Der Gerichtsbeschluss, der freie Medien vor finanzieller Austrocknung schützt, exklusiv analysiert

16. 12. 2024 | Das Oberlandesgericht Sachsen-Anhalt hat entschieden, dass Sparkassen dem Gleichbehandlungsgrundsatz verpflichtet sind und Konten nicht willkürlich kündigen oder verweigern können. Wenn diese Rechtsprechung sich durchsetzt, bietet ein Sparkassenkonto kritischen Medien und Publizisten Schutz vor Bankenwillkür. Hakon von Holst hat das Urteil gelesen und analysiert.


Hakon von Holst.* Ein Bankkonto ist wirtschaftliche Arbeitsgrundlage für kritische Publizisten. Viele konzernunabhängige Medien und freie Journalisten arbeiten auf Spendenbasis. Doch immer öfter kündigen Banken die Geschäftsbeziehung ohne Angabe von Gründen. Mit dem Umzug zu einer neuen Bank gehen Überweisungs-Daueraufträge von finanziellen Unterstützern verloren. Gut vierzig Fälle hatte ich für das Magazin Multipolar recherchiert. Der Artikel erreichte dort 85.000 Aufrufe und wurde von der Neuen Osnabrücker Zeitung übernommen.

Die Kündigungswelle rollt aber weiter. Ob es sich bei den Betroffenen um Medien aus dem patriotischen AfD- oder FPÖ-Umfeld handelt (Heimatkurier, Auf1) oder um regierungskritische Publikationen mit liberalen und egalitären Positionen (Manova-Magazin, Apolut, Die Krähe), spielt praktisch keine Rolle. Die fünf genannten Medien haben alle im Jahr 2024 ihre Girokonten verloren. Neu ist, dass auch Kunden deutscher Sparkassen mit einer Kündigung rechnen müssen. Diese öffentlich-rechtlich organisierten Banken besitzen eigentlich einen staatlichen Versorgungsauftrag und müssen der Bevölkerung Konten bereitstellen.

Auch Sparkassen kündigen Regierungskritikern

Im April 2024 berichtete Iris Hefets, dass die Sparkasse Berlin ihrem Verein Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost gekündigt habe. Zunächst sei das Konto lediglich gesperrt worden. Die Organisation sammelte in dieser Zeit Spenden für den Palästina-Kongress in Berlin. Am 12. April beendete die Polizei die Veranstaltung kurz nach Beginn. Auf der Rednerliste stand unter anderem der frühere griechische Finanzminister Yanis Varoufakis. Die Behörden verweigerten ihm die Einreise.

Einen Monat zuvor war bekannt geworden, dass sich die Mittelbrandenburgische Sparkasse vom Compact-Magazin trennt. Hintergrund nach Darstellung von T-Online: Compact warb um Spenden zur Unterstützung der AfD vor den Wahlen in Ostdeutschland. Während der Palästina-Kongress von der Jüdischen Stimme selbst organisiert wurde und sicherlich mit dem Vereinszweck zusammenpasst, dürfte das im Fall von Compact anders ausgesehen haben: Die Herausgabe einer Zeitschrift als Unternehmenszweck hat mit Wahlkampf nicht direkt zu tun. Inwieweit das eine Kündigung rechtfertigt, kann ich nicht beurteilen.

Ende August bekam der Betreiber des politischen Blogs Fassadenkratzer, Herbert Ludwig, Post von der Sparkasse Pforzheim-Calw. Die Kündigung seines Spendenkontos wurde nicht begründet, Ludwig schaltete einen Anwalt ein. Am 12. Dezember teilte das österreichische FreilichMagazin mit, ein Konto bei der Steiermärkischen Sparkasse zu verlieren. Vier Wochen zuvor machte das Medium von sich reden, als es aus einer internen Videokonferenz deutscher Grünen-Politiker berichtete, in der ein AfD-Verbot erörtert wurde. Sparkassen in Österreich sind rechtlich anders organisiert als in Deutschland. Zur Rechtmäßigkeit der Kündigung in diesem Fall kann ich daher wenig sagen. In Deutschland gibt es jetzt aber Klarheit.

