allgemeinverfügungen stellt. Die Androhung unmittelbaren Zwangs betrifft hingegen die Vollstreckung von Verwaltungsakten, zu denen auch Allgemeinverfügungen zählen. Hierzu erfolgten weder entsprechende Absprachen noch Ausführungen in dem Informationsschreiben.“
Ich habe deshalb die Überschrift dieses Beitrags geändert. Den Rest des Beitrags lasse ich im Interesse der Transparenz unverändert. Auf meine Frage, wie das Ministerium zu der ausdrücklichen Waffenandrohung in den Allgemeinverfügungen der Städte steht, antwortete das Ministerium nicht. Keine Antwort ist auch eine Antwort.
_______________________________________________________________
Wenn jemand vor zwei Jahren gesagt hätte, die Stadt Ulm und das zuständige Polizeipräsidium würden Anfang 2022 eine Presseerklärung herausgeben, in der sie versichern, dass die Polizei nicht auf Menschen schießen werde, die in der Innenstadt keine oder eine falsche Gesichtsmaske aufziehen, wäre er sicherlich für verrückt oder paranoid erklärt worden. Und doch ist es geschehen, ähnlich wie zuvor schon in Ostfildern. Die Städte hatten in Ihren Maskenpflicht- oder Spaziergangsverbots-Verfügungen ausdrücklich mit unmittelbarem Zwang bis hin zum Waffeneinsatz gedroht und letzteren auch gleich für verhältnismäßig erklärt.
Dass es soweit gekommen ist, dafür dürfen sich die beiden Städte wahrscheinlich beim baden-württembergischen Innenminister Thomas Strobl bedanken, einem Schwiegersohn von Wolfgang Schäuble mit durchaus engem Verhältnis zu Waffen. Als Jura-Student in Heilbronn schloss sich Strobl der schlagenden Studentenverbindung Alte Leipziger Landsmannschaft Afrania an, wovon eine tiefe Narbe an seiner linken Wange bis heute kündet. Christine Strobl (geborene Schäuble) ist seit Mai 2021 Programmdirektorin des ARD-Gemeinschaftsprogramms Das Erste.
Hilfreiches aus dem Ministerium
In einem Schreiben „an die Kommunalen Spitzenverbände mit der Bitte um Weiterleitung an die Städte und Gemeinden“ vom 2.2.2022 zur „Versammlungslage in Baden-Württemberg“, das mir zugespielt wurde, räumt Minister Strobl ein, dass die Spaziergänge in der Regel friedlich und störungsfrei verliefen. Auch mir berichten Augenzeugen aus Baden-Württemberg, die Polizei habe viel mehr Ärger mit Gegendemonstranten, die sich teilweise nicht an Auflagen halten und aggressiv werden. Trotzdem fährt Strobl einpeitschend fort:
„Klar ist eben auch: Die Durchführung einer nicht angemeldeten oder vollziehbar verbotenen Versammlung, stellt für den Leiter einer solchen Versammlung eine Straftat dar und wird als solche geahndet. Wer an einer vollziehbar verbotenen Versammlung teilnimmt, begeht eine Ordnungswidrigkeit, die mit zu bis 500 Euro Bußgeld geahndet werden kann. Und unsere Polizei steht dabei nicht tatenlos am Straßenrand, sondern setzt neutral und unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes den Rechtsstaat durch. Es freut mich sehr, dass es mancherorts eine beispielhafte beschleunigte Arbeit bei Bußgeldstellen, Widerspruchbehörden und Justiz gibt.“
Strobl wirbt für seine Hilfestellungen für Kommunen beim Durchgreifen:
„Mein Haus stellt allen Städten und Gemeinden regelmäßig Handreichungen und rechtliche Informationen rund um das Versammlungsrecht und aktuelle Rechtsprechung zur Verfügung. Wir stehen den Kommunen sehr gerne mit unserer Expertise in diesen Fragen zur Seite.“
Das reicht bis hin zu antidemokratischen Argumentationshilfen, mit denen er nicht nur die Methoden, sondern auch das Anliegen der Protestierenden delegitimiert. Strobl schreibt:
„Die nunmehr seit Wochen zunehmend dynamische Versammlungslage fordert unsere Polizistinnen und Polizisten, die Verantwortungsträgerinnen und Verantwortungsträger der Städte und Gemeinden vor Ort und freilich nicht zuletzt die große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger, die die infektionsschützenden Maßnahmen des Landes unterstützen und mittragen, ungemein. Wir alle sehnen uns nach einem Ende der Pandemie. Gleichwohl stehen wir zusammen, halten wir zusammen und tun, was nötig ist, um den Weg aus der Pandemie konsequent zu beschreiten. Daran ändert auch eine kleine, aber laute Minderheit nichts, die sich nicht an die Regeln hält, die Versammlungen nicht anmeldet und bei angeblichen Spaziergängen die Behörden austricksen will. Wir sehen auch, wie rechtsextreme Gruppen und Verschwörungsideologen versuchen, das Demonstrationsgeschehen zu instrumentalisieren, wie Menschen, die völlig legitim ihre Meinung zum Ausdruck bringen, beeinflusst und für eigene Zwecke missbraucht werden sollen.“
Auch den Grund für Strobls offenkundige Nervosität findet man in dem Rundschreiben:
„Allein am Montag (24. Januar 2022) nahmen an 355 Versammlungen rund 74.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer teil, im Vergleich zu der bisher stärksten Demonstration am 17. Januar 2022 eine Zunahme um 29 Versammlungen und rund 10.000 Teilnehmenden. Die regionalen Polizeipräsidien setzten zur Lagebewältigung bei den Versammlungen rund 3.200 Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte, davon 635 Kräfte des Polizeipräsidiums Einsatz, ein.“
Weil die Gewaltdrohung in Allgemeinverfügungen nur in Baden-Württemberg verbreitet vorkommt – in anderen Bundesländern habe ich das nicht gefunden und offenbar auch meine Leser nicht -, und weil sich die von den Städten verwendeten Formulierungen und Argumentationen sehr stark gleichen, liegt der Verdacht nahe, dass die von Strobl angepriesenen Formulierungshilfen seines Ministeriums hinter der schwäbischen Spezialität der Gewaltandrohung stehen.
