Tagesschau.de berichtete am 3. Mai, „knapp eine Woche nach einer umstrittenen Islamisten-Demonstration in Hamburg“, über eine nicht abreißende Debatte um mögliche Konsequenzen, die „den Druck auf Bundesinnenministerin Nancy Faeser“ erhöhe.
Man las in der Mitte des Beitrags in der ursprünglichen Version „Stand: 03.05.2024 11:03 Uhr“ (Fettung durch mich):
„Eine weitere Forderung aus den Reihen der CDU bezieht sich auf die Versuche der Organisatoren der umstrittenen Demonstration, Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu „Allahu Akbar“-Rufen („Gott ist groß“) zu animieren und das Kalifat als die Lösung gesellschaftlicher Probleme darzustellen. Allerdings bezog sich diese Aussage nur auf islamische Staaten. (…) „Forderungen nach einem Kalifat in Deutschland, auf die Straße getragener Hass und Hetze sind absolut inakzeptabel“, betonte Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident und CDU-Politiker Hendrik Wüst im „stern“. Faeser solle „die Organisationen, die hinter solchen Kalifats-Fantasien stecken, endlich verbieten“.
Der mit „Allerdings“ beginnende Satz kommt als korrigierender Faktencheck daher. Durch diesen wird der CDU-Forderung nach einem Verbot von „Forderungen nach einem Kalifat in Deutschland“ (scheinbar) der Boden entzogen.
Ein Autor des Textes ist nicht angegeben. Es folgt auch keine Quelle oder Begründung für die Behauptung, die Forderung habe sich nur auf islamische Staaten bezogen.
Der zitierte Ursprungstext stammt aus der ersten vom Internetarchiv Wayback-Machine archivierten Version der Seite um 9:23GMT/11:23 MESZ. Zwischen 12:02 Uhr und 14:05 Uhr wurde der Text ohne Hinweis und ohne Aktualisierung der Versionsangabe (weiterhin „Stand: 03.05.2024 11:03 Uhr“) geändert. Der fragliche Satz lautet seither:
„Allerdings bezog sich die Kalifats-Forderung angeblich nur auf islamische Staaten, nicht auf Deutschland.“
Es ist ein etablierter Grundsatz guten Journalismus, dass man wesentliche Änderungen im Text kenntlich macht. Wenn das unterbleibt und sogar explizit behauptet wird, es handele sich noch um den ursprünglichen Stand des Artikels, wird das Publikum aktiv getäuscht, mutmaßlich um nicht offenzulegen, dass gepfuscht wurde.
Auch in der neuen Version wird keine Quelle für die nun geänderte Behauptung angegeben. Es bleibt offen, wer angegeben hat, dass die Forderung sich nur auf islamische Staaten bezog. Hätte man transparent gemacht, dass man den Text geändert hat, wäre man kaum umhin gekommen, etwas über die Quelle der alten und neuen Behauptung zu sagen. Vielleicht konnte man das nicht.
Quelle der Fehlleistung ist wieder einmal die regierungsfreundliche und von der Regierung subventionierte Nachrichtenagentur dpa. Bei Zeit Online und bei ntv.de findet man Artikel mit weitgehend gleichem Inhalt und gleichen Protagonisten wie bei Tagesschau.de. Bei Zeit Online und wortgleich bei ntv.de heißt es immer noch, wie im Ursprungstext vom 3. Mai:
„Die mehr als 1000 Teilnehmer hatten eine angeblich islamfeindliche Politik und Medienberichterstattung in aggressiver Form angeprangert. Außerdem wurde ein Kalifat als Lösung gesellschaftlicher Probleme gefordert – wenn auch nur für islamische Staaten.“
Mit der Offenlegung, dass man sich im wesentlichen bei einem Agenturtext bedient hat, ist Zeit Online (ebenso wie ntv.de) seriöser als die Tagesschau. Im Abspann heißt es: „Quelle: ZEIT ONLINE, dpa, kj„. Das bedeutet, dass ein Zeit-Online-Journalistin mit Kürzel „kj“ einen dpa-Text zur Grundlage genommen und ergänzt, sowie eventuell etwas umformuliert hat.
Mit seriösem Journalismus hat diese Art der Berichterstattung durch dpa nur den Anschein gemein, ebenso das, was die Tagesschau damit angestellt hat. In etwas geringerem Maße trifft die Kritik auch Zeit-Online und ntv.de, die manipulative Aussagen ohne Quellenangabe (mutmaßlich Einflüsterer aus dem Heimatministerium Faesers) nicht ungeprüft übernehmen sollten, auch und gerade nicht von der nur vermeintlich seriösen dpa.
In einem langen Korrespondentenbeitrag der Schweizer NZZ vom 4. Mai steht übrigens nichts davon, dass die Kalifatsforderung sich nur auf islamische Länder bezogen habe.
Südkorea täglich vom Norden beschossen?
Ein Beitrag vom 2. Mai auf Tagesschau.de harrt noch der Korrektur. Es geht um eine südkoreanische Insel, die sehr nahe an Nordkorea liegt. Im Vorspann heißt es:
„Auf der südkoreanischen Inselgruppe Yeongpyeong erleben die Menschen unmittelbar, wie oft Nordkorea das Nachbarland provoziert. Drei Kilometer trennen die Inseln vom Norden. Wie lebt man dort mit dem fast täglichen Beschuss?“
Das klingt, als wären die beiden Länder in ständige Grenzgefechte verwickelt. Im Beitrag der an dem Unsinn wahrscheinlich unschuldigen Japan-Korrespondentin Kathrin Erlmann ist aber nur die Rede von einem Vorfall Anfang Januar, als 200 Artilleriegranaten in einer Pufferzone eingeschlagen seien und davon, dass eine Bewohnerin der Insel die Gefahr nicht größer einschätze als anderswo in Südkorea. Der einzige weitere erwähnte Vorfall stammt aus dem Jahr 2010, als Artilleriefeuer mehrere Häuser in Brand gesetzt hätten und vier Menschen gestorben seien.
Täglicher Beschuss und Beschuss alle 14 Jahre ist ein gewaltiger Unterschied.
Fazit
Die Propagandamacht der dpa und der versteckte Einfluss der Regierung auf diese Macht sind eine Gefahr für die Demokratie. ARD und ZDF dürfen das, was die dpa behauptet, nicht mehr automatisch als korrekt und unhinterfragt berichtenswert einstufen. Sie bekommen genug Geld von uns, dass wir daraus den Anspruch ableiten können, dass sie Agenturnachrichten auf Plausibilität und Einhaltung journalistischer Standards prüfen, bevor sie diese weiterverbreiten. Dass die Tagesschau Agenturtexte abdruckt, ohne dies offenzulegen ist auch nicht sauber. Denn die Absicht dahinter dürfte sein, zu verschleiern, dass man trotz der fürstlichen Rundfunkbeitragseinnahmen einen großen Teil seiner Nachrichten einfach von einer Nachrichtenagentur übernimmt.
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Video zu Hintergründen der Millionensubvention für die dpa
24. 03. 2024 | Intersubjektiv hat ein neues Aufklärungsvideo erstellt. Viel Spaß beim anschauen. Gern weiterverbreiten.|