Gericht gebietet Sparkassen Einhalt

Bislang konnten sich nur Vereinigungen mit Parteienstatus eines Girokontos bei Sparkassen sicher sein. Parteien sind gezwungen, Spenden ab einer bestimmten Höhe ausschließlich unbar entgegenzunehmen. Außerdem können sie sich auf das Parteienprivileg (Art. 21 Grundgesetz) und den Gleichbehandlungsgrundsatz (Paragraf 5 Parteiengesetz) berufen. Wenn also eine Sparkasse der einen Partei ein Konto gewährt, muss sie auch einer anderen die Gnade erweisen.

Das kurzzeitig verbotene CompactMagazin hat nun ein Firmenkonto am neuen Geschäftssitz im Burgenlandkreis erstritten. Die örtliche Sparkasse muss der GmbH ein Girokonto einrichten. In dem bemerkenswerten Beschluss, der mir vorliegt, argumentieren die Richter am Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt, dass jegliche Personenvereinigungen (e.V., GmbH usw.) ebenso wie Parteien ein Recht auf Gleichbehandlung besitzen. Die neue Rechtsprechung kommt allen kritischen Medien in Deutschland zugute.

Der Beschluss vom 21. November stützt sich auf Artikel 3 Grundgesetz – »Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich« – in Verbindung mit Artikel 19 Absatz 3, wonach die Grundrechte auch auf juristische Personen anwendbar sind. Hinzu tritt Artikel 2 Landessparkassengesetz. Dort steht, dass Sparkassen den Auftrag haben, die Versorgung mit geld- und kreditwirtschaftlichen Leistungen in ihrem Geschäftsgebiet sicherzustellen. Dieser Versorgungsauftrag findet sich genauso in den Sparkassengesetzen anderer Bundesländer. Die Richter befanden:

»Auch wenn die Antragstellerin [also die COMPACT-Magazin GmbH] vom Verfassungsschutz des Bundes beobachtet wird, versperrt ihr dies nicht die Möglichkeit, sich auf ihre Rechte aus Art. 3 Abs. 1 GG zu berufen. Denn damit hat die Antragstellerin dieses Grundrecht nicht verwirkt. Unabhängig davon, dass Art. 3 GG nicht zu den in Art. 18 Satz 1 GG benannten Grundrechten gehört, die einer Verwirkung unterliegen können, fehlt es im Fall der Antragstellerin bereits an dem nach Art. 18 Satz 2 GG erforderlichen Ausspruch des Bundesverfassungsgerichts über die Verwirkung und ihr Ausmaß.«

Die Sparkasse ist nach Ansicht der Richter an das Grundgesetz gebunden:

»Gemäß § 2 Abs. 3 SpkG-LSA führt sie [die Sparkasse] ihre Geschäfte nach kaufmännischen Grundsätzen unter Wahrung ihres öffentlichen Auftrags. Mit der Bereitstellung von Girokonten gewährt sie daher öffentliche Leistungen, ist im Bereich der staatlichen Daseinsvorsorge als Teil der vollziehenden Gewalt i.S.d. Art. 1 Abs. 3 GG tätig und insoweit unmittelbar an die Grundrechte gebunden. Dem steht eine privatrechtliche Natur der Vertragsverhältnisse zu den Kunden, insbesondere der Girokontoverträge, nicht entgegen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. Februar 2019 – 2 BvR 2456/18, juris Rn. 8; BGH, Urteil vom 11. März 2003 – XI ZR 403/01, juris; OVG Sachsen, Urteil vom 19. August 2014 – 4 A 810/13 –, juris Rn. 28; OVG Niedersachsen, Beschluss vom 15. Juni 2010 – 10 ME 77/10 –, juris).«

Der Anspruch auf Gleichbehandlung besteht grundsätzlich dann, wenn die Sparkasse Geschäftsbeziehungen zu vergleichbaren Organisationen unterhält. Dabei kommt es aber nicht auf die politischen Ansichten an, sondern auf die Rechtsform. Wenn die Sparkasse wirtschaftlich aktiven Vereinigungen (etwa GmbHs) ein Konto gewährt, muss sie auch anderen wirtschaftlich tätigen Vereinigungen ein Konto einrichten:

