Kleine Erinnerung an das Londoner Schuldenabkommen für Wolfgang Schäuble

Außenminister Gabriel erinnert daran, dass man Griechenland als Gegenleistung fürs Kaputtsparen der Wirtschaft teilweisen Schuldenerlass versprochen hat. Finanzminister Schäuble will davon weiter nichts wissen und sagt zynisch: „Die sollen erst mal wachsen.“ Eine kleine Erinnerung an das Londoner Schuldenabkommen scheint angebracht.

Was für Wolfgang Schäuble zählt, ist nicht, was man der griechischen Regierung und dem IWF versprochen hat – Schuldenerleichterungen, um die Schulden auf ein langfristig tragbares Niveau zu senken -, sondern „Absprachen der Euro-Gruppe“ – die er selbst herbeigeführt hat – wonach man erst 2018, also nach der Bundestagswahl, „wenn notwendig“ – Zusatzmaßnahmen bei den Schulden in Kraft setzen würde.

Der Internationale Währungsfonds (IWF) hält die Schuldenlast Griechenlands für nicht tragfähig und pocht auf Schuldenerleichterungen. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hält dagegen. „Wenn wir Athen einfach nur die Schulden erlassen, ändern wir nichts an den Problemen des Landes“, so Schäuble aus Anlass einer früheren Auseinandersetzung mit dem IWF. Aktuell beklagt Schäuble der Nachrichtenagentur Reuters zufolge, noch sei Griechenland nicht wettbewerbsfähig. Zudem reichten die Wachstumsraten noch nicht aus. Schauen wir uns also an, was die Forschung über das Londoner Schuldenabkommen zugunsten Deutschlands für die Frage zu sagen, hat, ob Schuldenerleichterungen oder die Verweigerung derselben das Wachstum fördern.

Von Julia Balk und Norbert Häring. Internationale Ökonomen wie der Franzose Thomas Piketty und der US-Ökonom Jeffrey Sachs verweisen gern auf das Londoner Schuldenabkommen von 1953. Damals wurde der Bundesrepublik fast die Hälfte ihrer Auslandsschulden erlassen. Pikanterweise war auch Griechenland ein Unterzeichnerstaat. Das Abkommen restrukturierte Schulden aus der Vor- und Nachkriegszeit. Die ursprüngliche Schuldensumme von 30 Milliarden D-Mark wurde in den Verhandlungen auf 14 Milliarden gesenkt, der Schuldendienst auf drei Prozent der Exporterlöse beschränkt. Der Leiter der deutschen Delegation, Hermann Josef Abs, urteilte später:

Mit der Regelung der Schulden erlangte die Bundesrepublik nicht nur ihre Kreditwürdigkeit, sondern die Welt begann, diesem Staat wieder zu vertrauen.

Ist die Lage in Griechenland vergleichbar? Angelsächsische Ökonomen stimmen zumeist dem IWF zu, dass Griechenland überschuldet sei: Für Jeffrey Sachs von der Columbia University ist klar:

Jeder, der die griechische Schuldenarithmetik durchdekliniert, weiß, dass das Land seine Auslandsschulden von derzeit um die 170 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) nicht zurückzahlen kann.

 Die Ausgangslage ähnelt damit der damaligen Deutschlands.

Wirtschaftshistoriker sind überzeugt, dass der Schuldenerlass maßgeblich dafür war, dass das wirtschaftlich am Boden liegende Deutschland andere europäische Länder bald überholte, obwohl diese oft stärker von den Hilfen des Marshall-Plans profitierten, wie ein britisch-amerikanisches Wissenschaftlerteam betont. Albrecht Ritschl von der London School of Economics schreibt:

Das Wirtschaftswunder, die Stabilität der D-Mark und die günstige Lage der öffentlichen Finanzen verdankte Westdeutschland dem massiven Schuldenerlass.

Carmen Reinhart und Ken Rogoff ermittelten durch Untersuchung von 45 größeren Schuldenerlassen ab 1920, dass das Bruttoinlandsprodukt im Durchschnitt in den fünf Folgejahren um 20 Prozent stieg. Woher dieser Wachstumseffekt resultiert, wollte das Team aus Gregori Galofré-Vilà, Martin McKee, Christopher M. Meissner und David Stuckler mit der nach eigenen Angaben ersten statistisch-empirischen Untersuchung der Wirkung des Schuldenabkommens auf Westdeutschland ermitteln. Sie gaben ihrem Papier in Anlehnung an Keynes‘ berühmtes Traktat gegen die Reparationsforderungen von Versailles den Titel: „The Economic Consequences of the 1953 London Debt Agreement“.

Sie untersuchten zunächst, wie das Abkommen die Staatsausgaben beeinflusste, und stellten fest, dass die Ausgaben deutlich stiegen. Dieser Effekt lief allerdings nicht über einen reduzierten Schuldendienst, weil Deutschland ohnehin ein vorläufiges Moratorium bei der Schuldenrückzahlung genoss. Durch den Wegfall der Schulden verbesserte sich jedoch die Kreditwürdigkeit des Landes deutlich. Die Regierung konnte ihren Ausgabenspielraum durch neue Kredite zu niedrigen Zinsen erweitern. Vom Beginn der Verhandlungen über den Schuldenschnitt Mitte 1951 bis zum Abschluss fiel die Verzinsung der zehnjährigen Staatsanleihe von über drei Prozent auf 1,8 Prozent. Dazu trug bei, dass der Schuldenschnitt die Währung stabilisierte. Vom gesunkenen Zinsniveau profitierten auch die Unternehmen in Form geringerer Fremdkapitalkosten.

Was Deutschland damals mit Erfolg tat, nämlich die erhöhte Kreditwürdigkeit für die Aufnahme neuer Kredite zu nutzen, wird von deutscher Seite heute als eines der Hauptargumente gegen einen Schuldenerlass angeführt – wohl, weil man Athen nicht zutraut, Sinnvolles mit dem Geld anzustellen. Dabei hatten auch damals Kritiker des Abkommens die Befürchtung geäußert, der Schuldenerlass werde die deutsche Regierung zu einer unsoliden Finanzpolitik verführen.

Als grundsätzlichen Unterschied machen die Autoren aus, dass damals die Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft in den Vordergrund gestellt wurde, während heute die planmäßige Bedienung der Schulden und die Einhaltung der Spar- und Reformauflagen dominierten. Das führen sie darauf zurück, dass Deutschland ein wichtiger Alliierter der USA im Kalten Krieg mit der Sowjetunion war, während Griechenland deutlich weniger bedeutsam sei. Für Sachs ist die entscheidende Frage nicht, ob Griechenland einen Schuldenschnitt verdiene und alle Sparauflagen erfüllt habe. Dies sei auch beim Londoner Schuldenabkommen 1953 nicht entscheidend gewesen. Ausschlaggebend sei nicht, ob ein Land einen Schuldenerlass verdient, sondern – wie damals Deutschland – einen brauche.

Das angloamerikanische Forscherteam identifiziert denn auch Vorteile für die Gläubiger aus dem Abkommen, die sich eventuell auf heute übertragen lassen. „Indem sie die Schuldenrückzahlung an Deutschlands Zahlungsfähigkeit koppelten, erhielten sie einen substanziellen Betrag“, schreiben sie, wohl einen höheren, als wenn die Gläubiger damals Deutschland in die Zahlungsunfähigkeit und den wirtschaftlichen Zusammenbruch hätten abgleiten lassen.

[22.5.2017]

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