Die zunehmende Unternehmenskonzentration war schon immer ein heikles Thema. Nicht von ungefähr wurde die Monopolkommission, die im Zuge der 1973 gegen große Widerstände aus dem Unternehmenslager eingeführten Fusionskontrolle ins Leben gerufen worden war, mehrheitlich mit Unternehmensvertretern besetzt. So sollte sichergestellt werden, dass es nicht zu zwangsweisen Entflechtungen von Konzernen kommt. Heute äußert sich die Sensibilität des Themas darin, dass die zuständige Abteilung des Statistikamts und die Monopolkommission nach Kräften verhindern, dass es aussagekräftige Daten zu Unternehmensverflechtungen gibt. Fragt man kritisch nach, versteckt sich einer hinter dem anderen und keiner ist schuld.
Wie viele Unternehmen haben sich in Deutschland zu Gruppen zusammengeschlossen? Wir wissen es nicht. Die offiziellen Zahlen schwanken stark, deutliche Trends kehren sich innerhalb weniger Jahre um. Plausibel ist das kaum. Dabei leistet sich Deutschland per Gesetz eine Monopolkommission, die den Auftrag hat, gemeinsam mit dem Statistischen Bundesamt die Unternehmenskonzentration zu beobachten. Denn der Gesetzgeber sah diese als wichtigen Faktor bei der Entstehung problematischer Marktmacht und wollte sicherstellen, dass die nötigen Informationen vorliegen.
Doch das, was Monopolkommission und Statistikamt erarbeiten, scheint wenig verlässlich. Laut dem Hauptgutachten der Monopolkommission von 2008 waren 2003 mehr als 500 000 Unternehmen Teil einer Unternehmensgruppe. Für die Jahre ab 2005 hat die Bundesregierung kürzlich als Antwort auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag entsprechende Daten vom Statistischen Bundesamt zusammengestellt. Danach lag die Zahl der zusammengeschlossenen Unternehmen 2005 nur noch bei einem Drittel des Werts von 2003, die Zahl der Unternehmensgruppen betrug sogar nur noch ein Viertel. In den Jahren danach gab es einen deutlichen Anstieg unter starkem Auf und Ab.
Auf die Frage, welchen Nutzen derart chaotisch schwankende Zahlen haben, distanziert sich das Statistikamt von den Daten. An denjenigen für 2003 sei man nur als Juniorpartner der Monopolkommission beteiligt gewesen. Hinsichtlich der späteren Daten sei darauf hinzuweisen, dass aus ihnen „keine Verlaufsanalysen über die Population der Unternehmensgruppen getätigt werden können“. Ein Auswertungskonzept habe man noch nicht erstellen können.
Die Bundesregierung scheint das nicht erfahren oder registriert zu haben. Auf die Frage der Parlamentarier, über welche „belastbaren und nachvollziehbaren“ Datenquellen sie verfüge, um die Entwicklung der Unternehmenskonzentration zu beurteilen, verweist sie auf die Datenreihe, die nach dem Urteil der Statistiker dafür ungeeignet ist.
Statistikamt auf Datendiät
Dass die Anzahl der Konzerne und sonstigen Unternehmensgruppen ab 2005 so viel kleiner wurde, hatte einen banalen Grund. Vorher hatte die Monopolkommission den amtlichen Unternehmens-Datensatz mit zwei privaten Datenbanken zu den Verflechtungen kombiniert. Das Statistische Bundesamt nutzte danach nur noch einen Anbieter, der laut Monopolkommission „einen geringeren Abdeckungsgrad für deutsche Unternehmen“ hatte. Trotzdem kam das Statistikamt laut Darstellung der Monopolkommission in einer Vergleichsrechnung zu dem Ergebnis, dass es „nur einen geringfügigen Einfluss auf die Konzentrationswerte hat“, wenn man auf die Informationen der umfassenderen zweiten Datenbank verzichte. Nähere Informationen zu dieser erstaunlichen Rechnung verweigert das Amt unter Verweis auf den Datenschutz.
Im Bundestag kam das nicht gut an. Dessen wissenschaftlicher Dienst stellte 2009 fest, dass „die Beschränkung auf eine einzelne kommerzielle Datenquelle und die Nichtzugänglichkeit der Vergleichsrechnung eine Beschränkung der Datenqualität und deren Nachprüfbarkeit darstellen“. Rainer Feuerstack, der früher in der Monopolkommission für die Konzentrationsberichterstattung zuständig war, bezeichnete auf der Jahrestagung der Deutschen Statistischen Gesellschaft 2016 die Feststellung vom „geringfügigen Einfluss“ als nicht nachvollziehbar und empirisch falsch.