»Gemessen daran [an den Bestimmungen des Grundgesetzes] setzt ein Anspruch auf Gleichbehandlung im Hinblick auf die Eröffnung und Führung eines Girokontos bei einer Anstalt des öffentlichen Rechts voraus, dass die begehrte Leistung einem Anderen bereits tatsächlich erbracht wird, welcher – wie die sich auf eine Gleichbehandlung berufende Antragstellerin [Compact] – derselben Vergleichsgruppe angehört (vgl. OVG Sachsen, Urteil vom 19. August 2014 – 4 A 810/13 –, juris Rn. 29; OVG Niedersachsen, Beschluss vom 15. Juni 2010 – 10 ME 77/10 –, juris Rn. 26). Das ist hier der Fall. Die Antragstellerin ist hier nicht – sowie die Antragsgegnerin [die Sparkasse] meint – mit Organisationen und Bestrebungen vergleichbar, die von den Verfassungsschutzämtern als erwiesen rechtsextrem beobachtet werden. Gemeinsamer Bezugspunkt der Vergleichsgruppen ist hier die Eigenschaft der Antragstellerin als Verein, der sich wirtschaftlich betätigt. Denn ob das hier in Rede stehende Differenzierungskriterium, nämlich die Beobachtung der Antragstellerin durch den Verfassungsschutz, tragfähig ist oder nicht, ist demgegenüber auf der Ebene der Rechtfertigung der Ungleichbehandlung zu klären. Es ist methodisch unzulässig, dieses Kriterium auf die Ebene der Vergleichsgruppenbildung vorzuverlagern und damit eine Prüfung des Art. 3 Abs. 1 GG zu umgehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Oktober 2023 – 5 C 6.22 –, juris Rn. 26; Beschluss vom 31. März 2021 – 5 C 2.20 –, juris Rn. 101). Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Antragsgegnerin in ihrem Geschäftsbereich keine Girokonten für sich wirtschaftlich betätigende Vereine führt.«

Sodann beschäftigt sich das Gericht mit der Frage, ob ein sachgerechter Grund vorliegt, der eine Ungleichbehandlung von Compact gegenüber anderen Unternehmen dennoch rechtfertigen würde. Die Richter zitieren aus dem Verfassungsschutzbericht 2023, laut dem Compact regelmäßig antisemitische, minderheitenfeindliche, geschichtsrevisionistische und verschwörungstheoretische Inhalte verbreite, und gehen auf das durch das Innenministerium im Sommer verfügte Verbot der Gesellschaft ein. Den Richtern zufolge dürfe ein Verein im Lichte des Artikels 9 Absatz 2 Grundgesetz »nur unter engen Voraussetzungen verboten werden« und genieße »insoweit eine verfassungsrechtlich privilegierte Stellung hinsichtlich seiner Fortexistenz und deren Voraussetzungen«. Da Compact derzeit nicht verboten ist, muss eine Ungleichbehandlung unterbleiben und das Girokonto als Voraussetzung der Fortexistenz des Vereins gewährt werden. Die Sparkasse sei nicht dazu berufen, die Voraussetzungen für ein Vereinsverbot festzustellen.

»Allein die Beobachtung und Berichterstattung des Verfassungsschutzes kann die Vorgehensweise der Antragsgegnerin, d.h. die gleichheitswidrige Vorenthaltung eines Girokontos, nicht stützen, selbst wenn die Aufgabenwahrnehmung des Verfassungsschutzes wegen verfassungsfeindlicher Bestrebungen der Antragstellerin der Sache nach nicht zu beanstanden sein mag. Die Antragsgegnerin ist als Teil der vollziehenden Gewalt i.S.d. Art. 1 Abs. 3 GG unmittelbar an die Grundrechte und nach Art. 20 Abs. 3 GG an Recht und Gesetz gebunden. Damit steht fest, dass sie sich verfassungstreu in dem Sinne zu verhalten hat, dass sie keine verfassungsfeindlichen Handlungen ihrer Kunden unterstützt. Anderseits hat sie aber auch die in Art. 9 Abs. 1 GG besonders geschützte Vereinigungsfreiheit, die in Art. 9 Abs. 2 GG hierfür gesetzten Grenzen und das in §§ 3 ff. VereinsG geregelte Verbotsverfahren zu beachten.«

