Von Hakon von Holst. Im Mai 2020 stellte die EU-Kommission ihren Grünen Deal vor. Der Einsatz von Pestiziden und Antibiotika in der Landwirtschaft sollte halbiert und der ökologische Anbau ausgeweitet werden. Doch die USA bereiteten einen „Gegenschlag“ vor, wie die französische Zeitung Le Monde auf Basis durchgesickerter Dokumente kürzlich berichtete.
Es begann mit einem Online-Webinar am 29. Juli 2020. Vor der Kamera saßen US-Landwirtschaftsminister Sonny Perdue, der polnische EU-Landwirtschaftskommissar Janusz Wojciechowski, aber auch Jon Entine vom Genetic Literacy Project. Letzteres ist eine gentechnikfreundliche Organisation, die vom Bayer-Konzern finanziert wurde. Von außen habe es so gewirkt, berichtet Le Monde, als wäre die Initiative von der EU-Parlamentsfraktion der Konservativen und Reformer (EKR) ausgegangen, die von der polnischen Partei PiS geprägt war.
Tatsächlich organisierte die PR-Firma White House Writers Group die Veranstaltung in Abstimmung mit dem US-Landwirtschaftsministerium. Die polnische PiS galt damals schon als kritisch eingestellt gegenüber Russland und Deutschland, aber proamerikanisch. Interne Dokumente des US-Ministeriums beschrieben die Parlamentsfraktion EKR als eine Gruppe, die mit den Interessen der USA sympathisiert.
US-Minister Sonny Perdue gab sich in der Konferenz um das Wohl der Weltbevölkerung besorgt. Die Ernährungssicherheit sei (durch die Pläne der EU) gefährdet. Als Bauer würde er sich Sorgen um die eigene Wettbewerbsfähigkeit machen. Die einzige Hoffnung als Landwirt wären dann Handelsbeschränkungen (was ja nicht im Interesse der EU sein könne).
Allerdings vermarktet der typische Landwirt seine Produkte nicht in Übersee. Und sollte die pestizidintensive Produktion rentabler sein, wären Wettbewerbsnachteile gegenüber anderen Bauern in Europa ausgeschlossen, da Beschränkungen für den Einsatz von Pestiziden dann EU-einheitlich gelten. Barrieren für konkurrierende Billigimporte aus Nicht-EU-Ländern würden die meisten kleinen Betriebe ohnehin befürworten. Perdue sorgte sich also in Wahrheit um Nachteile für die amerikanische Wirtschaft.
Das Webinar wurde vom US-Landwirtschaftsministerium als Erfolg verbucht, weiß Le Monde. 6000 Zuschauer erreichte die Veranstaltung, und das Wichtigste: Die Presse berichtete über die Zusammenkunft. Kritik am Grünen Deal habe in den Medien bis dahin gefehlt, heißt es in einer Mitteilung der White House Writers Group (WHWG) an die US-Behörde.
Die Datenbank des Grauens
Am 18. November 2020, Donald Trump hatte gerade die Wahlen verloren, unterzeichnete die PR-Firma WHWG einen Vertrag mit dem US-Landwirtschaftsministerium, um eine „marktfreundliche und technologiefördernde“ Politik in Drittländern herbeizuführen. Ein Teil der Tätigkeit sollte dabei von V-Fluence übernommen werden, einem Unternehmen für „Reputationsmanagement“. Die Vereinbarung umfasste auch den exklusiven Zugang zu dessen privaten Portal Bonus Eventus.
In dieser Datenbank gibt es das Neueste aus der internationalen Presse und Dossiers über 500 unbequeme Personen, über Menschen, die öffentlich Kritik an Pestiziden und Gentechnik üben. Die indische Umweltaktivistin Vandana Shiva hat ein Profil, die US-Journalisten Michael Pollan und Mark Bittman, der britische Hummelforscher Dave Goulson oder auch Hilal Elver, bis 2020 UN-Sonderberichterstatterin zum Recht auf Nahrung. Sie forderte 2017 ein Rahmenwerk zum Verbot gefährlicher Pestizide.
Wie der britische Guardian berichtet, enthält die Datenbank Informationen, die Kritiker diskreditieren. Das reicht bis hin zu Erkenntnissen über Verkehrsverstöße oder eine Ehefrau, die einen Suizidversuch unternahm, nachdem sie die außereheliche Affäre des Mannes entdeckt hatte. Ein Kinderarzt beschäftigte sich mit Auswirkungen von Pestiziden. Zu ihm erfährt man den Wert seiner Immobilie und die Namen seiner Kinder. Hilal Elver ist entsetzt: „Anstatt die wissenschaftliche Realität zu verstehen, versuchen sie, die Überbringer der schlechten Nachricht auszuschalten. Es ist wirklich schwer zu fassen.“
Der Gründer von V-Fluence, Jay Byrne, diente in den 90er Jahren unter Präsident Bill Clinton in der US-Entwicklungshilfebehörde USAID, einer Einrichtung, die dem US-Außenministerium unterstellt ist. Im Anschluss leitete er von 1997 bis 2001 die Unternehmenskommunikation von Monsanto. Den Konzern, inzwischen von Bayer geschluckt, kennt man im Zusammenhang mit Gentechnik und dem Pestizidprodukt Roundup mit Glyphosat als Wirkstoff. 2001 gründete Byrne dann V-Fluence.
