Ein interessanter Klimabericht aus dem Jahr 1911

19. 08. 2023 | Ohne viel damit aussagen zu wollen, nur um eine etwas längerfristige Perspektive anzubieten, möchte ich in Auszügen einen 1911 in Reclams Universum Weltrundschau erschienenen Bericht über das damalige Hitzejahr und seine Einordnung in längerfristige meteorologische Gegebenheiten wiedergeben.

Die Langfassung des nachfolgenden historischen Textauszugs fand ich auf Lokalgeschichte.de, einer Netzseite, die viele Kleinode enthält.

„Unterzieht man die Temperaturverhältnisse der letzten Monate einer kritischen Betrachtung, so waren diese absolut betrachtet, nicht in dem Sinne abnorm, daß neue Hitzerekorde in Deutschland, überhaupt in Mitteleuropa erreicht worden waren. Wohl hat die Temperatur an einer Reihe von deutschen Orten während der verflossenen Hundstage 35 – 37½° im Schatten erreicht, aber das ist auch in früheren Jahren schon dagewesen, ja, diese hohen Temperaturwerte sind innerhalb der Grenzen des Deutschen Reiches vor noch nicht allzulanger Zeit, im heißen August des Jahres 1892, schon überschritten worden, und selbst die absolute Maximaltemperatur dieses Sommers, die am 28. Juli 1911 zu Chemnitz mit 40° im Schatten erreicht wurde, stellt noch keinen Rekord dar, da am 18. August 1892 zu Reichenhall das Thermometer sogar bis auf 41½° gestiegen war.

Auffälliger und bemerkenswerter, als die immerhin ungemein hohen Maximaltemperaturen des letzten Sommers waren, erscheint neben der langen Dauer der fast vierwöchigen Hitzeperiode der Hundstage die Tendenz zu heiterem, trockenem und daher auch warmem Wetter, die seit dem Beginn des Frühjahrs bereits bestand und die nach kurzen Rückschlägen zu Regen und Kühle immer von neuem zum Durchbruch kam. Diese Tendenz zu trockenem und heißem Hochdruckwetter, die auch nach Beendigung der Haupthitzeperiode noch andauerte, hat sich bis an die Schwelle des Herbstes, tief in den September hinein, erhalten; kamen doch am 8. September zu Frankfurt a.M. und Dresden noch 35°, am 8. zu Aachen und Kleve 34° zur Registrierung, und sogar am 13. brachten es zahlreiche Orte noch auf 30-31° Wärme, eine Temperatur, die während der vier verflossenen kühlen Jahre an manchen Orten während des ganzen Sommers nicht erreicht worden ist. Hand in Hand damit ging eine ungemein große Trockenheit in den meisten Teilen des Landes.“

Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts, die mit der um sich greifendenden Industrialisierung zusammenfiel und deshalb als Vergleichsbasis für Erderwärmungsziele genutzt wird, war verhältnismäßig kalt gewesen. In dem Text heißt es:

„Jene Zweifler an unserem Klima werden nun wohl für eine Weile überzeugt sein, daß Europa vorläufig noch keiner neuen Eiszeit entgegengeht, und daß auch in Sachen der Witterung die „gute, alte Zeit“ nicht besser und nicht schlechter war als die gegenwärtige Epoche. Hat es doch zu allen Zeiten außergewöhnlich heiße und ebenso abnorm kühle Sommer gegeben, wenn auch in den letzten Dezennien die heißen Sommer auffallend selten waren. Das ist aber eine Erscheinung, die mit der Unberechenbarkeit des Klimas der gemäßigten Zone unschwer zu erklären und den Meteorologen seit langem bekannt ist. Diese wissen sehr wohl – Beobachtungen, die sich nun schon über fast zwei Jahrhunderte erstrecken, haben das zur Evidenz erwiesen – daß die kühlen sowohl als die warmen Sommer die ausgesprochene Neigung zeigen, gruppenweise aufzutreten. So folgten nach den Untersuchungen von Lehre über das Klima von Berlin, die man getrost auch für ganz Norddeutschland als zutreffend betrachten kann, in den Jahren von 1881 bis 1888 acht kühle Sommer aufeinander (daß die vier Sommer von 1907 bis 1910 sämtlich kühl waren, ist ja noch in aller Erinnerung). Geht man in der Witterungsgeschichte weiter zurück, so findet man, in den Jahren von 1730 bis 1747, gar 18 kühle Sommer, die ohne Unterbrechung aufeinanderfolgten, ebenso wie von 1756 bis 1770 fünfzehn warme Sommer eine ununterbrochene Reihenfolge bildeten.“

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