Bis zum Beschluss des Gerichts besaß das CompactMagazin kein eigenes Bankkonto mehr. Doch die Richter zweifeln sogar daran, dass ein bestehendes Girokonto bei einer Drittbank den Anspruch auf ein Konto bei der örtlichen Sparkasse hätte verwirken können. Besondere Bedeutung für freie Medien (und praktisch alle Unternehmen) hat die Feststellung des Gerichts, dass die Ein- und Auszahlung von Bargeld ein wichtiges Vergleichskriterium ist, um herauszufinden, ob ein gegebenenfalls bestehendes Girokonto mit dem Angebot der örtlichen Sparkasse »gleichwertig« ist. Denn Medien wie zum Beispiel Apolut, denen dutzendfach die Kontoeröffnung verweigert wurde, haben sich zu ausländischen Onlinebanken gerettet. Das macht das Einzahlen allfälliger Bargeldspenden äußerst schwierig.

Geldwäschebekämpfung ist keine Rechtfertigung

Brisant ist ebenso die letzte erörterte Frage: Kann die Sparkasse die Ungleichbehandlung mit dem Geldwäschegesetz (GwG) rechtfertigen? Bei Spendeneingängen ist meistens unbekannt, wer der Unterstützer ist. Doch das Argument, die Bank könne Schwierigkeiten haben, ihre Sorgfaltspflichten zu erfüllen, wenn Compact »Zahlungen unbekannter oder nicht verbundener Dritter« annehme, wies das Gericht zurück. Die Sparkasse habe nicht darlegen können, warum sie den Sorgfaltspflichten nicht nachkommen könne:

»§ 10 Abs. 9 Satz 1 GwG und § 15 Abs. 9 GwG statuieren die Nichtaufnahme neuer Geschäftsbeziehungen bei Nichterfüllung der Kernsorgfaltspflichten im Sinne von § 10 Abs.  1 Nr. 1 – 4 GwG und § 15 GwG. Die Rechtsfolge des § 10 Abs. 9 Satz 1 GwG, auf den § 15 Abs. 9 GwG verweist, greift allerdings erst, wenn ein Verpflichteter [die Sparkasse] die ihm obliegenden Sorgfaltspflichten in dem nach risikoorientierter Betrachtungsweise erforderlichen Umfang nicht erfüllen kann. Gemäß §§ 11 Abs. 6, 15 GwG besteht die Verpflichtung des Vertragspartners [Compact], die erforderlichen Informationen zur Verfügung zu stellen und Änderungen anzuzeigen (vgl. Figura, in: Herzog, GwG, 5. Auflage 2023, § 10 Rn. 143). Zum einen vermochte die Antragsgegnerin als Verpflichtete im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 GwG mit ihrem Beschwerdevorbringen bereits nicht darzulegen, dass sie nicht in der Lage sein wird, den allgemeinen und besonderen Sorgfaltspflichten im Fall der Kontoeröffnung und Kontoführung für die Antragstellerin nachkommen zu können. Zum anderen sind derzeit keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, die Antragstellerin würde ihren vertraglichen Mitwirkungspflichten nicht nachkommen.«

Fazit

Von Kontokündigungen sind Medien aus einem weiten politischen Spektrum betroffen. Der Beschluss der Oberverwaltungsgerichts stärkt die Menschenrechte und den kritischen Journalismus und erschwert es Sparkassen in ganz Deutschland, Beziehungen zu Kunden aus dem eigenen Geschäftsgebiet zu beenden.

*Hakon von Holst ist freier Journalist. Auf seiner Netzseite finden Sie Informationen von ihm und über ihn und erfahren, wie Sie sich für seine Arbeit erkenntlich zeigen können. 

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