Es gibt fast keinen journalistischen Grundsatz, den die Macher der beitragsfinanzierten ARD-Sendung Plusminus mit ihrer Sendung vom 14.12. nicht gebrochen hätten. Es handelt sich inhaltlich um ein Mashup einer unsäglichen „Studie“ des Brüsseler Lobbyinstituts ECIPE. Nur der Vorwurf, der Kreml stecke hinter Campact und anderen Anti-TTIP-Aktivisten fehlt. Doch die antidemokratische Kernforderung ist dieselbe.
Man muss dieses nur gut siebenminütige Machwerk mit dem Titel „Freihandel: So schüren Gegner Ängste“ anschauen, um die ganze antidemokratische, regierungshörige und meinungsmanipulative Perfidie dahinter würdigen zu können. Offenbar findet die ARD, es gibt noch nicht genug Widerstand gegen die Gebührenfinanzierung und sie müsse dringend noch Beispiele liefern, die beweisen, wie wenig Staatsferne dieses üppige Finanzierungsmodell garantiert.
Sprecher: „Schulter an Schulter gegen TTIP und Ceta. Nichts eint links und rechts 2016 so sehr wie das Feindbild Freihandel. (…) Campact ist derzeit einer der schlagkräftigsten Akteure in der Anti-Freihandelsbewegung.“
Im ganzen Beitrag kommen später keine „rechten“ Argumente oder Akteure vor. Aber die Querfront von links und rechts ist schon fast im ersten Satz eingeführt und die Organisationen, denen man sich zuwendet, sind in ein schmuddeliges AfD-nahes Licht gerückt. Dann erklärt eine Isabell Hoffmann von der Bertelsmann-Stiftung, dass links und rechts eh keine Rolle mehr spielten und das Ganze als unpolitische Marketingkampagne betrieben werde.
Strohmann Freihandel
Es ginge um Kampf gegen Freihandel und gegen „Freihandelsabkommen“ wird schon im Titel und dann im Beitrag wieder und wieder behauptet. Das ist eine bösartige Verzerrung und Verengung an der Grenze zur Lüge. Es geht den meisten im Wesentlichen darum, dass Konzerne keine rechtlichen Privilegien bekommen und der Freihandel nicht als Vorwand genutzt wird, um soziale Errungenschaften, staatliche Daseinsvorsorge und von den Bevölkerungen gewünschte Regulierungen auszuhebeln. Kein einziges dieser Kritikfelder wir auch nur näherungsweise genannt.
In einem Interview-Einspieler legt Felix Kolb vom Kampagnenorganisator Campact, dar, dass das Chlorhühnchen für die Art stehen sollte, wie in den USA Wirtschaft betrieben wird. Er erläutert, dass man vor dem Problem gestanden habe, ein unbekanntes Abkommen mit komplizierter Materie an einem Beispiel „fassbar“ zu machen. Eine Kampagne zur Herstellung von Öffentlichkeit für ein Thema wirksam und professionell auf die Beine zu stellen, wird in dem Beitrag durchgängig als unanständig dargestellt.
„Postfaktisch nennen das Politiker und Fachleute.“, sagt der Sprecher, dass niemand mehr von angeblicher Gesundheitsgefahr rede. „Nicht zu belegende Behauptungen, die Selbstläufer werden.“ Und dann kommt einer der angeblichen Fachleute. „Der Kölner Wirtschaftshistoriker Dominik Enste sieht darin eine große Gefahr für den demokratischen Meinungsbildungsprozess.“ Es folgt ein Interview-Einspieler in dem Herr Enste ebenfalls in der Untertitelung als „Wirtschaftsethiker“ vorgestellt wird. Erst deutlich später, als er nochmal auftritt, wird offengelegt, dass er für das, von großen Wirtschaftsunternehmen finanzierte, Institut der deutschen Wirtschaft arbeitet. Das Institut ist ein entschiedener Verfechter von TTIP und Ceta. Es hat auch eifrig mit dazu beigetragen, die Falschdarstellungen von den angeblich großen Beschäftigungsgewinnen durch TTIP zu verbreiten. Aber um diese nachweislichen Falschdarstellungen der Pro-Seite geht es in diesem ARD-Beitrag nicht einmal andeutungsweise.