Das eine Stuttgart schweigt, das andere mauert
Ich habe das Innenministerium in Stuttgart mit Bitte um Antwort bis heute gefragt, ob dem so ist. Eine Antwort blieb bisher aus. Sollte noch eine Stellungnahme eintreffen, werde ich sie nachreichen und in den Ticker-Meldungen darauf verweisen.
Immerhin bleiben die Städte, welche hochpeinliche Presseerklärungen zum Waffenverzicht veröffentlichen mussten, nicht ohne einen Adressaten für etwaige Danksagungen. Strobl schließt sein Schreiben mit dem Satz: „Wenn Sie Bedarf haben, kommen Sie gerne auf mich persönlich als Ihren ‚Kommunalminister‘ zu.“
Von Stuttgart, das Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) „mit Mut, Liebe (!) und Beharrlichkeit zum leuchtenden Stern des deutschen Südens machen“ will, steht eine Waffengewaltsverzichtserklärung noch aus. Das ist insofern bedauerlich, als die Gewaltexzesse der Polizei gegen Demonstranten gegen Stutgart 21 noch in Erinnerung sind. Es entbehrt nicht einer traurigen Ironie, dass diese Exzesse den Grünen Winfried Kretschmann mit an die Macht gebracht haben, der sich mit seinem besonders harten Corona-Regime den Beinamen Winfried der Schreckliche redlich verdient und der ganz nebenbei Stutgart 21 trotz aller Brandschutzprobleme und extremen Kostenüberschreitungen weiterbauen lässt.
Nachtrag (22:20 Uhr): Waffennärrische Südwest-Medien
Ein Leser hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass der Südwestrundfunk schon im März 2020 sein Publikum wissen ließ, dass man als quarantänebrüchiger Mensch auch erschossen werden dürfe. Im O-Ton:
„Was passiert, wenn ein Infizierter das Haus verlässt?
Gelingt dem Infizierten dennoch die Flucht, darf die zuständige Behörde diesen im Rahmen des Verwaltungszwangs mit Gewalt wieder in Gewahrsam nehmen und in Quarantäne unterbringen. Als letzte Möglichkeit dürfte sogar von der Schusswaffe Gebrauch gemacht werden, denn die Ansteckungsgefahr für eine Vielzahl von Personen wäre so hoch, dass zur Verhinderung der weiteren Ausbreitung geboten sein kann, flüchtige Patienten unschädlich zu machen.
Ergänzung und Änderungshinweis (8.2.): Das Innenministerium in Stuttgart hat heute verspätet auf meine Anfrage geantwortet und dementiert, dass die Gewaltandrohungen in städtischen Allgemeinverfügungen auf eine Anregung des Ministeriums zurückgehen. Im Wortlaut:
„Die zuständigen Behörden treffen die erforderlichen Maßnahmen unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalls grundsätzlich in eigener Verantwortlichkeit. Das Innenministerium hat die Versammlungsbehörden in einem Schreiben darüber informiert, welche spezifischen Anforderungen die Rechtsprechung an den Erlass von Versammlungsverboten in Form von Allgemeinverfügungen stellt. Die Androhung unmittelbaren Zwangs betrifft hingegen die Vollstreckung von Verwaltungsakten, zu denen auch Allgemeinverfügungen zählen. Hierzu erfolgten weder entsprechende Absprachen noch Ausführungen in dem Informationsschreiben.“
Ich habe deshalb die Überschrift dieses Beitrags geändert. Den Rest des Beitrags lasse ich im Interesse der Transparenz unverändert. Auf meine Frage, wie das Ministerium zu der ausdrücklichen Waffenandrohung in den Allgemeinverfügungen der Städte steht, antwortete das Ministerium nicht. Keine Antwort ist auch eine Antwort.
Mehr
Drohung mit Waffengewalt scheint eine (verbreitete) schwäbische Spezialität zu sein
Ulm droht unmaskierten Spaziergängern mit Waffengewalt
Polizeipräsidium Reutlingen stellt klar: Spaziergänger werden auch in Ostfildern nicht erschossen
Schwäbische Stadt Ostfildern droht Spaziergängern mit Waffengewalt