Wie vor enigen Tagen berichtet hatte die Ulmer Politprominenz ein Bündnis „Gemeinsam für Vielfalt und Demokratie“ gegründet und eine Petition gestartet, die zur Verteidigung unserer Grundrechte aufruft und dafür „das in Artikel 20 des Grundgesetzes garantierte Recht auf Widerstand gegen Feinde der Demokratie“ als demokratische Pflicht herbeizieht.
Dabei hatten sie im ersten Satz der Petition (alte Fassung) von angeblich „geplanten Massendeportationen“ gesprochen, eine Behauptung, von der sich der Verein Correctiv, der exklusiv über das Treffen berichtet hatte, zu dem Zeitpunkt bereits klar distanziert hatte. Außerdem hatten sie ein Zitat aus einem Flugblatt der Geschwister Scholl verfälscht, indem sie aus „Schutz vor der Willkür verbrecherischer Gewaltstaaten“ einen „Schutz … vor Gewalttaten“ machten.
Am 16. Februar, immerhin fünf Tage nach meinem kritischen Bericht, hat man sich offenbar endlich auf eine Korrektur des Petitionstextes geeinigt, der bis dahin noch keine Tausend Mitzeichner gefunden hatte. Geändert wurde der Text auf der Netzseite des Bündnisses, auf Change.org geht das wohl nachträglich nicht.
Zitatfälschung durch andere Fälschung ersetzt
Nun heißt das Zitat der Geschwister Scholl angeblich:
„Im 5. Flugblatt der Weißen Rose heißt es: „Freiheit der Rede, Freiheit des Bekenntnisses, Schutz des einzelnen Bürgers vor verbrecherischer Willkür, das sind die Grundlagen des neuen Europas.““
Aus „Gewaltstaaten“ machen sie einfach „Willkür“. Die wohlmeinende Annahme eines Fehlers, die in der ersten Textversion noch möglich war, entfällt damit. Sie weigern sich, den Staat als (mögliche) Quelle verbrecherischer Gewalt zu nennen, wie die Geschwister Scholl das getan haben. Denn das würde allzu leicht den Blick auf ihre Heuchelei und Anmaßung lenken. Schließlich ist das Widerstandsrecht aus Artikel 20 Grundgesetz als Recht des Bürgers konzipiert, die Gesetze eines übergriffigen, rechteverletzenden Staates zu missachten.
„Ein Angriff auf einen Teil von uns ist ein Angriff auf uns alle. Deshalb sehen wir das in Artikel 20 des Grundgesetzes garantierte Recht auf Widerstand gegen Feinde der Demokratie als unsere Pflicht an.“
Nicht umsonst steht das Widerstandsrecht unter dem Vorbehalt: „wenn andere Abhilfe nicht möglich ist“, weil nämlich die staatlichen Instanzen die Abhilfe schaffen könnten – Polizei und Gerichte – , Komplizen geworden oder entmachtet sind. Nichts davon ist derzeit der Fall, jedenfalls haben sich Polizei und Gerichte nicht auf die Seite „der Rechten“ geschlagen. Ein Widerstandsrecht im Sinne von ungesetzlichen Handlungen gibt es daher nicht.
Es ist ohnehin unsinnig, diesen Artikel heranzuziehen um für Demonstrationen und andere rechtmäßige Handlungen und Meinungsäußerungen zu werben, wie die Petenten das tun:
Dafür braucht man kein Widerstandsrecht. Vollends absurd wird es, wenn Träger der öffentlichen Gewalt, wie ein Bürgermeister und Landräte, ein solches Widerstandsrecht für sich reklamieren. Erst recht, wenn diese Amtsträger diese Gewalt selbst in grob übergriffiger Weise ausgeübt haben.
Dessen ist man sich offenkundig bewusst und tut sich deshalb so schwer mit einer unverfälschten Wiedergabe des Geschwister-Scholl-Zitats.
Falschbehauptung durch Falschbehauptung ersetzt
Auch sonst sind diejenigen, die den Petitionstext in Reaktion auf meine Kritik „korrigiert“ haben nicht gerade klug und umsichtig zu Werke gegangen.
Denn wo vorher im ersten Satz fälschlich behauptet wurde, die Rechten planten Massendeportationen, ist nun stattdessen von „millionenfacher Ausweisung“ die Rede. Doch auch davon dürfte in dem Potsdamer Treffen nach aktuellem Kenntnisstand nicht die Rede gewesen sein.
Und schon im zweiten Absatz der Petition ist noch einmal fälschlich von „Plänen zur Deportation von Menschen mit Migrationshintergrund“ die Rede, die angeblich geschmiedet worden seien.
„Wer unsere Demokratie unterwandert, wer Pläne zur Deportation von Menschen mit Migrationshintergrund schmiedet, wer ständig Hass und Hetze gegen Minderheiten sät, der muss mit unserem Widerstand rechnen.“
Das wurde nicht korrigiert. Gut, es wurde in Potsdam offenbar tatsächlich davon gesprochen, ausreisepflichtige Ausländer tatsächlich abzuschieben, wofür auch bei Behörden das Wort „Remigration“ verwendet wird. Das aber ist auch die vielfach erklärte Absicht der Ampelregierung und -koalition und der Union, also der Parteifreunde der Petenten. Wenn es so gemeint wäre, wäre es eine Täuschung der Leser und Unterzeichner der Petition.
Korrekturempfehlungen
Tut mir leid, liebe Ulmer Politprominenz. Wenn ich geahnt hätte, wie sehr ihr für Korrekturen auf meine Hinweise angewiesen seid, hätte ich den Text ausführlicher und detaillierter kommentiert und konkretere Umformulierungsvorschläge gemacht. Das will ich nun nachholen, damit es diesmal besser klappt. Ich schlage also vor:
- Im ersten Satz auf jeden Fall „millionenfach“ weglassen.
- „Ausweisung“ auch weglassen, denn das wollen auch Eure Parteifreunde.
- Beides ersetzen, durch etwas wie: „Geschockt davon, dass sich Menschen mit rechter Gesinnung, die die Willkommenskultur ablehnen, in einem Hotel getroffen haben, …“
- Im zweiten Absatz „Deportationen“ weglassen. Rest kann bleiben.
- Nicht auf Widerstandsrecht nach Artikel 20 Grundgesetz berufen.
- Zitat der Geschwister Scholl in indirekte Rede setzen. Dann darf man in gewissem Rahmen umformulieren (allerdings nicht den Sinn entstellen). Ganz weglassen wäre sicherer.
Dann wird das eine richtig gute Petition. Dann knackt ihr vielleicht auch noch die Marke von 1000 Unterschriften.
Nachtrag (22.2.): Zitat korrigtiert
Am 21.2. stellten die Petenten das gefälschte Zitat schließlich doch richtig, sowohl auf ihrer Netzseite, als auch auf Change.org. Recht bescheidene 1076 Mitzeichner hat die Petition bisher gefunden.