Die Zuschauer müssen auch beim zweiten Auftritt Enstes selbst darauf kommen, dass da mit dem IW nicht gerade ein objektiver Zeuge gehört wird, ebensowenig wie mit der neoliberalen Bertelsmann-Stiftung, die ebenfalls für TTIP und Ceta ficht und an Pro-TTIP-Falschdarstellungen beteiligt war.
Es geht noch übler weiter. Campact wird in den Ruch gebracht, geldgierig und auf Gewinnerzielung aus zu sein, was sich mit deren gemeinnützigen Status überhaupt nicht vertragen würde. Die Erläuterung des (heimlichen) Unternehmenslobbyisten Enste, wie Campact öffentliche Ressonanz erzeuge, nimmt der Sprecher auf mit:
„Diese Ressonanz ist wichtig fürs Geschäft, weil sie Massen und damit Spender mobilisiert. Campact hat allein 2015 1,5 Mio. Euro nur durch die Ceta- und TTIP-Campagne vereinnahmt. Politik kann ein gutes Geschäft sein, wenn man es beherrscht. Längst ist aus der Bürgerbewegung eine Marketingagentur geworden.“
Nur um dann natlos auch diejenigen in die Pfanne zu hauen, die es anders machen als Campact:
„Wer das nicht so gut kann, der bedient sich gerne mal beim Steuerzahler. Der Deutsche Naturschutzring zum Beispiel. Er lässt sich vom Bundesumweltministerium fördern, mit mehr als 100.000 Euro. Anschließend torpediert er mit dem Geld die Ziele der Bundesregierung.“
Dann darf jemand vom Naturschutzring kurz verteidigen, warum es in Ordnung sei, sich fördern zu lassen, bevor der Unionsfraktionsvize im Bundestag, Michael Fuchs (CDU) verbal zuschlägt, den der Sprecher einführt mit „Die Finanzierung politischer Gegner ist geradezu irrsinnig, findet dagegen (Fuchs).“ Dieser sagt, dass es nicht sein könne, „dass die Bundesregierung, die ja in toto pro TTIP und Ceta ist, an der Finanzierung von Aktionen beteiligt ist.“
Sprecher: „Geld gab’s für Infoveranstaltungen zur Meinungsbildung. Diese Veranstaltungen stärken natürlich – wen wundert‘s – vor allem die Gegner des Freihandels.“ Dass Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel viel mehr Geld für Werbung FÜR diese Abkommen ausgegeben hat, wird unterschlagen.
Dann kommt wieder Professor Dominik Enste, diesmal vom Institut der Deutschen Wirtschaft, der sagt, es sei im Prinzip ja gut für die Meinungsvielfalt, wenn man eine breite Förderung hat, aber eben nur, wenn die Mehrheitsmeinung gefördert wird. O-Ton:
„Schwierig wird es halt immer dann, wenn konkrete Mittel auch dafür verwendet werden, auch Dinge zu kritisieren, die möglicherweise gar nicht von der Mehrheit kritisiert werden, man diese Mittel also nutzt, um Minderheitenmeinungen sehr plakativ, sehr prominent zu platzieren, …“
Und dann darf der als scheinbar unvoreingenommener Experte präsentierte Unternehmenslobbyist die immer noch nicht genannten Argumente derer, die den wirtschaftlichen Interessen seiner Lobby-Auftraggeber schaden, pauschal abqualifizieren:
„… und das Ganze dann vielleicht noch mit Alarmismus verbindet, also sehr plakativ, und Bedrohungsszenarien möglicherweise, und damit so ein bisschen ja dann nicht Meinungsbildung betreibt, sondern Meinungsmache, bis hin zu Panikmache.“
Der Sprecher fährt fort:
„Die Bertelsmann-Stiftung hat untersucht, wer anfällig ist, für die Panikmache. Ostdeutsche, ältere Menschen und einkommensschwache und Anhänger der extremen Rechten und Linken. 45 Prozent der Europäer empfinden Globalisierung schon jetzt als Bedrohung – eigentlich ohne Grund, sagen die Sozialforscher.“
Die Sozialforscher, das klingt so wissenschaftlich und neutral. „Die Sozialforscher“, die sagen, dass die Menschen keinen Grund haben, sich zu fürchten, ist bei Plusminus wieder Isabell Hoffmann von der neoliberalen Bertelsmann-Stiftung, mit ihrem zweiten großen Auftritt. Die Stiftung ist eine entschiedene Verfechterin von Handels- und Investitionsschutzabkommen. Sie belehrt: „Ich denke in der Geschichte sieht man ganz klar, dass die Nationen miteinander arbeiten und im Austausch sind, im politischen Austausch, im wirtschaftlichen Austausch, dann ist das ganz klar ein Garant für Stabilität“; so als ob Campact und der Naturschutzring dafür eintreten würden, die Grenzen dicht zu machen und den internationalen Handel einzustellen, nur weil sie deutsche Gesundheits- und Sozialstandards bewahren wollen.
