So schlampig und unseriös hat die ARD bei der Kampfschrift gegen BSW gearbeitet

1. 08. 2024 | In einer am 30. Juli veröffentlichten Kampfschrift gegen das Bündnis Sahra Wagenknecht unterschlug der Autor der ARD bei einer von ihm angeblich enttarnten Falschbehauptung von Wagenknecht, dass deren Quelle die Bundesregierung war. Er unterstellte ihr außerdem eine Behauptung, die sie so nicht getätigt hatte. Beides wurde eineinhalb Tage später, entgegen grundlegender journalistischer Verfahrensregeln, stillschweigend geändert.

Ich hatte berichtet, dass die ARD mit einer als Faktencheck getarnten Kampfschrift (aktuelle Version) gegen das BSW den letzten Anschein parteipolitischer Unabhängigkeit aufgegeben hat. Nun stellt sich auch noch heraus, dass in dem Stück unterschlagen wurde, dass eine angebliche Falschbehauptung Wagenknechts – wenn überhaupt – eine Falschbehauptung der Bundesregierung war. An anderer Stelle wurde eine Aussage Wagenknechts sinnentstellend verkürzt.

In der Version des Beitrags „Bündnis Sahra Wagenknecht: Auf Linie mit der russischen Propaganda“ von Pascal Siggelkow vom 30.7., 8:59 Uhr hieß es:

„Ebenfalls bei einer Polittalkshow hatte Wagenknecht behauptet, dass der deutsche Rüstungshaushalt bei 90 Milliarden Euro liege. Auch das ist nicht richtig. Der Verteidigungshaushalt für das laufende Jahr liegt regulär bei 51,95 Milliarden Euro, hinzu kommen 19,8 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen für die Beschaffung von militärischer Ausrüstung. Das macht insgesamt knapp 72 Milliarden Euro.“

Über diese Version hatte ich berichtet. Doch die Version vom 31.7., 18:16 Uhr enthält eine Ergänzung, die das ganze in einem völlig anderen Licht erscheinen lässt, nämlich:

„Zwar gab die Bundesregierung gegenüber der NATO an, für Verteidigung und Sicherheit insgesamt 90,6 Milliarden Euro auszugeben, behilft sich dabei allerdings mit Rechentricks: So sollen unter anderem auch Zinsen für Rentenzahlungen oder Entwicklungshilfeausgaben mit einberechnet sein.“

Man darf dem Autor des Stücks, dem berüchtigten Faktenerfinder Pascal Siggelkow, zugute halten, dass er aufgrund ungenügender Kompetenz und Recherchearbeit den wichtigen Hinweis auf die Quelle der 90 Milliarden Euro vielleicht nicht absichtlich unterschlagen hat. Er beschränkt seine Recherchen regelmäßig auf die Befragung von passend ausgewählten Experten. Aber dass die ARD-Redaktion die Ergänzung, welche die Person entlastet, die man zuvor auf Basis unvollständiger Informationen (zu) scharf kritisiert hat, eineinhalb Tage später stillschweigend in den Artikel einfügt, widerspricht allen Regeln des Anstands und des Journalismus.

Einen Beweis seiner oft ausbaufähigen Faktentreue lieferte Siggelkow in der Ursprungsversion mit dem Satz:

„So suggerierte Wagenknecht beim ZDF-Polittalk von Maybrit Illner, das Kiewer Krankenhaus Ochmadyt sei nicht von einer russischen Rakete abgeschossen worden, sondern mutmaßlich von einer ukrainischen Flugabwehrrakete.“

Abgesehen davon, dass Fluggeräte abgeschossen werden können, aber nicht Krankenhäuser, enthielt der Satz auch einen inhaltlichen Fehler. Auch diesen Fehler in der Kampfschrift gegen das BSW korrigierte die Redaktion eineinhalb Tage später auf verschleiernde Weise, indem sie den Satz stillschweigend änderte zu:

“ … sondern mutmaßlich von Trümmerteilen einer ukrainischen Flugabwehrrakete getroffen worden.“

Es macht aber einen hinreichend großen Unterschied, ob man der Ukraine unterstellt, eine Rakete absichtlich oder versehentlich in ein Kinderkrankenhaus gesteuert zu haben, oder ob man davon ausgeht, dass nach Abschuss eines russischen Flugobjekts Trümmerteile der Abwehrrakete das Krankenhaus getroffen haben. Ein Hinweis auf die Korrektur wäre daher unbedingt nötig gewesen.

In Anbetracht der Heftigkeit der Vorwürfe wäre selbst ein Änderungshinweis am Ende des Stücks eigentlich zu wenig, denn ein solches Stück wird nach eineinhalb Tagen kaum noch gelesen. Eigentlich wäre ein expliziter Korrekturhinweis in einem neuen Stück erforderlich.

Nachtrag (19.30 Uhr): Pressekodex

Einer der Grundsätze des Pressekodex des Deutschen Presserats lautet (kursive Hervorhebung von mir):

„Ziffer 3 – Richtigstellung
Veröffentlichte Nachrichten oder Behauptungen, insbesondere personenbezogener Art, die sich nachträglich als falsch erweisen, hat das Publikationsorgan, das sie gebracht hat, unverzüglich von sich aus in angemessener Weise richtig zu stellen.

Richtlinie 3.1 – Anforderungen
(1) Für den Leser muss erkennbar sein, dass die vorangegangene Meldung ganz oder zum Teil unrichtig war. Deshalb nimmt eine Richtigstellung bei der Wiedergabe des korrekten Sachverhalts auf die vorangegangene Falschmeldung Bezug. Der wahre Sachverhalt wird geschildert, auch dann, wenn der Irrtum bereits in anderer Weise in der Öffentlichkeit eingestanden worden ist.

(2) Bei Online-Veröffentlichungen wird eine Richtigstellung mit dem ursprünglichen Beitrag verbunden. Erfolgt sie in dem Beitrag selbst, so wird dies kenntlich gemacht.“

Dank: Den Hinweis auf die stillschweigenden Änderungen verdanke ich Maren Müller von der Initiative Ständige Publikumskonferenz. Sie hat eine Programmbeschwerde gegen den Artikel und seine stillschweigende Änderung beim NDR eingereicht. 

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