10. 03. 2019 | Die Bundesregierung treibt die elektronischen Patientenakte mit Macht voran. Damit soll das letzte große Refugium der Privatheit neben dem Bargeld geschleift werden, das Arzt-Patienten-Verhältnis. Das Silicon Valley soll vollen Zugriff auf unsere Gesundheitsdaten bekommen können.
Mit einem Beitrag unter dem Titel “Das gläserne Behandlungszimmer” hat sich dazu Andreas Meißner, Psychiater und Psychotherapeut aus München und Sprecher der Ärzteinitiative „Freiheit für 1 %” in der Süddeutschen Zeitung zu Wort gemeldet. (Ich danke dem lesenswerten Blog Patientenrechte-Datenschutz für den Hinweis auf diesen Beitrag und die Zusammenfassung.)
Meißner kritisiert den Entwurf des Terminservice-und Vorsorgegesetzes (TSVG) von Bundesgesundheitsminster Jens Spahn (CDU), “wonach nicht nur die Sprechstunden der Ärzte ausgeweitet werden sollen, sondern die Krankenkassen flächendeckend bis 2021 eine elektronische Patientenakte anbieten müssen. Die soll auch mit dem Smartphone zugänglich sein…”.
Meißner greift eine Äußerung von Spahn auf, der 2016 in einem Buch erklärte: „Datenschutz ist was für Gesunde“, und kontert:
„“Was aber ist mit den Kranken? Die werden durch die technischen Neuerungen nicht gesünder. Das Ziel, Wechselwirkungen von Medikamenten zu vermeiden, kann anders längst erreicht werden, etwa durch entsprechende Datenbanken. Und die oft betonten Doppeluntersuchungen? Spielen in der Praxis kaum eine Rolle, wie eine Studie ergab. Eher besteht die Gefahr, dass wichtige Informationen in der Datenfülle untergehen, worüber österreichische Ärzte klagen, die bereits eine elektronische Gesundheitsakte verwalten.“
Und indem Ärzte und Therapeuten noch mehr als bisher in den Bildschirm schauten, würden sie den Patienten signalisieren, dass die Verwaltung ihrer Daten im Mittelpunkt steht, nicht sie als Mensch.
Seine Schlussfolgerung lautet:
„“Die Digitalisierung ist für Diagnostik und Therapie durchaus hilfreich. Die elektronische Patientenakte aber wird mehr Datensammlern und IT-Konzernen nutzen als Ärzten und Patienten, die um ihre Privatsphäre fürchten müssen.“
Bisher fragten in der Praxis kaum Patienten nach der Möglichkeit des Zugriffs auf Praxisdaten über ihr Smartphone.
Angeblich sind die Menschen aber total scharf darauf, dass man von ganz Europa auf ihre Gesundheitsdaten zugreifen kann, meint trotzdem die EU-Kommission, und treibt das deshalb voran, obwohl sie für Gesundheitsversorgung nicht zuständig ist. Am 06.02. hat sie eine Reihe von Empfehlungen für die Schaffung eines „sicheren Systems“ vorgeschlagen, „das den Bürgern den Zugang zu ihren elektronischen Patientenakten in allen Mitgliedstaaten“ der EU erlauben soll. Andrus Ansip‚ Vizepräsident der EU-Kommission erklärte:
„„Die Menschen möchten einen sicheren und vollständigen Online-Zugang zu ihren eigenen Gesundheitsdaten, unabhängig davon, wo sie sich befinden…“
Wen die mutmaßliche Nachfrage der Bürger so groß ist, igrnoriert man schon mal Meldungen wie diese aus der „Smart City“ Singapur:
„“Vertrauliche Informationen von 14 200 HIV-Patienten, die in Singapur erhoben wurden, sind ins Internet gelangt. Darunter befinden sich Namen, Adressen und Telefonnummern von Patienten.“
Das kann in Deutschland natürlich nicht passieren, in dem Land, in dem die Daten von Politikern und Prominenten aus dem Kinderzimmer gehackt werden und die Sicherheitsbehörden nicht einmal den Server des Bundestags schützen können.
Aber im Sinne des Datenschutzgrundverordnung hat man sicher eine Technikfolgenabschätzung gemacht, die ergeben hat, dass die Einführung der elektronischen Patientenakte kein „hohes Risiko für die Rechte und Freiheiten natürlicher Personen ‚ bedeutet. Nach DSGVO ist eine solche Abschätzung vor allem auch deshalb dringlich, weil hier „personenbezogene Daten schutzbedürftiger natürlicher Personen, insbesondere von Kindern, verarbeitet werden.“ (Ironie off.) Natürlich nicht. Nichts dergleichen wurde gemacht und nichts dergleichen scheint geplant, wie „Freiheit für 1 Prozent“ beschreibt.
