Die Netzwerker in der SPD haben in 20 Thesen aufgeschrieben, wie sie sich die Erneuerung der Partei vorstellen, damit die ehemalige Volkspartei nicht bald im Gerangel um die Plätze drei bis fünf der Parteienlandschaft versinkt. Die Thesen wirken nur wie eine Ansammlung von leeren Floskeln. Übersetzt man sie in Normalsprache, wird daraus ein schockierender Abgesang auf die deutsche Sozialdemokratie.
Ich will keine besonderen Kenntnisse der SPD-Machtstrukturen heucheln und deshalb hier zum Netzwerk Berlin nur (gekürzt) Wikipedia widergeben.
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Das Netzwerk Berlin ist ein Zusammenschluss von SPD-Bundestagsabgeordneten. Neben der Parlamentarischen Linken und dem, im sozialdemokratischen Spektrum, rechten und konservativen Seeheimer Kreis ist es die dritte Strömung innerhalb der Bundestagsfraktion. Es wird parteiintern den Reformern zugerechnet. Prominente Vertreter des Netzwerk Berlin sind unter anderem Sigmar Gabriel, Thomas Oppermann Aydan Özoğuz. Alle drei sind auch im Seeheimer Kreis organisiert. Auch im stellvertretenden Fraktionsvorstand sind überdurchschnittlich viele Netzwerker vertreten: Hubertus Heil, Carola Reimann, Eva Högl, Ute Vogt, Carsten Schneider und Sören Bartol.
Nachtrag: Nachdem nun bekannt wurde, dass Netzwerk-Gründungsmitglied Hubertus Heil Arbeitsminister wird, bekommen die Thesen, insbesondere Thesen 1. ,6., 8. und 11. noch mehr Relevanz (und Schrecken).
Hier meine Übersetzung der
20 Thesen für die Erneuerung der SPD
2/3/2018 Das Netzwerk Berlin versteht sich als Impulsgeber für progressive sozial-demokratische Politik. Zur Erneuerung der SPD wollen wir unseren Beitrag leisten:
1. Erneuerung heißt nach vorne schauen und aus der Vergangenheit lernen.
Übersetzung: Wir wissen alle, dass die Agenda 2010 die Partei ruiniert hat, aber wir reden nicht mehr darüber. Wir schauen nach vorne und tun es nicht nochmal. Ist ja auch nicht mehr nötig. (Wie es sich gehört ist dieser Punkt zusammen mit dem letzten der Wichtigste, nur als kleiner Hinweis für eilige Leser. 6. bis 11. sind allerdings auch nicht ohne.)
2. Erneuerung heißt Lust auf Zukunft, Lust auf neue Themen, heißt Offenheit für neue Ideen. Erneuerung heißt, auch einmal etwas auszuprobieren, zu experimentieren, aus Fehlern zu lernen.
Wir haben keinen Plan, wo es hingehen soll und was Sozialdemokratie künftig sein soll, aber wir probieren gerne alles Mögliche aus.
3. Erneuerung heißt, Orientierung zu geben und deutlich zu machen, welche Gesellschaft wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wollen.
Wenn wir beim Ausprobieren etwas finden sollten, was modern wirkt und gut ankommt, sagen wir, dass es da lang gehen soll, und dass das die Gesellschaft ist, die wir wollen.
4. Erneuerung heißt, offene Fragen zu klären, anstatt Formelkompromisse zu formulieren.
Wir sehen das Problem, dass wir als Partei für nichts mehr stehen und nehmen uns für die Zukunft eine klare Haltung vor, wenn wir auch erst noch finden müssen, welche Haltung und zu welchen Fragen.
5. Erneuerung heißt eine klare Haltung zu Europa: Der demokratische Sozialismus kann nur europäisch sein.
Wir müssen uns jetzt echt mal überlegen, wie wir inhaltlich zu Streitpunkten in der Europapolitik stehen. Hat vielleicht einer eine Idee?
6. Erneuerung heißt, dafür zu sorgen, dass der Sozialstaat als Dienst von Mensch zu Mensch gelebt wird.
Sozialstaat heißt nach unseren Vorstellungen nicht staatliche Leistungen und Absicherung, sondern private Tafeln für Bedürftige. Siehe auch 11.
7. Erneuerung heißt, den digitalen Wandel für die Menschen zu nutzen und dafür zu sorgen, dass aus technischem Fortschritt sozialer und ökologischer Fortschritt entsteht.
Erst einmal alles umsetzen, was modern wirkt, mit 4.0 und so, und danach die Folgen lindern, wenn man uns lässt.
8. Erneuerung heißt gute und gleiche Chancen für alle Generationen.
Wofür die Chiffre Chancengleichheit für die Generationen steht, kann man am klarsten aus der entsprechenden Kampagne der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft erfahren: Niedrige Renten und gedeckelte oder sinkende Sozialbeiträge, vor allem für die Arbeitgeber.