Dass 45 Prozent der Bevölkerung sich bereits vor der ungebremsten finanzmarktkonformen Globalisierung fürchten sollen, spricht nicht nur ein bisschen gegen die vorangegangene These, des IW-Professors, wonach Campact und Naturschutzring nur eine kleine Minderheit verträten. Aber mit solchen Details können sich die Fernsehmacher nicht aufhalten.
Und dann stellt der Sprecher noch die Verbindung her, zwischen dieser Hetzjagd auf Andersdenkende nach dem Vorbild McCarthys und dem was in den USA gerade in dieser Richtung passiert:
„Und mehr Stabilität würde gerade jetzt sowohl Europa guttun, als auch den transatlantischen Beziehungen.“
Die Vorlage für diesen Beitrag scheint eine vor kurzem veröffentlichte „Studie“ des von großen internationalen Konzernen finanzierten Brüsseler Instituts European Centre for International Political Economy ( ECIPE) gewesen zu sein, mit dem Titel „Manufacturing Discontent: The Rise to Power of Anti-TTIP Groups“. Sie stellt mit ganz ähnlicher Machart fest, dass Organisationen wie Campact und Attac mittels „täuschender Kommunikation“ die Menschen aufgestachelt hätten, ihre angeborene Liebe für Investoren-Schiedsgerichte und gentechnisch veränderte Lebensmittel zu vergessen und massenhaft gegen TTIP auf die Straße zu gehen. Autor ist ein Deutscher Institutsmitarbeiter. Aus dieser Lobbyistenstudie übernimmt Plusminus auch die Kernforderung: Kein Geld für Kritiker der Regierenden, egal ob in Brüssel oder Berlin.
Begleittext nicht minder demagogisch
Der Begleittext, den Plusminus auf seiner Website anbietet, ist nicht minder manipulativ und demagogisch. Hier wird immerhin auf zwei Kritikpunkte scheinbar eingegangen, aber wie! Ein Beispiel:
„Auch die pauschalen Vorwürfe gegen private Schiedsgerichte sind nicht in allen Punkten zutreffend. Schiedsgerichte existieren in Deutschland schon seit dem 17. Jahrhundert. Sie dienen zur Vereinfachung und Beschleunigung von Verfahren, die vor staatlichen Gerichten sehr lange dauern können. Bei internationalen juristischen Auseinandersetzungen sind Schiedsgerichte oft die einzige Möglichkeit, faire Urteile und Vergleiche zu erzielen.“
Welches sind nun die nicht zutreffenden Argumente? Worauf beruft sich die apodiktische Feststellung: „Bei internationalen juristischen Auseinandersetzungen sind Schiedsgerichte oft die einzige Möglichkeit, faire Urteile und Vergleiche zu erzielen.“ Wird hier behauptet, die europäische oder die US-Gerichtsbarkeit sei korrupt? Oder geht es um andere Länder? Dann wäre es für TTIP und Ceta nicht einschlägig. Mit Verlaub, so etwas ist indiskutabel.
Noch schlimmer: Der Unternehmenslobbyist Enste wird auch hier ohne institutionelle Zugehörigkeit als „Wirtschaftsethiker“ vorgestellt und Hoffman als „Studienleiterin“, ohne Hinweis auf die Bertelsmann-Stiftung. So wird verborgen, dass man ausschließlich glühende und finanziell interessierte Befürworter der Abkommen als „Experten“ zu Wort kommen lässt.
Wenn Innenminister Thomas de Maizière mit dem „Abwehrzentrum gegen Desinformation„, das er im Kanzleramt einrichten möchte, vorhaben sollte, solche antidemokratischen Entgleisungen des öffentlich-rechtlichen Staatsfunks abzustellen, dann wäre das vielleicht eine gute Sache. Tatsächlich will er aber wohl ein orwellsches Wahrheitsministerium schaffen, das bestimmt, was staatlich sanktionierte Wahrheit und was putingesteuerte Fake News sind.