Datenkraken in den Startlöchern
Die Analysen der Geschäftsmöglichkeiten mit den Daten der elektronischen Patientenakte sind dagegen schon sehr weit gediehen. Im Silicon Valley arbeitet man intensiv an den „Killer-Apps“, die der berüchtigte „Gesundheitsexperte“ der SPD, Karl Lauterbach uns versprochen hat. Jüngste Meldung: „Apple plant Gesundheits-App mit Blick in die persönliche e-Patientenakte“. Die App „Attain“ wurde laut DocCheck in Zusammenarbeit von Apple und dem US-Versicherungsunternehmen Aetna entwickelt. Die Apple-Watch sammelt Daten wie gezählte Schritte und verzehrte Kalorien. Wenn man seine elektronische Krankenakte freigibt, kann man sich, basierend auf der eigenen Krankheitsgeschichte, Empfehlungen auf das iPhone senden lassen. Die App soll die Versicherten ermahnen, sich gesund zu ernähren oder mehr Sport zu treiben. Sie erinnert an Impfungen und Kontrolltermine oder gibt den Hinweis, dass die eigenen Medikamente knapp werden. Hat man ein Gesundheitsziel erreicht oder die empfohlenen Maßnahmen eingehalten, wird man mit Punkten belohnt. Diese können für eine vergünstigte Apple-Watch oder Einkaufsgutscheine eingelöst werden.
Aetna betont, dass die Privatsphäre und Datensicherheit der Nutzer an erster Stelle stünden. Die Teilnahme am Attain-Programm sei komplett freiwillig. Das Unternehmen werde die Daten nicht bei Entscheidungen wie Vertragsabschlüssen, Versicherungsbeiträgen oder Fragen der Abdeckung nutzen.
Dank dieser Versprechungen, das Offensichtliche nicht zu tun, braucht es nicht mehr viel Fantasie, sich auszumalen, wo das hinführt. Wenn das normal geworden ist, fangen Versicherer an, attraktive Konditionen für Leute zu bieten, die diesen Wahnsinn mitmachen. Es finden sich immer viele die das tun, weil ihnen entweder egal ist, was das für andere bedeutet, oder weil sie es nicht durchschauen. Wenn genug Leute sich vom Zuckerbrot haben locken lassen, wird die Peitsche ausgepackt. Wer nicht „freiwillig“ mitmacht, bekommt nur noch schlechte Angebote oder wird gar nicht mehr versichert. Nach ein paar Jahren sind wir dann in der Horrorvision, wo die Krankenversicherung uns detailliert sagt, was wir zu tun und was wir zu lassen haben.
Auch die deutschen Versicherer wollen natürlich nicht hintanstehen. Gemeinsam haben Sie unter Führung der Allianz 2018 die Gesundheitsdatenüberwachungs-App Vivy auf den Markt gebracht. Auch sie ist ganz toll:
“ „Vivy erinnert dich an Impfauffrischungen, unterstützt dich bei der Medikamenteneinnahme und klärt dich über Wechselwirkungen auf. Vivy hilft dir außerdem bei der Arztsuche und enthält all deine Notfalldaten. Der Gesundheits-Check und individuelle Tipps helfen dir, deine Gesundheit aktiv mitzugestalten. Nimm mit Vivy deine Gesundheit in die eigenen Hände!“
Vom Chaos Computer Club gibt es eine Präsentation zur nicht vorhandenen Datensicherheit bei den Apps wie Vivy und Co, die auf die e-Patientenakte zugreifen.
Also: Nichts wie her mit der verpflichtenden elektronischen Patientenakte, damit wir endlich dabei mitmachen können (und müssen). Treiber sind Leute wie Jens Spahn von der CDU und Karl Lauterbach von der SPD, nur falls Sie das bei ihrem nächsten Gang zu Wahlurne oder ihrem nächsten Besuch einer Parteiverantstaltung berücksichtigen möchten. Wenn ich nicht gefragt werde, ob ich meine Daten so vernetzt und allgemein für Hacker zugänglich gemacht haben möchte, habe ich vor zu klagen.
[10.3.2019]