9. Erneuerung heißt, die Globalisierung zu gestalten und mehr Verantwortung zu übernehmen in einer Welt, die immer mehr zusammenrückt und voneinander abhängig ist.
Für das Übernehmen von (militärischer) Verantwortung für die Vorwärtsverteidigung der Marktwirtschaft am Hindukusch ist zwar in der Bundesregierung Ursula von der Leyen die zuständige Expertin. Aber wir sind dabei.
10. Erneuerung heißt, die Demokratie fit zu machen für das 21. Jahrhundert, das Vertrauen in unsere demokratischen Institutionen neu zu begründen und unseren freiheitlichen Lebensstil zu pflegen.
Demokratie im traditionellen Sinne ist unmodern. Unser freiheitlicher Lebensstil (= wenig regulierte Marktwirtschaft) verlangt nach marktkonformer Demokratie. Ist jetzt zwar auch wieder CDU (Merkel), aber wir sind dabei.
11. Erneuerung heißt ein gut funktionierender Staat, der die Menschen stärkt und zu einem eigenverantwortlichen und selbstbestimmten Leben befähigt.
Ein gut funktionierender Staat ist einer, der sich wenig einmischt und die Bürger darauf verweist, sich selbst zu helfen. Siehe auch 6.
12. Erneuerung heißt Werteorientierung: In einer sozial und kulturell auseinanderdriftenden Gesellschaft muss die Volkspartei SPD für einen breit anerkannten Werterahmen sorgen.
Ach wären wir doch noch eine Volkspartei, dann könnten wir … Wir wollen uns wenigstens vornehmen, das Wort möglichst oft zu verwenden.
13. Erneuerung verlangt eine andere Sprache. Erneuerung heißt, von den Lebenslagen der Menschen her zu denken und zu formulieren, statt von unseren gewohnten Überschriften her.
Die verbale Verpackung muss besser werden. Es soll uns um persönliche Interessen und Befindlichkeiten gehen, nicht um gesellschaftliche Entwicklungen.
14. Erneuerung heißt klare Haltung für sozialdemokratische Positionen auch in Koalitionen, heißt auch Reibung und Konflikte, wenn es um die Verbesserung der Lebensrealität vieler Menschen geht.
Was waren gleich noch sozialdemokratische Positionen? Ach egal; konkrete (= kleine) Verbesserungen für die Menschen zählen mehr als große Gesellschaftsentwürfe.
15. Erneuerung heißt, sich Ziele zu setzen und gemeinsam auf diese hinzuarbeiten.
Zwischendurch mal was, wo wir auf jeden Fall einen Haken dranmachen können, wenn wir als Ziel zum Beispiel Wiedereinzug in den Bundestag nehmen, oder zweitstärkste Partei zu bleiben. Wir müssen es ja nicht erreichen, nur gemeinsam verfolgen.
16. Erneuerung heißt Teamarbeit auf allen Ebenen der Partei. Erneuerung heißt, Konfliktlösungsmechanismen zu entwickeln, damit nicht immer alles über die Medien läuft.
Subalterne: Mund halten! (Siehe zur Vertiefung auch 18.)
17. Erneuerung heißt Mut zu neuem und jüngerem Personal und mehr Frauen in zentralen Positionen, heißt Mut auch zu überraschenden Personalentscheidungen, heißt mehr auf Qualität und Wirkung achten, statt auf Proporz.
Wird schon keiner merken, dass Erhöhung der Frauenquote und Verzicht auf Proporz widersprüchliche Vorgaben sind. Klingt jedenfalls beides gut.
18. Erneuerung heißt, dass die Gesamtpartei als Volkspartei Ort der gemeinsamen Diskussionen ist.
Lokale und regionale Gremien und Partei-Strömungen: Maul halten! Die Linie legt die Parteiführung fest. (Siehe auch 16.) Wieder das Wort Volkspartei untergebracht. Geht doch!
19. Erneuerung gelingt, wenn wir gute Beziehungen aufbauen und halten – zu Mitgliedern, Nahestehenden, Interessierten. Erneuerung gelingt, wenn wir unsere Jugendarbeit professionalisieren und öffnen.
Es geht nicht um Inhalte und Politik, es geht um den Stil und das Netzwerken.
20. Erneuerung heißt: Sei Du selbst die Erneuerung, die Du Dir wünschst!
Für alle, die auf dem Schlauch stehen: Wenn Du unbedingt Erneuerung willst, erneuere Dich doch selber. Erwarte keine echte Erneuerung von der Partei.
Es war wohlgemerkt nicht der parteirechte Seeheimer Kreis, der das aufgeschrieben hat, auch wenn er es der Richtung nach wohl unterschreiben würde. Es waren diejenigen, die sich in der Parteimitte wähnen und Realos nennen lassen. Es sieht nicht gut aus für die alte Tante SPD.
[8.3.2018]