Nachtrag (24.12): Aus der Post an Plusminus
Sehr geehrte Damen und Herren,
normalerweise sehe ich die Sendung Plusminus ganz gerne, aber der gestrige Beitrag zu TTIP, Campact etc. war wirklich unterirdisch. Plusminus: „Freihandel: So schüren Gegner Ängste“ vom 14.12.16) Ich weiß nicht, was der Autor Herr Daniel Krull beruflich sonst so macht, aber ich fürchte, es handelte sich nicht nur um naive, schlecht recherchierte Schlamperei, sondern um einen böswilligen Diffamierungsversuch gegen die TTIP-Kritiker. Es gibt so viele TTIP-/CETA-Kritiker (Personen und Organisationen), die sich durchaus mit den einzelnen Aspekten dieser komplexen Materie sachlich auseinandergesetzt haben. Dabei kann man mit jeweils verschieden gewichteten Gründen zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Die Kritiker werden aber in Ihrem Beitrag pauschal als dumpfe, manipulierte, grundlos verängstigte Opfer einer Kampagne dargestellt, als „Freihandelsgegner“, ohne zu differenzieren und ohne auch nur auf ein einziges ihrer Argumente sachlich einzugehen. Und sie werden auch noch in die Nähe von Rechtsradikalen und Populisten gerückt. Außerdem wird suggeriert, Campact und andere Organisationen würden mit dem Thema ein „Riesengeschäft“ machen. Dabei weiß der Autor sicher genau, dass gemeinnützige Organisationen per definitionem ohne Gewinnerzielungsabsicht „selbstlos“ den Satzungszwecken dienen müssen. Als Kronzeugen treten zwei als wirtschaftsliberal bekannte Institute auf:Die Bertelsmann-Stiftung, die sich ganz offen neoliberale Politik, Deregulierung, und das Primat der Wirtschaft über den Staat auf die Fahnen geschrieben hat. Und das Institut der Deutschen Wirtschaft, das eine ähnliche Linie vertritt.
Sowie der als Wirtschaftslobbyist bekannte Michael Fuchs (CDU). Natürlich haben diese ein großes Interesse, TTIP und CETA ohne Abstriche umgesetzt zu sehen. Die politische Gegenseite kommt nicht zu Wort, lediglich ein Naturschutzring-Vertreter darf die Förderung durch den Staat verteidigen. Der Plusminus-Beitrag war so extrem einseitig und perfide propagandistisch, dass ich hiermit beim Rundfunkrat des NDR Beschwerde dagegen einlege. Eine derartige Berichterstattung ist auch Wasser auf die Mühlen derer, die die sogenannte „Lügenpresse“ kritisieren.Ich selbst bin ein Anhänger und fast ausschließlicher Nutzer des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, aber nur, so lange journalistischer Mindeststandards eingehalten werden und die Berichterstattung enigermaßen fair und ausgewogen ist.
Mit feundlichen Grüßen,
Matthias Breinl
Sehr geehrte Damen und Herren,
dieser Beitrag ist nicht nur extrem einseitig, sondern offensichtlich manipulativ. Ich bin überzeugter Gegner der in TTIP und CETA enthaltenen Schiedsgerichte. Ich bin weder arm noch ungebildet noch rechts und verwahre mich dagegen, dass Sie besorgte Bürger wie mich mit der Keule „rechts“ mundtot machen wollen. Und Ihre Journalisten wundern sich, dass von der „Lügenpresse“ die Rede ist? Sie verspielen doch mit solchen Beiträgen das Vertrauen, dass Sie früher hatten. Noch vor 10 oder 15 Jahren konnte man bei Meldungen aus dem Internet sich selber sagen: Erst einmal abwarten, was die Qualitätsmedien (zu denen auch Sie einmal gehört haben) dazu sagen. Sie jedoch bieten bezahlten Lobbyisten von der Bertelsmannstiftung und dem Institut der deutschen Wirtschaft eine Plattform, ohne klar darauf hinzuweisen, wer diese Leute bezahlt. Besonders der Titel Professor Enste lässt an einen Hochschullehrer an der Universität Köln denken, dort ist er aber nur (Dozent das war ich auch).
Mit höchst verärgerten Grüßen
Dr. Norbert Bolz, Bochum