Eine inhaltliche Stellungnahme dazu war vom Amt nicht zu bekommen. Erst hieß es, man sei auf dieser Tagung nicht gewesen, und wisse nicht, auf welche Feststellung sich Feuerstack beziehe, obwohl diese in der Anfrage zitiert war. Feuerstack gibt außerdem an, der Leiter Unternehmensregister des Statistikamts habe auf der besagten Tagung mit ihm über seine Kritik diskutiert. Auf Nachfrage erklärten die Statistiker distanzierend, man habe die Konzentrationsmaße „nach Vorgaben der Monopolkommission“ errechnet. Die Interpretation der Vergleichsrechnung stamme von dieser. Die Monopolkommission beruft sich also auf das Urteil der Statistiker, und diese sagen, sie hätten nur ausgeführt, was die Monopolkommission vorgab.
Ende Juni bekam das Versteckspiel richterliche Rückendeckung. Das Bundesverwaltungsgericht stellte klar, dass das Statistikamt seine Vergleichsrechnung nicht freigeben muss. Da die Statistiker keine „Dominanzprüfung“ ausgeführt hätten, um sicherzustellen, dass sich keine Einzelunternehmen identifizieren lassen, stehe das Statistikgeheimnis einer Herausgabe entgegen. Die Dominanzprüfung nachzuholen sei nicht möglich, weil man nicht mehr über die nötigen Daten verfüge, sagen die Statistiker.
Frühwarnsystem ordnungspolitisch nicht wünschenswert
Das damals FDP-geführte Wirtschaftsministerium half 2010 der Monopolkommission, sich von den ungeliebten Verflechtungsdaten zu lösen. Es beauftrage das Forschungsinstitut ZEW, zu untersuchen, wie die Monopolkommission die Konzentrationsberichterstattung verbessern könne. Das ZEW befand: „Aus Sicht der modernen Wettbewerbsforschung und – politik ist die detaillierte Konzentrationsberichterstattung auf Branchenebene von geringer Relevanz.“ Man könne zwar überlegen, damit potenzielle Wettbewerbsprobleme zu identifizieren, die man näher beleuchten könnte. Es sei aber fraglich, ob ein Frühwarnsystem „ordnungspolitisch wünschenswert“ wäre. Die Monopolkommission möge „keinen Aufwand mehr auf die Konzentrationsberichterstattung verwenden“.
Und so sollte das Gutachten von 2008 das letzte sein, in dem Sätze standen wie: „Es müssen sehr restriktive Annahmen greifen, damit man auch bei hoher Marktkonzentration von fehlender Marktmacht ausgehen kann.“ Heute sagt Achim Wambach, Vorsitzender der Monopolkommission und ZEW-Chef: „Es ist keineswegs so, dass eine steigende Marktkonzentration notwendigerweise zu einer sinkenden Wettbewerbsintensität führt.“
Chicago lässt grüßen
Das ZEW machte seinerzeit in seinem Gutachten deutlich, dass ein wettbewerbspolitischer Paradigmenwechsel hinter der Neuausrichtung stand. Gemäß der ordoliberalen Schule und dem Struktur-Verhalten-Ergebnis-Paradigma der Harvard-Universität galt es früher als nötig, Konzentration entgegenzuwirken, um den Wettbewerb zu erhalten. Dann setzte sich ab den 1980er-Jahren zunehmend die konkurrierende Sichtweise der marktliberalen Chicago-Schule durch. Sie erklärt die höheren Gewinne in stärker konzentrierten Branchen damit, dass effizientere Unternehmen Marktanteile gewönnen. Ob problematische Marktmacht vorliege, hänge von vielen Faktoren ab. Das Forschungsprogramm der „Neuen empirischen Industrieökonomik“ beleuchtet diese Faktoren von Fall zu Fall.
Wie die neue industrieökonomische Wettbewerbsphilosophie der Monopolkommission in der Unternehmenswelt ankommt, hängt von der Wettbewerbsposition ab. Der Chef des Burda-Verlags, Paul-Bernhard Kallen, sagte jüngst im Handelsblatt-Interview, man müsse sich am Kopf kratzen, wenn die Monopolkommission bei 96 Prozent Marktanteil von Google keine monopolistischen Strukturen erkenne. Achim Wambach entgegnet auf Anfrage, eine faktisch monopolistische Stellung habe die Kommission nicht infrage gestellt, aber: „Diese Marktstellung ist so lange unproblematisch, wie sie nicht missbräuchlich ausgenutzt wird.“ Soweit Google dies tue, schritten die Kartellbehörden ein.
[8.10.2017]