Kapital und Arbeit könnten zu einer Einheit, statt zu Gegensätzen werden, folgert die Allianz aus der von Thomas Piketty und seinem Buch „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ angestoßenen Ungleichheitsdiskussion. Wer jetzt meint, einer der weltgrößten Vermögensverwalter träte für Besitz und Lenkung der Produktionsmittel durch Arbeiter und Angestellte ein, der wird allerdings enttäuscht. Es geht um etwas anderes.
Hans-Jörg Naumer, Global Head of Capital Markets schreibt in einem Beitrag für die Nachrichtenagentur Reuters zu Piketty’s Grundthese, die Kapitaleigner akkumulierten immer mehr Kapital und zunehmende Lohnspreizung fördere diese Konzentration zusätzlich, die entscheidende Frage werde von Piketty und in der Diskussion um sein Buch bisher nicht gestellt: „Warum wird dann der Antagonismus von „Arbeit“ und „Kapital“ nicht aufgehoben?“ Die Option der Beteiligung von Arbeitnehmern am Kapital blende Piketty aus.
Damit ist Naumer bei etwas, wofür die Allianz seit geraumer Zeit wirbt, der Beteiligung der Arbeitnehmer am Unternehmenskapital durch Aktien. Wenn man dafür sorgen wolle, dass die Arbeitnehmer nicht von den Kapitaleignern abgehängt werden, müsse man sie eben zu Kapitaleignern machen, lautet sein Argument: „Dies wäre vor allem in Zeiten starker demographischer und technologischer Veränderungen eine wirkungsvolle Maßnahme, um der von Piketty gefürchteten weiteren Konzentration bei Lohneinkommen und Kapital vorzubeugen.“
Perfider Weise nimmt Naumer zur Unterfütterung seiner These auch noch die Tatsache in Anspruch, dass fast überall, auch in Deutschland, der Anteil der Arbeitnehmer am Volkseinkommen massiv gesunken ist, weil – was er nicht dazu sagt – die Löhne nicht mehr angemessen mit der Produktivitätssteigerung erhöht wurden, sodass das Kapital fast den ganzen Gewinn aus dem steigenden Produktionsergebnis im Zusammenwirken von Kapital und Arbeit für sich reklamieren konnte.
Das soll nicht etwa geändert werden, sondern die Arbeitnehmer sollen zu kleinen Kapitalisten gemacht werden. Das ist eine schöne Idee. Nur wie das passieren soll, sagt er nicht. Es haben ja nicht alle Unternehmen wie die Allianz hohe Gewinne und gleichzeitig ein Firmenjubiläum, zu denen sie zusätzlich zum üblichen Gehalt Aktien verschenken.
An anderer Stelle beim Lobbying der Allianz für mehr Arbeitnehmerbeteiligung am Produktivvermögen wird deutlich, wer dafür aufkommen soll: vor allem der Steuerzahler über staatliche Subventionen für die teilweise Umstellung des Lohnes auf Aktienpakete. Dann zahlten also die Unter- und Mittelschicht, die den weitaus überwiegenden Teil des Steueraufkommens entrichten (Einkommenssteuer und Verbrauchssteuern) dafür, dass die kleinen Leute mit kleinen Aktienpaketen in eine kapitalfreundliche Stimmung gebracht werden sollen. Ein schöner Plan.
An der Tatsache, dass die Hälfte der Bevölkerung kein nennenswertes Nettovermögen hat, würde das zwar nichts ändern, auch daran nicht, dass in Deutschland 2,4 Prozent des Vermögens in den Händen von 52 Milliardären liegen, mehr als in jedem anderen großen Industrieland, oder daran, dass dem obersten Hundertstel der Bevölkerung ein Drittel des Vermögens gehört, den obersten fünf Prozent die Hälfte. Aber, all das würde sich vielleicht besser anfühlen, zumindest für das oberste Prozent, das ein weniger schlechtes Gewissen haben muss.