Eine weltweite Agenda
Die Entstehung der Datenbank Bonus Eventus geht direkt oder indirekt auf die Kappe der US-Regierung. 2013 beauftragte USAID die Nichtregierungsorganisation International Food Policy Research Institute (IFPRI), die Einführung von Gentechnik in Afrika und Asien zu erleichtern. Die Organisation besitzt einen wohlwollenden deutschen Wikipedia-Eintrag. Dort liest man, das Institut arbeite daran, „die Armut zu reduzieren“ und „Ernährung und Gesundheit der Menschen nachhaltig zu verbessern“. Finanziert werde das Ganze durch öffentliche Gelder und private Stiftungen.
Diese Organisation vergab nach Informationen von Le Monde zwischen 2013 und 2019 Aufträge an V-Fluence. Unter anderem sollte Byrnes Unternehmen das Wirken von Interessengruppen konterkarieren, die „die Ansätze der modernen Landwirtschaft kritisieren“. Laut Guardian wurde dafür Bonus Eventus aufgebaut. Im Auftrag von USAID nahm man Kenia, Uganda, Ghana, Malawi, Nigeria, Tansania, die Philippinen, Indonesien und Vietnam ins Visier. Zumindest in Uganda ging die Saat nicht auf. Monsanto eröffnete dort 2015 eine Niederlassung und zog sich wieder zurück, nachdem Präsident Yoweri Museveni die Gentechnikzulassung 2021 endgültig verhinderte, wie man in einer Reportage in der Zeitschrift Weltsichten nachlesen kann.
Am 11. Januar 2018 trafen sich Regierungsbeamte der USA mit Vertretern von Bayer, Syngenta, CropLife, V-Fluence und der PR-Firma WHWG. Nach Informationen von Le Monde schrieb ein Organisator des Treffens, man müsse die Führung der Internationalen Agentur für Krebsforschung der WHO ausgewechselt bekommen. Die hatte 2015 den Unkrautvernichter Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft. Auf der Tagesordnung standen auch die EU-Pflanzenschutzmittelverordnung und EU-Regeln für Chemikalien, die das menschliche Hormonsystem stören. Generell sei es darum gegangen, weltweit rechtlichen Hürden oder Verboten für die Vermarktung von Pestiziden entgegenzuwirken.
Schlussgedanken
Der Plan der EU-Kommission, den Pestizideinsatz bis 2030 zu halbieren, ist in der Zwischenzeit gescheitert. Das EU-Parlament lehnte den Verordnungsvorschlag 2023 ab. Welchen Anteil die US-Regierung und ihre Auftragnehmer daran hatten, ist nicht bekannt. V-Fluence und WHWG haben noch am 19. November 2020 gelobt, den Grünen Deal zu vereiteln. Nach Erkenntnissen des Guardian erhielt die PR-Firma WHWG allerdings aus dem Vertrag seither nur einen einzigen Auftrag im Wert von 50.000 Dollar. Die Haupt-Lobbyarbeit leisteten wohl die Agrarkonzerne selbst.
Die Agrarkonzerne wollen die Bauern von ihren Gentechnik-Patenten abhängig machen. Standort-angepasste Regionalsorten gehen verloren, während die Landwirtschaft auf Saatgut umsteigt, das seine Reproduktionsfähigkeit eingebüßt hat. Die Bevölkerung ist dann auf Gedeih und Verderb den Großkonzernen ausgeliefert. Und sie muss ihnen Pestizide abkaufen, weil die Sorten für den industriellen Anbau gezüchtet sind und mit natürlichen Bedingungen schlecht zurechtkommen. Für die Konzerne und die politisch Verantwortlichen spielt keine große Rolle, ob Pestizide der Gesundheit von Bauern, Umwelt und Konsumenten schaden. Ob die Qualität der Nahrung sinkt, weil die Pflanzen bestimmte Stoffe nicht mehr bilden, nachdem sie durch ständige Pestizidbehandlung von natürlichen Umwelteinflüssen abgeschnitten sind.
Die Entwicklungshilfebehörde des Außenministeriums hat sich auch auf anderem Feld bei der Hilfe für US-Konzerne, die Welt zu erobern, hervorgetan. USAID gründete die Better Than Cash Alliance mit, um Bargeld weltweit als Zahlungsmittel zu verdrängen, und sie schob die Initiative Catalyst an mit dem Ziel, in Indien „alltägliche Einkäufe bargeldlos zu machen“. Für die USA und ihre Konzerne bringt das Zahlungsgebühren ein und vor allem Daten, die die Möglichkeit eröffnen, menschliches Verhalten anhand der Zahlungsgewohnheiten vorherzusehen, die Kreditwürdigkeit der Leute zu schätzen, Darlehen zu vergeben und Menschen zu Schuldnern zu machen.
Klingelbeutel
Dieser Artikel ist ein Geschenk des freien und für unsere Freiheit eintretenden Nachwuchsjournalisten Hakon von Holst. Wer ein Gegengeschenk machen möchte, findet hier die nötigen Informationen. Seine und meine Dankbarkeit sind Ihnen gewiss.